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Datenschatz, keine Bedrohung
Fachleute raten von Einreisebeschränkungen gegenüber China ab und schlagen ein Corona-Monitoring vor
Der Lobbyverband der Fluggesellschaften, IATA, wittert geschäftsschädigendes Verhalten staatlicher Stellen. Die Airlines erholen sich gerade von ihrem Corona-Tief, die neuen Auflagen einiger Länder, wonach Einreisende aus China einen negativen Corona-PCR-Test vorlegen müssen, kommen da ungelegen. Es sei »sehr enttäuschend zu sehen, dass Maßnahmen, die sich in den vergangenen drei Jahren als unwirksam erwiesen haben, reflexartig wieder eingeführt werden«, schimpfte IATA-Chef Willie Walsh am Mittwoch.
Es ist nichts Neues, dass sich die Airline-Lobby – ebenfalls reflexartig – gegen sie betreffende Corona-Maßnahmen stellt, man denke nur an die Maskenpflicht im Flieger. Aber dass einzelne EU-Staaten Tests verlangen und andere nicht, ist sinnlos. Mit Zwischenlandung und Umstieg auf einen Inner-EU-Flug lässt sich dies ganz einfach umgehen. Zu einer einheitlichen Linie konnten sich die EU-Gesundheitsminister bisher nicht durchringen. Ein erneuter Versuch wurde bei einem Treffen am Mittwochnachmittag gestartet (Ergebnisse nach Redaktionsschluss), wobei vorab nicht mehr als ein Minimalkonsens erwartet wurde.
Italien hatte als erstes EU-Land vor etwa einer Woche die Testpflicht bei Einreisen verhängt. Zuvor war das Coronavirus bei zwei in Mailand gelandeten Direktflügen aus China bei 38 beziehungsweise 52 Prozent der Passagiere nachgewiesen worden. Die Beschränkungen ärgern die Führung in Peking, die sich über viele Monate internationalen Forderungen nach Aufhebung der für die Weltwirtschaft schädlichen chinesischen No-Covid-Strategie gegenübersah. Dennoch haben sich mittlerweile mehrere EU-Länder sowie Großbritannien, die USA, Indien und Südkorea der restriktiven Linie angeschlossen, zahlreiche andere wie Deutschland aber nicht. Auch Politiker wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und der Grünen-Experte Janosch Dahmen, die ansonsten Gefahren eher überzeichnen und gerne strenge Maßnahmen fordern, winken ab. Neben praktischen Erwägungen führt Dahmen an, es gebe derzeit keinerlei Hinweise darauf, dass in China andere Virusvarianten kursierten als die ohnehin bereits weltweit verbreiteten Stämme der Omikron-Familie. Für »kurzfristige Panik« gebe es daher keine Veranlassung. Die Fachwelt sieht dies ähnlich.
Was genau ist das Problem? Während in vielen Ländern die Pandemie – möglicherweise voreilig – für beendet erklärt wurde, läuft derzeit vermutlich eine gigantische Covid-19-Welle durch China. Die Volksrepublik hatte vor rund einem Monat die meisten der bislang extrem strengen Maßnahmen aufgehoben, da diese angesichts der Omikron-Varianten nicht mehr griffen. Seither breitet sich das Virus fast unkontrolliert aus. Es fehlt an ausreichend hohen Impf- und erst recht Genesenenquoten. Um die Weihnachtstage kursierte im Netz eine angebliche interne Schätzung des Vizedirektors des chinesischen Gesundheitsamts, wonach sich in wenigen Tagen 250 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert hätten und an einem einzigen Tag 37 Millionen neue Fälle festgestellt worden seien. Zur Relation: Weltweit wurden in den drei Jahren der Pandemie bisher insgesamt 662 Millionen Corona-Fälle registriert. Vor allem in den Großstädten gibt es katastrophale Zustände in den Krankenhäusern. Virologen gehen davon aus, dass in China vor allem die auch in Europa seit Monaten dominierende Omikron-Untervariante BA.5 und auch BF.7, ein Subtyp von BA.5, kursieren. Da auch in Deutschland ein recht hoher Immunschutz dagegen aufgebaut wurde, sehen Experten bisher keine Gefährdung der hiesigen Bevölkerung.
Das eigentliche Problem ist, dass China keine realistischen Daten zum Infektionsgeschehen mehr erhebt oder zumindest öffentlich macht. Seit Tagen meldet Peking keine neuen Coronafälle. Die Fachwelt rät daher mit Blick auf die hiesigen Flughäfen zu etwas anderem: einem Varianten-Monitoring, wie es etwa Minister Lauterbach auch mit Blick auf die EU-Ebene wünscht. Demnach sollen stichprobenartige Tests bei Einreisenden aus China – auf freiwilliger Basis, da es hier eher um fachlich relevante Erkenntnisse geht – durchgeführt und danach sequenziert werden. Es ist klar, dass sich in China aufgrund der schieren Menge an Infektionen neue Varianten herausbilden. Ein Monitoring könnte hier etwas Licht ins Dunkel bringen. Experten meinen indes, wegen der recht geringen Bevölkerungsimmunität in China habe das Virus dort keinen Evolutionsdruck, extreme Immunfluchteigenschaften auszubilden, was hierzulande zur Gefahr werden könnte.
»Keine so schlechte Idee und wissenschaftlich sicherlich interessant« findet etwa der frühere Leiter des Influenzaprogramms der Weltgesundheitsorganisation, Klaus Stöhr, ein Monitoring. Doch so ganz aussagekräftig wäre dieses nicht. »Rein praktisch müsste man dann sehen, wie sich diese Variante auch in der Population verhält«, erläutert der Epidemiologe. Anders formuliert: Es reicht nicht aus, eine neue Variante zu identifizieren. Die entscheidende Frage ist, ob diese sich gegen andere Varianten auch durchzusetzen vermag, wie groß ihr Immunfluchtpotenzial und ihre Pathogenität ist. Das wiederum könnte nur in China ermittelt werden.
Und so ist in der jetzigen Situation Transparenz in der Volksrepublik der zentrale Punkt. Immerhin hat China wegen Drucks aus dem Ausland jetzt damit begonnen, einige Sars-CoV-2-Sequenzen in einer international zugänglichen Genomdatenbank zu veröffentlichen. Besonders aussagekräftig ist dies bisher aber nicht. Auch der verschärfte Ton in der Außenpolitik wichtiger Staaten gegenüber China steht dieser wichtigen Zusammenarbeit offenkundig im Wege.
Auch die Airlines könnten eine wichtige Rolle bei der Aufklärung spielen. Experten wie Isabella Eckerle schlagen vor, Abwasser der Flugzeuge zu sequenzieren. »Wenn mehrere Länder solche Programme aufsetzten und sich gut koordinierten, dann könnte man mit relativ wenig Investition eine gute Übersicht über die globale Viruszirkulation bekommen«, erläutert die Genfer Infektiologin und kritisiert, dass Forschungsgelder in diesem Bereich bereits wieder gekürzt worden seien. Mit anderen Worten: Reisende etwa aus China sollte man nicht als Gesundheitsbedrohung sehen, sondern als Quelle wertvoller Daten zur weiteren Evolution von Sars-CoV-2 und auch anderen Infektionserregern.
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