Kinderwunsch sollte nicht am Geld scheitern

44 Jahre nach dem ersten IVF-Baby sind die Kosten für ungewollt kinderlose Paare auch hierzulande zu hoch

  • Anja Sokolow
  • Lesedauer: 4 Min.

Kaum ein Name dürfte sinnbildlicher für künstliche Befruchtungen stehen als der von Louise Brown. Vor 44 Jahren wurde sie als erster Mensch weltweit nach einer sogenannten In-Vitro-Fertilisation (IVF) geboren. Mittlerweile hat die Britin selbst Kinder und wirbt für mehr Offenheit beim Thema Kinderwunschbehandlungen. »Die Menschen sollten mehr darüber sprechen, je mehr man das tut und darüber erfährt, desto besser. Reden ist der Schlüssel«, sagte Brown im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Für viele Menschen sei das Thema noch mit einem Tabu behaftet, manchmal auch aus religiösen Gründen, so Brown.

Ist von künstlicher Befruchtung die Rede, geht es meist um IVF oder Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Bei einer IVF wird eine der Mutter zuvor entnommene Eizelle außerhalb des Körpers mit Sperma des Vaters in Kontakt gebracht. Noch häufiger ist die ICSI. Dabei wird ein einzelnes Spermium außerhalb des Körpers gezielt in die Eizelle gespritzt. In beiden Fällen wird nach einigen Tagen der entstandene Embryo – manchmal auch mehrere – in die Gebärmutter der Frau übertragen. Geht alles gut, wächst ein Baby heran.

In Deutschland wurden laut IVF-Register allein von 1997 bis 2020 rund 364 000 Kinder mit diesen Methoden gezeugt und geboren – das sind etwa so viele Einwohner wie Bochum hat. 140 Kinderwunschzentren bundesweit liefern Daten an das Register, das vor 40 Jahren mit fünf Zentren die Datensammlung startete.

Browns Eltern Lesley und John Brown sowie die Ärzte Robert Edwards und Patrick Steptoe, denen 1978 mit der Geburt Louise Browns eine weltweite Sensation gelang, sind inzwischen verstorben. »Seitdem reise ich durch die Welt. Ich bin gelernte Kinderkrankenschwester, hätte aber wohl eher Embryologe werden sollen«, so Brown.

Wie schon damals seien noch heute für viele Paare die hohen Kosten für Kinderwunschbehandlungen und weite Wege ein Problem. »In Großbritannien zum Beispiel kann man sich mit Geld alles leisten, nur haben wahrscheinlich 95 Prozent der Menschen nicht genug Geld«, so Brown.

In Deutschland ist laut Bundesfamilienministerium fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Gesetzliche Krankenkassen übernehmen unter bestimmten Bedingungen die Hälfte der Kosten für eine festgelegte Zahl an Behandlungen für Verheiratete. Einige Kassen zahlen darüber hinaus mehr als vorgeschrieben, teilte eine Referentin des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) mit. Auch Bund und ein Großteil der Länder haben Förderprogramme aufgelegt.

Für viele Paare sind die Behandlungen, die pro Versuch mehrere Tausend Euro kosten, trotzdem ein belastender Faktor. »Es ist schrecklich, dass viele Paare nach drei Versuchen aufhören müssen, weil kein Geld mehr da ist«, sagt Sarah Plack. Die studierte Ärztin und Bloggerin hat mit Influencerin und Autorin Anna Wilken im Internet die Petition »Kinderwunsch für alle« an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) gestartet, die bereits von fast 90 000 Menschen unterzeichnet wurde. Sie fordern, dass die Kosten bei medizinischer Notwendigkeit und Aussichten auf Erfolg zu 100 Prozent übernommen werden.

Bis zur Gesundheitsreform 2004 haben auch die gesetzlichen Kassen die Kosten für einige Leistungen voll bezahlt. Die neue Gesetzgebung habe dazu geführt, dass weniger Paare Kinderwunschzentren aufsuchten und die Zentren große Einbußen erlitten, sagt Monika Uszkoreit, Geschäftsführerin des Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren (BRZ). Die Verluste hätten aber kompensiert werden können.

Von 2010 bis 2021 stiegen die Ausgaben der gesetzlichen Kassen für ärztliche Honorare in der Reproduktionsmedizin von rund 18 auf rund 31 Millionen Euro. Diese Ausgaben beträfen ambulante Eingriffe, die einen Großteil der Summe ausmachen, sowie Beratungs- und Begleitleistungen wie Labor oder Genetik in der Regelversorgung, erläuterte die GKV-Referentin. Zusätzliche Leistungen, die einige Kassen anböten, seien nicht inbegriffen. In den vergangenen Jahren stiegen auch die Behandlungszahlen, etwa mit IVF und ICSI, wieder deutlich an.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Unfruchtbarkeit als Krankheit, wenn ein Paar nach einem Jahr ungeschützten Geschlechtsverkehr nicht schwanger wird. Bei Männern wird Unfruchtbarkeit demnach meist durch Probleme mit der Ejakulation, dem Mangel oder Fehlen von Spermien verursacht. Auch abnorme Formen der Spermien oder deren mangelnde Beweglichkeit können Ursachen sein. Bei Frauen kann demnach eine ganze Reihe von Anomalien der Eierstöcke, der Gebärmutter, Eileiter oder auch hormonelle Probleme zu einer ungewollten Kinderlosigkeit führen.

Aus Sicht der Beraterin Petra Thorn vom Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland (BKiD) ist das Thema Kinderwunsch heute in Deutschland weniger tabuisiert als noch vor einigen Jahrzehnten. »Der Gang in ein Kinderwunschzentrum ist für Paare heute nicht mehr so schwierig. Allerdings tun sich viele Paare schwer damit, offen über ihren Kinderwunsch und medizinische Diagnosen zu sprechen«, so Thorn. Gerade Männern falle dies schwer – aus Angst vor Diskriminierung. dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -