Wo wart ihr in Lützerath?

Das seltsame Gedenken an Rosa Luxemburg

  • Karsten Krampitz
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Linke liebt an Rosa Luxemburg die Leiche, aber nicht die Lektüre. Darf man das sagen? Wer liest denn heute noch ihre Bücher? Dabei war sie vor allem eine exzellente Journalistin, gefürchtet für ihre bitterbösen Kommentare. Was sie heute über den Ukraine-Krieg gesagt und geschrieben hätte, wissen wir nicht. Vielleicht hätte sie die Waffenlieferungen der Nato-Staaten kritisiert; ganz sicher aber hätte sie Putin abgelehnt – wo sie schon mit Lenin Probleme hatte. Wäre sie Chefredakteurin des »nd« gewesen, hätte sie womöglich als Erste den »russischen Militarismus« verurteilt.

Auch bei einem anderen Thema können wir Rosa Luxemburgs Position recht gut erahnen: Beim alljährlichen Totenkult in Friedrichsfelde für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die am 15. Januar 1919 ermordet wurden. Die einen Gedenkenden kommen mit dem Wochenendticket der Bahn, die anderen mit Limousine und Chauffeur. Waren denn auch Arbeiter zugegen? Arbeiterinnen? Arbeitslose? Hat die FDJ wieder ihre Flyer verteilt, gegen die Annexion der DDR? Es ist das Deutschlandtreffen linksbekloppter Splittergruppen! Lothar Bisky sprach einmal vom »stalinistischen Wanderzirkus«. Die DDR-Fahnen sind mit den Jahren weniger geworden, dafür ist wieder mehr Hammer und Sichel zu sehen sowie hier und da eben auch Stalinbilder. Und wofür das? So sagte schon Jesus: »Lass die Toten ihre Toten begraben.«

Zwar ist nach der Novemberrevolution ohne Zweifel Schreckliches passiert, aber ein Martyrium von 1919 bezeugt noch keine Wahrheit im Jahr 2023. Die Welt ist heute eine andere. Wo wart ihr in Lützerath? Von wegen »Sozialismus oder Untergang«. Für einen Systemwechsel reicht scheinbar die Zeit nicht mehr, Systemwandel ist eine Illusion. Erst recht mit einer Linkspartei, die nur mit sich selbst beschäftigt ist.

Rosa Luxemburg hätte vermutlich spätestens darüber gelästert, an welchen Gräbern die Leute außerdem noch Nelken hinlegen: Die SED-Bestenliste haben jahrelang Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl angeführt, dicht gefolgt von Walter Ulbricht. Weit abgeschlagen dagegen die Politbüromitglieder Heinz Hoffmann und Paul Verner.

Auffällig viele Blumen hatte in den letzten Jahren aber noch ein anderer zu verzeichnen: Werner Lamberz, der im März 1978 bei einem Hubschrauberabsturz in Libyen ums Leben kam. Der einstige Sekretär des ZK, verantwortlich für Agitation, das heißt für die DDR-Presse, gilt im Nachhinein wohl als Hoffnungsträger. Wer außerhalb des Wettbewerbs auch immer von sich reden macht, ist die etwas abseits ruhende und offensichtlich unvergessene Hilde Benjamin, ehedem DDR-Justizministerin. An ihrem Grab treffen sich erhobene Fäuste zum Gesang: »Die Partei hat immer recht!«

Wer unlängst gestorben ist, und ihm sei hier zum Schluss gedacht, ist der Autor und Friedhofsmusiker Gerd Schönfeld, der im Sommer 1989 bei der Trauerfeier für Hilde Benjamin die Orgel spielte. Auf dem Weg zur Trauerhalle lief »Schöni« damals wie gewohnt über den Friedhof – so jedenfalls erzählte er es später –, als aus dem Gebüsch ein Tschekist der Geheimpolizei heraussprang: »Sie! Was machen Sie hier?« Worauf Gerd Schönfeld antwortete: »Ich bin doch der Organist!« Der Stasi-Mann entgegnete: »Das Organisieren übernehmen heute andere!«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.