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Verkehrswende mal wieder vertagt
Breite Kritik am Mobilitätsgipfel im Kanzleramt wegen Fokussierung auf Autoindustrie
Seit Jahrzehnten verlautbart die Bundespolitik, es müsse mehr Verkehr auf die Schiene verlagert werden. Doch der von Bundeskanzler Olaf Scholz für Dienstag einberufene »Mobilitätsgipfel« war einmal mehr ein Spitzentreffen der Autoindustrie, die künftig ein bisschen grüner werden soll. Die Gewerkschaft IG Metall war auch vertreten, die vor allem die Interessen mehrerer Hunderttausend Beschäftigter der Branche vertritt, die für einen lediglich hin zum Elektroantrieb gewandelten Individualverkehr sowie für E-Busse und -Roller steht.
Zudem nahmen an dem Treffen die Minister für Verkehr, Wirtschaft, Finanzen, Umwelt und Arbeit sowie Vertreter von Ländern und Kommunen und Wissenschaft teil.
Umwelt- und Schienenverkehrsverbände sowie Organisationen von Radfahrern und Fahrradherstellern kritisierten ihre Nichtbeteiligung scharf. Denn weder der Fahrgastverband Allianz pro Schiene noch der Allgemeine Deutsche Fahrradclub ADFC waren überhaupt eingeladen. Eine Verkehrsexpertin eines Umweltverbandes sei erst auf Nachfrage eingeladen worden, teilte die Initiative Lobbycontrol mit. »So bekommen die ohnehin mächtigen Autokonzerne weiterhin privilegierte Zugänge zur Politik, die andere Akteure nicht gleichermaßen haben«, monierte Lobbycontrol-Sprecherin Christina Deckwirth. Dem Auto werde damit »weiter Priorität vor anderen klimafreundlicheren Verkehrsmitteln eingeräumt«.
Dies, so heißt es in einer Erklärung unter anderem von ADFC und Allianz pro Schiene, sei ein Beleg dafür, »dass die Verkehrswende noch nicht im Kanzleramt angekommen ist«. Sie müsse aber zur »Chefsache« gemacht werden. Die Auswahl der Gipfelteilnehmer stehe für ein »völlig veraltetes Mobilitätsverständnis«, so die Verbände. Der ökologische Verkehrsclub VCD sprach von einem »Etikettenschwindel«: Auf dem Treffen gehe es lediglich um die Transformation der Automobilwirtschaft. »Dies einen Mobilitätsgipfel zu nennen, ist anmaßend«, erklärte die VCD-Vorsitzende Kerstin Haarmann.
Der Gipfel offenbarte unterdessen einmal mehr die Zerrissenheit der Ampelkoalition in Sachen Verkehrswende. So vermisst die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Carina Konrad, bei Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ein »klares Bekenntnis zum Automobilstandort Deutschland mit seinen hunderttausenden hoch spezialisierten Arbeitsplätzen«. Konrad warf den Grünen im Interview mit dem »Handelsblatt« zudem vor, »immer weitreichendere Regulierungsideen« zu hegen und zugleich »ein an vielen Stellen lückenhaftes energiepolitisches Konzept« zu verfolgen. Habeck müsse sich auf EU-Ebene für eine »umsetzbare« neue Abgasnorm einsetzen und die »Blockade« gegen synthetische Kraftstoffe aufgeben, forderte die Politikerin.
Demgegenüber bekräftigte Grünen-Chef Omid Nouripour die Ablehnung des Baus neuer Straßen, der für die Liberalen Herzenssache ist. Nouripour untermauerte die Forderung seiner Partei, marode Verkehrsinfrastruktur zu sanieren, statt neue Straßen zu bauen. »Das Renovieren, das Sanieren, das Modernisieren, das ist doch das Gebot der Stunde«, sagte Nouripour am Dienstag im ZDF. Im Übrigen gelte »höchste Priorität für die Schiene«. Da passiere zu wenig.
Wie auch in anderen Fragen stimmt die FDP in der Verkehrspolitik eher mit CDU und CSU überein, die auf der Oppositionsbank sitzen, als mit den Regierungspartnern. Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, forderte vor dem Gipfel mehr Unterstützung für die sogenannten E-Fuels. Der stockende Ausbau der E-Ladesäulen zeige, dass »der alleinige Fokus auf die Elektrifizierung« nicht funktioniere, sagte er in einem Zeitungsinterview. Die E-Fuel-Technologie gilt bislang aber als sehr teuer und weniger effizient als ein Elektroantrieb.
Die Industriegewerkschaft Metall forderte vor allem einen schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos. »Deutschland muss mit Hochdruck die Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Hochlauf der Elektromobilität schaffen«, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann in einem Interview.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft erklärte hingegen unter Verweis auf eine Umfrage, »dass das Laden nicht das Problem ist«. »Die Auslastung der Ladesäulen liegt bei rund 15 Prozent«, erklärte Verbandschefin Kerstin Andreae. Das Problem liege vielmehr auf Seiten der Produktion von E-Autos. Die Nachfrage sei groß, jetzt müsse »das Fahrzeugangebot gestärkt werden«.
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) sorgt sich, dass beim Ausbau der Ladeinfrastruktur erneut der ländliche Raum zu kurz kommt. Gerade in dünn besiedelten Gebieten sei diese vernachlässigt worden, dabei sei sie »Voraussetzung für den Durchbruch der Elektromobilität«, erklärte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Hier brauche es finanzielle Unterstützung, denn »unmittelbare Wirtschaftlichkeit« sei oft nicht gegeben.
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