Dicke Luft bei den Finanzen

Neue, aber auch alte versicherungsfremde Ausgaben belasten die gesetzlichen Krankenversicherungen

Nach den Pandemiejahren steht im Gesundheitswesen eine große Krankenhausreform auf der Tagesordnung. So zumindest plant es der zuständige Minister Karl Lauterbach (SPD) gemeinsam mit den Ressortchefs der Bundesländer. Bis zum Sommer soll ein Gesetzentwurf vorliegen. Während der Bundesminister zunächst davon sprach, dass trotz und mit der Reform nicht mehr Geld ausgegeben werden soll als bisher, ist unter anderem die Krankenhausgesellschaft davon überzeugt, dass das nicht funktionieren wird.

Die Finanzquellen der Krankenhausversorgung sind zum einen die Bundesländer, die für die Investitionen zuständig sind, ihren gesetzlich festgelegten Beitrag aber seit Jahren in keinem Teil der Republik erfüllen. Zum anderen kommen für die Betriebskosten die Krankenkassen auf, bislang nach dem Modell der Fallpauschalen, das aber Schritt für Schritt heruntergefahren werden soll. Als Ersatz soll es Vorhaltepauschalen geben, über die unabhängig von der Auslastung feste Sätze für Personal, Energie oder Medikamente finanziert werden. Welche Pauschale auch immer zum Tragen kommt, diese Kosten werden bei den Krankenkassen abgerechnet.

Natürlich schauen sich die Kassenverbände mit Blick auf die Reform ihre eigene Finanzsituation genauer an. So tat dies auch der Ersatzkassenverband (Vdek) und informierte darüber am Dienstag in Berlin. Schon ohne die Kosten neuer Reformen erwarten die Ersatzkassen, zu denen unter anderem die Techniker Krankenkasse, Barmer und DAK-Gesundheit gehören, in diesem Jahr einen Ausgabenanstieg um rund fünf Prozent, 2024 noch einmal vier Prozent mehr. Gleichzeitig verringern sich jedoch die Einnahmen – auch, weil einmalige Maßnahmen entfallen. Gemeint ist hier etwa der Abbau von Kassenrücklagen. So wurden den gesetzlichen Kassen zuletzt 2022 rund zwei Milliarden Euro Versichertengelder »entzogen«, sie werden zur Deckung der Ausgaben verwendet.

Besonders ärgerlich ist das für die Kassen, weil ein solcher Zuschuss nicht nachhaltig ist. Das trifft auch zu für die zum Jahreswechsel verfügte Unterstützung von Pädiatrie und Geburtshilfe. Die Gelder sollen hier der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds entnommen werden, entstammen damit aber ebenfalls den Beiträgen der gesetzlich Versicherten. In Sachen Geburtshilfe wurde das schon vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) moniert, da es sich um einen Teil der Daseinsvorsorge handele. Gemeint ist, dass Geburten per se keine Krankheit sind und die Kosten also eine versicherungsfremde Leistung. Von letzteren gibt es etliche, wie Uwe Klemens erläuterte. Der ehrenamtliche Vdek-Vorsitzende wies daraufhin, dass den gesetzlichen Kassen seit 1949 Bundeszuschüsse gewährt wurden, weil sie für Leistungen des Staates aufkamen. Aber diese pauschalierten Summen reichten längst nicht mehr aus.

»Wir finanzieren höhere Beiträge für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln«, heißt es sogar im Koalitionsvertrag. Inzwischen wurde der Titel der Leistung in Bürgergeld geändert, aber bei der Finanzierung der zugehörigen Krankenversicherung »passiert nichts«, kritisierte Klemens. Auch die Steigerung der Kosten für die Unabhängige Patientenberatung (UPD) von neun auf 15 Millionen Euro im Jahr ist so ein Fall. Bei der Verwendung dieser Mittel dürfen die Kassen nämlich nicht mitreden, einmal unabhängig davon, dass ein Kassendienstleister aktuell die UPD betreibt. Es gibt allerdings Absichten, die Einrichtung in eine Stiftung umzuwandeln. Gerade im letzten Jahr aber hatte das Bundessozialgericht entschieden, dass es gegen das Selbstverwaltungsrecht der Kassen verstoße, wenn der Bund auf deren Gelder zugreift, um eigene Behörden und Aufgaben zu finanzieren. Aus Vdek-Sicht dürfte sich das Urteil auf eine UPD-Stiftung anwenden lassen.

Die Zahlungen für versicherungsfremde Leistungen könnten Peanuts sein im Vergleich mit den Ausgaben für eine Krankenhausreform. Zumal für eine nicht bis zu Ende durchdachte. Ulrike Elsner, hauptamtliche Vdek-Vorstandsvorsitzende, begrüßt die Koalitionspläne zwar grundsätzlich. Ein Problem sei aber, dass die Finanzierung der Vorhaltekosten nach derzeitigen Absichten auf bestehende Strukturen von »Fehl- und Überversorgung in den Ballungszentren« aufbaute. Deshalb sollten aus Elsners Sicht zuerst bedarfsgerechte Strukturen geschaffen werden – unter Einbindung der Krankenkassen. Genau das hatte Lauterbach ausgeschlossen: Seine Krankenhausreform werde keine Rücksicht auf Lobbygruppen nehmen, erklärte der Minister und meinte auch die Kassenverbände. Elsner hingegen verwies auf die Klinikstrukturreformen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen: Dort wurden die Kassen einbezogen.

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