»Garzweiler II ist Wahnsinn«

Dirk Jansen vom nordrhein-westfälischen BUND sieht die Politik in der Pflicht, Lützerath zu erhalten

Hätten Sie vor zehn Jahren mit der Rettung der fünf Dörfer und dem Kohleausstieg 2030 gerechnet?

Wir arbeiten seit 40 Jahren dafür, dass dieser Wahnsinn Garzweiler II nicht so kommt, wie er geplant war. Erste Erfolge haben wir 2014 und 2016 eingefahren. Allerdings war uns nicht klar, dass wir es tatsächlich schaffen würden, diese fünf Dörfer zu retten. Insofern ist das ein großer Erfolg der Klimabewegung. Unzweifelhaft ist es auch ein Erfolg der Grünen. Man muss aber sagen, die Grünen haben in den 90er Jahren geholfen, den Tagebau Garzweiler II zu ermöglichen. Insofern kann man das ambivalent sehen. Es ist ein Erfolg für die Menschen dort, es ist ein Erfolg für das Klima, aber es reicht nicht aus.

Interview

Dirk Jansen, geboren 1963, ist Diplomgeograf und seit 1992 Geschäftsleiter des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Nordrhein-Westfalen. Der Protest gegen die Braunkohletagebau-Projekte im Rheinischen Revier gehört seit Jahrzehnten zu den Schwerpunkten seiner Arbeit. Dabei konnte der BUND einige Erfolge erzielen. Eine Klage des Umweltverbandes stoppte im Oktober 2018 die Rodung des Hambacher Forstes. Vor genau 15 Jahren, am 10. Januar 2008, wurden Jansen und seine Mitstreiter von einer Obstwiese des BUND am Übergang zwischen Garzweiler I und II zwangsgeräumt und die Wiese enteignet. Jahre später entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Enteignung rechtswidrig war. Die Behörden hätten eine notwendige Gesamtabwägung des Tagebauprojekts unterlassen.

Warum lohnt es sich, für den Erhalt von Lützerath zu kämpfen?

Letztendlich ist Lützerath weit mehr als ein Symbol. Wenn Lützerath zerstört wird und die Bagger auf die Kohle darunter und westlich davon zugreifen, dann heißt das, dass potenziell 280 Millionen Tonnen Braunkohle unsere Klimabilanz weiter belasten. Das ist weit mehr, als klimaschutzverträglich noch akzeptabel wäre. Es geht also nicht darum, irgendwelche Gemäuer zu erhalten, sondern um die Frage, ob wir einen Pfad erreichen, der mit den Pariser Klimasschutzzielen vereinbar ist. Und da zeigen die Gutachten ganz klar: Wenn die Kohle unter Lützerath beansprucht wird, wird unser CO2-Budget über die Maßen beansprucht. Ich sehe nicht ansatzweise, dass die Landesregierung in den anderen Sektoren, sei es in der Industriepolitik oder der Verkehrspolitik, so viel CO2 reduziert, wie es nötig wäre, um diesen Malus zu beseitigen. Insofern wäre das Abbaggern von Lützerath eine schwere Hypothek für den Klimaschutz.

Viele Aktivist*innen sprechen von »NRWE«. Wie sehen Sie die Verbindungen zwischen dem Land und dem Kohlekonzern?

Ich habe Schwierigkeiten mit einer reinen Kapitalismuskritik an dem vermutlich bösen Kohlekonzern RWE. Letztendlich trägt die Politik die alleinige Verantwortung und RWE macht das, was die Landesregierung vorgibt. Natürlich gibt es seit Jahrzehnten enge Verflechtungen sowohl auf kommunaler Ebene als auch auf Landesebene mit RWE. Alleine dadurch, dass viele Kommunen Anteile an RWE halten. Die Verantwortung liegt aber bei der Politik, jetzt bei Wirtschaftsministerin Mona Neubaur. Das muss man so klar sagen.

Sind Sie enttäuscht, dass die Grünen so schnell zur Räumungspartei geworden sind?

Enttäuscht kann man nur sein, wenn man hohe Erwartungen hatte. Allerdings ist es schon bemerkenswert, auch wenn wir da ein Déjà-vu haben, wie schnell, geräuschlos und intransparent dieser RWE-Deal im Oktober ausgehandelt wurde. Das kann, glaube ich, nicht der Anspruch von Grünen an eine transparente und faktenbasierte Klimaschutzpolitik sein. Insofern ist es ziemlich ernüchternd.

Glauben Sie, dass die Entscheidung der Partei nachhaltig schaden wird?

Ich sehe schon jetzt eine starke Entfremdung grüner Regierungspolitik von der Klimabewegung. Ich sehe auch, dass es innerhalb der grünen Partei eine Diskrepanz zwischen der Basis und den Funktionsträgern in Fraktion und Regierung gibt. Insofern glaube ich, dass die Grünen jetzt viel Kredit verlieren und sich sehr anstrengen müssen, um in dieser Legislaturperiode Vertrauen zurückzugewinnen. Lützerath ist mit Sicherheit auch ein Fanal in Sachen Glaubwürdigkeit der Grünen, die sehr gelitten hat.

Der BUND ist Klageprofi. Gibt es auf juristischem Weg noch Hoffnung für den Erhalt von Lützerath?

Es ist klar, dass juristisch gegen die Räumungsverfügung von den Bewohnern vor Ort vorgegangen werden kann. Theoretisch wäre es auch noch möglich, gegen die Zulassung des Hauptbetriebsplans des Tagebaus zu klagen, das würde allerdings zeitlich nichts bei den Vorgängen der Räumung ändern. Man sollte nicht den Fehler machen, jetzt zu versuchen die Juristerei zu bemühen und damit auch der Politik einen Vorwand zu geben, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Ich muss nochmals betonen: Die Verantwortung für das, was jetzt in Lützerath passiert, liegt bei der Landesregierung, die sollte man nicht auf die
Gerichte abschieben.

Deshalb kämpfen Aktivist*innen um Lützerath
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