Schulhofspielchen

Manche Konservative würden am liebsten Kindern und Jugendlichen die deutsche Sprache verordnen. Gewonnen wäre damit nicht viel

Bildungsexperten halten es für keine gute Idee, die Sprache auf dem Pausenhof zu regulieren.
Bildungsexperten halten es für keine gute Idee, die Sprache auf dem Pausenhof zu regulieren.

Mario Czaja wollte bewusst polarisieren, als er kürzlich erklärte, auf den Schulhöfen solle nur noch Deutsch gesprochen werden. Außerdem verlangte der CDU-Generalsekretär eine verpflichtende vorschulische Sprachförderung. Die Forderungen passen zur Haltung seiner Partei, die nach den Silvesterausschreitungen in Berlin-Neukölln nach Kräften versucht, sich ordnungspolitisch zu profilieren. Umgehend handelte sich Czaja auch den Vorwurf ein, populistisch zu handeln. »Die CDU ist mit ihrem Getöse im Wahlkampfmodus und fischt mit AfD-Forderungen mal wieder am rechten Rand«, erklärte Nicole Gohlke, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag dem »nd«.

Die Empörung über Czajas Vorschläge ist in Fachkreisen groß. Dabei ist die Debatte über fehlende Deutschkenntnisse an den Schulen nicht neu, schließlich gibt es viele Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien, in denen nur wenig Deutsch gesprochen wird. Die Sprache ist aber ein entscheidender Schlüssel dafür, um in einer Gesellschaft anzukommen. Das bestreitet niemand.

Eine Schule, die einen solchen Weg geht, wie Czaja ihn fordert, ist die Herbert-Hoover-Schule im Berliner Ortsteil Wedding. Bereits seit 2005 ist dort auch auf dem Schulhof Deutsch die Sprache, in der sich verständigt werden soll. »Es kam damals durch die vielen Sprachen häufig zu Konflikten, erklärte der stellvertretende Schulleiter Michael Nix gegenüber dem «Deutschen Schulportal». «Zum Beispiel wenn ein Wort nicht verstanden und als Beleidigung aufgefasst wurde.» Eine Initiative von Schülern, Eltern und Lehrkräften hatte dazu angeregt, das Problem zu lösen, indem eine gemeinsame Sprache gesprochen wird. Zunächst sei das auf Kritik gestoßen, erinnerte sich Nix. «Aber am Ende fanden doch viele gut, dass wir das umgesetzt haben.» Dabei ist es bis heute geblieben.

Gegen eine solche Schulvereinbarung wie an der Weddinger Hoover-Schule hat Heinz-Peter Meidinger nichts einzuwenden. Aber ein generelles Gebot zum Deutschsprechen auf dem Schulhof, wie Czaja es fordert, hält der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes für eine «Alibidiskussion». «Viel entscheidender ist, dass bessere Bedingungen für eine Integration geschaffen werden.» Je früher eine Sprachförderung beginne, desto größer seien die Erfolgsaussichten, erläutert Meidinger mit Verweis auf die Studienlage. Dafür brauche es allerdings eine bessere Unterstützung für Kinder schon im Kita-Alter.

In den Kindergärten gibt es das Programm Sprachkitas, an dem im Oktober 2022 etwa 55 000 Kinder teilgenommen haben. Allerdings gibt es über die Finanzierung einen unrühmlichen Konflikt zwischen Bund und Ländern. Die Bundesregierung will dafür nur noch bis Mitte des Jahres Mittel zur Verfügung stellen und hat an die Bundesländer appelliert, das Programm in Eigenregie fortzuführen. Noch ist unklar, ob dem Aufruf alle Länder folgen werden.

Die Bildungsgewerkschaft GEW setzt sich für ein Fortbestehen der Sprachkitas ein, bei denen Pädagogen Kinder beim Erlernen der deutschen Sprache begleiten. Für Czajas Forderungen hat Anja Bensinger-Stolze kein Verständnis. «Niemand soll ausgeschlossen werden», meint das GEW-Vorstandsmitglied zu «nd». «Vielmehr müssen wir auf Kinder und Jugendliche zugehen, insbesondere dann, wenn sie noch nicht fließend Deutsch sprechen.» Das gelte nicht nur für die Kitas. Auch in den Schulen brauche es gute Konzepte und mehr Lehrkräfte, die Deutsch als Zweitsprache unterrichten, empfiehlt sie.

Ablehnend reagiert auch Gerhard Brand auf Czajas Vorstoß. «Wir können nicht ernsthaft verbieten, dass Geflüchtete aus der Ukraine sich auf dem Pausenhof in ihrer Muttersprache unterhalten», erklärt der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung im Gespräch mit dem «nd». Im Unterricht werde Deutsch gesprochen, das sei eine gängige Vereinbarung. «Aber auf dem Schulhof ist die Sprache frei.»

Die Forderung des CDU-Generalsekretärs greife zu kurz, meint Brand. «Er zielt ja offenbar auf rivalisierende Gruppen ab. Für Lehrkräfte ist es natürlich nicht einfach, Streitereien zwischen ihnen zu schlichten.» Wichtig sei allerdings, dass es vielseitige pädagogische Teams gibt, die mit schwierigen Situationen professionell umgehen können. Diese Teams sollten breit aufgestellt sein und neben Lehrkräften sowie Sozialarbeitern bei Bedarf auch Schulbegleiter, Mitarbeiter der Jugendhilfe oder Integrationshelfer dabei haben.

Allerdings mangelt es in den Schulen bekanntlich an Fachpersonal. Zum Schuljahresbeginn fehlten nach Einschätzung des Deutschen Lehrerverbandes bis zu 40 000 Pädagogen. Die Folgen sind gravierend, viele Schulleiter gaben in dem vergangenen Mittwoch veröffentlichten Schulbarometer der Robert-Bosch-Stiftung an, sie könnten Kinder in ihrer Entwicklung nicht mehr in dem Maße unterstützen, wie sie es eigentlich bräuchten. «Wir benötigen aber eine gute Betreuung. Und dafür brauchen wir mehr Fachkräfte», sagt Brand.

Die GEW fordert längst eine umfassende Ausbildungsoffensive. «Neben dem Ausbau von Studienplätzen müssen wir Lehrkräfte mit im Ausland erworbenen Abschlüssen schneller anerkennen und sie – wenn erforderlich – berufsbegleitend weiter qualifizieren. Für den Quer- und Seiteneinstieg müssen bundesweit gemeinsame Standards entwickelt werden. Dann haben wir eine Chance, dem Lehrkräftemangel kurz- und mittelfristig entgegenzuwirken», meint Stolze-Bensinger. Wichtig sei, dass auch die Fachkräfte angesichts einer zunehmend heterogenen Schülerschaft diverser werden. Die Gewerkschafterin sieht da «noch viel Potenzial brachliegen».

Meidinger regt dagegen dazu an, auf Stadtviertel mit ungünstigen Bedingungen und viel sozialer Benachteiligung ein besonderes Augenmerk zu legen. «Es ist sinnvoll, dort großen Aufwand zu betreiben, um gute Bedingungen für die Schüler zu schaffen.» Er spricht von «Magnetschulen», die man brauche. Die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln ist zu einer solchen geworden.

Einst war diese ehemalige Hauptschule verrufen, Lehrer hatten 2006 einen Brandbrief an den damaligen Bildungssenator Klaus Böger (SPD) geschrieben, in dem sie sich über Sprachbarrieren und Gewaltausbrüche beklagten. Seitdem hat sich viel getan. Die Hauptschule wurde mit der nahe gelegenen Schubert-Grundschule und der Heinrich-Heine-Realschule in eine Gemeinschaftsschule umgewandelt. Auf zuvor unbekannte Weise kooperiert die Schule heute eng mit einer Kita, einem Jugendtreff, einer Berufswerkstatt und einem Stadtteilzentrum. «Wie sich der Rütli-Campus entwickelt hat, ist ein konstruktiver Umgang mit der Problematik», sagt Meidinger.

Es gibt durchaus positive Beispiele und Wege aus der aktuellen Bildungskrise. Das skizzieren Gewerkschaften und Verbände. Mario Czajas Vorschläge wirken dagegen eher wie ein Herumdoktern an den Symptomen.

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