Über Tote nur Gutes? Warum?

Die Würde Verstorbener zu wahren heißt nicht zwingend, nur noch Gutes über sie zu verbreiten

Es gibt zahlreiche Formulierungen, mit denen man auszudrücken versucht, dass etwas sonnenklar ist. Zwei plus zwei sei vier, heißt es da, gerne wird auch mal die »Kloßbrühe« bemüht. Wer es eher mit Ironie hat, stellt die rhetorische Frage, ob der Papst katholisch sei. Noch sicherer wäre das »Ja« aber bei einer anderen Frage: »Ist der Papst homophob?«

Natürlich ist er das, egal, wer in den letzten 2000 Jahren Papst war, denn er steht einer Organisation vor, bei der Homophobie seit 2000 Jahren zum Markenkern gehört. Katholische Kirche ohne Homophobie ist wie McDonald’s ohne Ketchup. Insofern ist es verwunderlich, dass die Webseite queer.de unter Berufung auf Paragraph 189 des Strafgesetzbuches (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener) angezeigt wurde. Dabei hatte queer.de nur die Wahrheit gesagt: Der gerade verstorbene Josef Ratzinger sei einer »der größten queerfeindlichen Hetzer« gewesen.

Christoph Ruf
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

Die Seite hatte die Behauptung im Übrigen journalistisch höchst sauber belegt. Ratzinger habe sich 2012 gegen die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ausgesprochen, weil die eine »Manipulation der Natur« sei und die Menschen ihrer »Würde« beraube. 1992 schrieb er, Homosexualität sei »eine objektive Unordnung« und gebe »in moralischer Hinsicht Anlass zur Sorge«. Dass das alles reaktionärer, inhumaner Kleriker-Bullshit ist, dürfte schwer zu bestreiten sein – eigentlich noch nicht einmal von einer Institution, die an Dutzende Heilige, Wunderzauber und die jungfräuliche Geburt bärtiger Menschen glaubt.

Was in sexuell-moralischer Hinsicht, nebenbei gesagt, wirklich Anlass zur Sorge gibt, ist der systematische und über Jahrhunderte begangene sexuelle Missbrauch an (ironischerweise: meist männlichen) Kindern und Jugendlichen durch das Kirchenpersonal. Und: dass kaum einer dieser Vergewaltiger hinter Schloss und Riegel landete. Die Sonderrechte der Kirche gehen nämlich noch heute so weit, dass sie einen rechtsfreien Raum für Vergewaltiger bildet. Ein pädophiler Bademeister kommt vor Gericht, ein pädophiler Geistlicher wird in eine andere Gemeinde versetzt. Und auch das erst, wenn alles Leugnen und Vertuschen nichts mehr hilft.

Doch zurück zur Anzeige, die ja nicht wegen Beleidigung ergangen ist, sondern wegen der »Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener«. Das ist interessant, da ja wirklich viele Menschen finden, dass man über Tote nichts Negatives sagen sollte. Auch ich fange unweigerlich an, ein bisschen gnädiger und mit gemäßigterem Vokabular über Arschlöcher zu reden, sobald die tot sind. Vor allem aber finde ich – und jetzt denken Sie bitte statt an Ratze an einen sympathischen Menschen –, dass ein würdevolles Gedenken Ehrlichkeit nicht ausschließt, sondern voraussetzt.

Vor einigen Wochen war ich bei der Trauerfeier für einen außergewöhnlich klugen und sympathischen Menschen. Sie wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Gerade deshalb, weil ein enger Freund und ein naher Angehöriger nebst viel Lobendem auch ausgesprochen haben, welche Eigenschaften des Verstorbenen sie zeitweilig leiden ließen. Man muss über Tote nicht ausschließlich positiv reden, um die Würde dieser Menschen zu wahren, die sich nicht mehr wehren können. Zu beschreiben, wer sie waren und was ihren Verlust so schmerzlich macht, ist schwer genug, setzt es doch das Wertvollste voraus, was Menschen sich geben können: einander wirklich zu kennen. Man nennt es auch Freundschaft. Die ist anspruchsvoll, eine Lebensaufgabe. Und etwas komplexer, als naiven Moralvorstellungen wie der anzuhängen, dass ein Mensch ab dem Moment, in dem ein lebenswichtiges Organ versagt, als Heiliger zu betrachten ist.

Die Anzeige gegen queer.de ist in Berlin erstattet worden, allem Anschein nach von einer verschrobenen christlichen Fundamentalistin mit mittelalterlichem Weltbild. Es würde alles auf Beatrix von Storch hindeuten. Doch die ist evangelisch.

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