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Genetisch glücklich?
Der Weltglücksbericht sucht neue Antworten
Langsam klingen sie aus, die Wünsche für ein »gesundes und glückliches neues Jahr«. Nur, was ist denn überhaupt dieses »Glück« oder in der deutschen Sprache eindeutiger »Glücklichsein«, das wir uns da wünschen? Bei der Deutschen Presseagentur war zum Jahreswechsel vom »Glücksrezept der Skandinavier« zu lesen. Als Zutaten wurden in nicht näher spezifizierten Mengen die richtige Work-Life-Balance, warme Getränke und Kaminfeuer angegeben. Genauere Glücksrezepte sind schon lange Gegenstand der Glücksforschung.
Wie hoch das allgemeine Maß des Glücks in einem Land ist, lässt sich seit 2012 jährlich im Weltglücksbericht nachlesen. Dieser ernannte 2022 Finnland zum fünften Mal in Folge zum Land mit der glücklichsten Bevölkerung. Wessen Bild von Finnland nur aus Kaurismäki-Filmen mit wortkargen und selten lächelnden Figuren stammt, der ist also wissenschaftlich nicht auf der Höhe.
Kriterien des jedes Jahr im März erfolgenden Glücksrankings sind Bruttoinlandsprodukt sowie Befragungen etwa zur individuellen Wahrnehmung von Großzügigkeit, sozialem Umfeld, Korruptionsniveau, Lebenserwartung und persönlicher Freiheit für eigene Lebensentscheidungen. Zwar folgen noch immer reiche Nationen wie Dänemark, die Schweiz und die Niederlande hinter Finnland an der Spitze des Glücksrankings, doch mit dem Bericht sollte das Wohlergehen nicht mehr nur anhand von wirtschaftlichen Indikatoren gemessen werden.
Das klingt sinnvoll, allerdings kommen dafür auf einmal die Gene ins Spiel: »Die skandinavische Zufriedenheit hängt auch von den Genen ab«, war bei dpa zu lesen. 50 Prozent der Faktoren, die glücklich und zufrieden machten, hätten genetische Ursachen. In Skandinavien sollen diese Glücksgene weiter verbreitet sein und bei den Schleswig-Holsteiner*innen weiter als bei Menschen aus Sachsen. Moment mal, soll das heißen, manche Menschen hätten überhaupt nicht die genetische Disposition zum Glück? Oder brauchen sie einfach noch mehr warme Getränke und Kaminfeuer, um das gleiche Glücksniveau zu erlangen?
Im Glücksbericht von 2022 liest sich die Sache mit den Genen etwas differenzierter. Schätzungsweise 30 bis 40 Prozent der Unterschiede beim Glücksempfinden innerhalb einer Bevölkerung führen Forscher*innen auf genetische Unterschiede zurück, die restlichen 60 bis 70 Prozent auf individuelle Umwelteinflüsse. Dabei geht es wohlgemerkt um Unterschiede innerhalb der Bevölkerung eines Landes. Ein Diskussionspapier von Eugenio Proto und Andrew J. Oswald von der University of Warwick aus dem Jahr 2014 beschäftigte sich allerdings tatsächlich mit der Frage, ob das höhere Glücksniveau insbesondere in Dänemark gegenüber anderen Ländern mit sonst ähnlichen Variablen genetisch bedingt sein könne. Proto und Oswald fanden einen Einfluss der Gene bestätigt. Doch selbst wenn es gewisse genetische Faktoren für das Glücksempfinden geben würde, was brächte uns diese Erkenntnis? Denn was sich beeinflussen lässt, bleiben weiterhin die Umweltbedingungen. Und die sollten so gestaltet werden, dass die Annäherung an den Zustand, der gemeinhin als Glück bezeichnet wird, allen möglich ist.
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