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Die Zukunft meiner Tochter
Als Koordinatorin von Fridays for Future Guadalajara in Mexiko kämpft Jeraldine García Martínez für Klimagerechtigkeit. Dabei setzt sie mit ihrem Engagement auch ihr eigenes Leben aufs Spiel
Queremos acciones, no simulaciones» – auf Deutsch: «Wir wollen Taten, keine Simulationen» – hallt es durch das Zentrum der Stadt Guadalajara im Westen Mexikos. Kräftig und laut gibt Jeraldine García Martinez den Ton an. Ein Chor junger, entschlossener Stimmen wiederholt rufend ihre Worte. Die Gruppe von Fridays for Future Guadalajara steht wie jeden letzten Freitag im Monat vor dem Parlament des Bundesstaates Jalisco. Sie fordert von der Regierung Taten gegen den fortschreitenden Klimawandel und lokale Umweltprobleme.
García Martínez ist eine der zwei anwesenden Koordinatorinnen. In violetter Krankenhausbekleidung steht sie zwischen dem Parlament und etwa 13 jungen Aktivist*innen, in der Hand ein Plakat, auf dem übersetzt steht: «Tu nicht so, als wäre es nicht dein Problem. Der Klimanotstand ist jetzt.» Die Folgen des Klimawandels sind im mexikanischen Bundesstaat Jalisco bereits deutlich zu spüren.
So kam es allein im Jahr 2019 zu einer Vielzahl an Wetterextremen über den gesamten Bundesstaat verteilt: von Schlammlawinen über Bodenerosionen, Hagelstürme und Hitzewellen bis hin zu mehr als 70 000 Hektar verbrannter Waldfläche. Mehr als die Hälfte der Fläche Jaliscos ist laut dem Institut für regionale Information mittel- bis sehr stark vom Austrocknen bedroht.
Für die Menschen bedeutet dies, dass sich ihre Lebensgrundlage zunehmend verschlechtert. Wasser wird knapper, Krankheiten wie das Dengue-Fieber breiten sich aus, hohe Temperaturen erhöhen die Sterblichkeit. Viele Industrien in Jalisco hätten bislang keine konkreten Vorgaben oder Regulierungen über den Ausstoß von Treibhausgasen oder die Beseitigung von Abfällen, kritisiert Fridays for Future Guadalajara.
«Wir verlangen die Einführung einer CO2-Steuer für Unternehmen», sagt Koordinatorin Kimberly Barajas. «Industrien sollen für die Verunreinigung, die sie verursachen, zahlen.» Das Geld solle dann in den sogenannten grünen Fonds fließen, den die Regierung 2017 zur Finanzierung nachhaltiger Projekte eingeführt habe, so die 24-Jährige. Barajas ist seit 2019 dabei. Ihr Bereich ist die Organisation und Anmeldung der Streiks. García Martínez ist für die Vernetzung und Kommunikation unter den Streikenden zuständig.
Nach der Demo geht es für García Martínez zurück zur Arbeit. Sie ist Altenpflegerin. Der Beruf gefällt ihr. Wenn die Zeit es zulässt, hilft sie darüber hinaus ehrenamtlich im Krankenhaus. Den Rest ihrer Freizeit widmet sie gemeinsam mit ihrer elfjährigen Tochter Kamila dem Klima- und Umweltaktivismus. Neben Fridays for Future ist sie noch in weiteren Kollektiven aktiv, hilft etwa bei Aufforstungen und hält regelmäßig Vorträge über Nachhaltigkeit und Umwelt in Schulen.
Berufstätig, Aktivistin, Mutter
Bildung und Aufklärung sind für die alleinerziehende Mutter das A und O. In Mexiko fehle es leider an beidem, bedauert sie. Dabei könnten Kinder ihrer Meinung nach Vorbilder für Erwachsene sein. «Wenn du es schaffst, Kinder für ein Thema zu begeistern, dann verfolgen sie es zu 100 Prozent. Im besten Fall lassen sich die Eltern inspirieren und wollen unterstützen», erzählt sie.
Aus dieser Überzeugung entstand auch die Idee mit den Vorträgen. Den ersten hielt die Umweltaktivistin an der Schule ihrer Tochter; mittlerweile fragt sie auch an anderen Schulen regelmäßig an. «In der Regel bitte ich die Direktoren um 15 Minuten mit einer Klasse», erzählt sie. Danach warte sie am Eingang der Schule, um nach dem Unterricht das Gespräch mit Interessierten weiterzuführen.
Ihren Glauben an die Macht und den Willen von Kindern schöpft García Martínez aus ihrer eigenen Vergangenheit. «Im Alter von fünf Jahren sah ich einen Bericht über die Auswirkungen von weggeworfenen Zigarettenstummeln auf die Umwelt», erinnert sich die heute 30-Jährige. «Dieser Bericht schockierte mich und war gleichzeitig mein Weckruf.» Zwei Jahre später startete sie ihr erstes Projekt.
Gemeinsam mit ihrer Mutter verteilte sie in der Gemeinde, in der sie damals lebte, leere Milchpulverdosen an die Bürger*innen, damit diese ihre Kippen dort hineinwarfen statt auf den Boden. «Die Leute waren sehr aufgeschlossen und halfen mir, die Dosen zu befestigen. Einmal die Woche sammelte ich sie alle ein und leerte sie aus.» Sehr früh gelang es García Martínez somit, das Bewusstsein der Menschen in ihrer Umgebung für die Umwelt zu sensibilisieren. Ihr Interesse am Aktivismus war geboren.
Ihre Tatkraft und ihr umweltbewusstes Denken hat sie an ihre Tochter Kamila weitergegeben. 2019 stieß die damals Neunjährige über Facebook auf Fridays for Future. «Sie war es, die mich auf die wöchentlichen Klimastreiks aufmerksam gemacht hat», erzählt die stolze Mutter. Sie gingen schließlich zusammen hin und wenig später war García Martínez bereits Teil der Initiative. Ihre Tochter sei für sie die größte Motivation. «Der Klimawandel betrifft uns alle», sagt sie, «aber wir sind jetzt verantwortlich für die Zukunft der nächsten Generationen.»
Gefährliches Engagement
Aktivistin, alleinerziehend und eine Frau zu sein, birgt in Mexiko viele Gefahren. Allein im Jahr 2021 wurden hier nach Angaben der NGO Global Witness 54 Umweltaktivist*innen getötet. Damit löste Mexiko Kolumbien als das gefährlichste Land für Aktivist*innen weltweit ab. Darüber hinaus ist Mexiko laut Weltbank eines der tödlichsten Länder für Frauen. Im Bundesstaat Jalisco registrierte das Institut für Forensik im Zeitraum von Januar bis September 2022 allein 81 Femizide, deren Opfer bislang noch nicht identifiziert sind. Die Gesamtzahl beläuft sich je nach Quelle auf bis zu 137 getötete Frauen bis August.
Die Täter sind in den meisten Fällen Männer, die Motive sind oft banale Beziehungskonflikte wie Eifersucht oder Streit. Das Problem ist, dass Femizide in Mexiko nur in den wenigsten Fällen strafrechtlich verfolgt werden. Laut dem Ministerium für öffentliche Sicherheit wurden in Jalisco dieses Jahr lediglich 22 Untersuchungen zur Aufklärung von Tötungsdelikten an Frauen eingeleitet. Ein Fall davon ist der brutale Mord an der 35-jährigen Luz Raquel Padilla, der in ganz Mexiko zu Protesten gegen Femizide führte.
Am 16. Juli 2022 wurde die junge Frau Opfer eines Brandanschlags mitten in einem öffentlichen Park der Stadt Zapopan, Teil der Metropolregion Guadalajara. Die Mutter eines elfjährigen Jungen mit Autismus kämpfte für die Rechte von Personen mit Behinderung. Trotzdem ging die Staatsanwaltschaft zunächst von Suizid aus, eine häufige missbrauchte Erklärung in Mexiko für den Tod einer Frau.
García Martínez kannte Luz Raquel Padilla, ihre Geschichte hat sie sehr mitgenommen – gerade auch, weil sie ein Paradebeispiel für die Vorgehensweise der Exekutive im Falle von Gewaltdelikten an Frauen ist. Auch García Martínez wurde bereits mehrfach belästigt und verbal angegriffen. «Das ist der Grund, weshalb Aktivist*innen selten individuell auftreten», erzählt sie.
So gibt es in Mexiko kein offizielles Gesicht von Fridays for Future wie etwa Greta Thunberg in Schweden oder Luisa Neubauer in Deutschland. Stattdessen wechseln sich die Organisator*innen der Bewegung ständig ab, wenn es etwa um Veranstaltungen geht. «Damit man uns nicht mit einer einzelnen Person identifiziert», erklärt García Martínez. Ihrer eigenen Sicherheit sowie der ihrer Tochter zuliebe hält sie sich bislang aus der Öffentlichkeit heraus und ist auch auf Social Media so gut wie gar nicht aktiv.
Zum globalen Klimastreik im September kamen in manchen europäischen Städten bis zu 20 000 Protestierende zusammen. In Guadalajara waren es 50. Was überraschen mag: Die Aktivist*innen verbuchen das als Erfolg. Denn in Mexiko gibt es gleichzeitig zahlreiche schwerwiegende soziale Probleme: Femizide, die immer brutaler werdenden Drogenkartelle und die steigende Anzahl an Menschen, die spurlos verschwinden, sind nur einige davon. Im Vergleich dazu wird die globale Erderwärmung von vielen Menschen als durchaus weniger bedeutsam wahrgenommen.
Dass überhaupt eine Klimabewegung entstand, ist der Ausdauer, dem Mut und der Durchhaltekraft von Aktivist*innen wie Jeraldine García Martínez zu verdanken. Aufgrund ihrer Hartnäckigkeit hat das Umweltministerium Jaliscos inzwischen einen Arbeitskreis zum Klimawandel eingerichtet, in dem junge Aktivist*innen ihre Forderungen direkt mit den Abgeordneten besprechen und gemeinsam an Lösungen arbeiten können. Darüber hinaus wurde der nationale grüne Fonds transparenter gestaltet – es ist nun einfacher nachzuvollziehen, wofür Geld ausgeben wird. Kleine Erfolge wie diese zeigen der Aktivistin immer wieder, wofür sich die Mühe und das Risiko am Ende lohnen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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