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»Wir müssen unsere eigenen Filme machen«

In ihrem Dokumentarfilm »Midwives« porträtiert Snow Hnin Ei Hlaing eine Muslimin und eine Buddhistin, die in Myanmar trotz Hass und Gewalt als Hebammen zusammenarbeiten

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 7 Min.
Ob Kinder in Myanmar sicher zur Welt gebracht werden können, hängt auch von dem Glauben ihrer Eltern ab.
Ob Kinder in Myanmar sicher zur Welt gebracht werden können, hängt auch von dem Glauben ihrer Eltern ab.

Snow Hnin Ei Hlaing, in Ihrem Film zeigen Sie den Alltag der buddhistischen Hebamme Hla und ihrer muslimischen Assistentin Nyo Nyo, die trotz politischer Konflikte gemeinsam in einer Klinik in Myanmar arbeiten. Was verbindet die beiden Frauen?

Interview

Snow Hnin Ei Hlaing stammt aus Myanmar und arbeitet als freischaffende Dokumentarfilm-Regisseurin, Produzentin, Cutterin und Tonfrau. Sie hat an der Yangon Film School in Myanmar studiert und ein Austauschsemester an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg absolviert. Als Filmemacherin arbeitet sie vor allem zu politischen und sensiblen sozialen Themen wie Armut, Menschenhandel oder Frauenrechte. »Midwives« ist ihr Langfilmdebüt. Der Film wurde im vergangenen Jahr beim Sundance Filmfestival uraufgeführt und dort mit dem »World Cinema Documentary Special Jury Award« ausgezeichnet.

Es ist eine Mentorinnen-Beziehung. Die Gesundheitsversorgung in der Region ist schlecht. Während der Verfolgung der muslimischen Rohingya haben auch viele Buddhist*innen die Region verlassen. Hla wurde klar, dass niemand Muslim*innen würde behandeln können, falls sie selbst nicht mehr dort wäre. Denn ihre Klinik ist die einzige, in der auch Muslimas behandelt werden. So kamen die beiden Frauen auf die Idee, dass Nyo Nyo bei Hla in die Lehre gehen könnte.

Sie selbst sind in der Region, dem westlichen Bundesstaat Rakhaing, aufgewachsen. Warum sind Sie zurückgekehrt, um einen Film zu drehen?

2012 brach der Konflikt aus. Buddhist*innen und Muslim*innen haben sich gegenseitig bekämpft. Das war für mich schwer zu begreifen, denn in meinen Kindheitserinnerungen waren beide Bevölkerungsgruppen befreundet. Plötzlich mussten Rohingya ihre Häuser verlassen oder wurden getötet. Es gab viel Hass. Ich hatte keine Ahnung, warum all das passierte. Meine Verwandten aus Rakhaing erzählten, dass 700 000 Rohingya nach Bangladesch geflohen seien. 60 000 blieben in der Region. Das war der Ausgangspunkt für meinen Film. Ich wollte wissen, wie die Menschen in einer so schwierigen Zeit zusammenlebten. Ich hörte, dass die verbliebene Rohingya-Population stark wuchs. Ich dachte: Wo es schwangere Frauen gibt, gibt es auch Hebammen. So ist die Idee zu einer Geschichte von einer muslimischen und einer buddhistischen Hebamme entstanden.

Diese Idee hatten Sie im Kopf, bevor Sie die beiden kannten?

Ja, ich habe ein paar Monate an dieser Idee gearbeitet und dann zu meiner Tante gesagt: Ich möchte diese beiden Charaktere finden. 2016 sind wir zusammen zu verschiedenen Dörfern gefahren. Nach vier oder fünf Tagen habe ich Hla und Nyo Nyo getroffen.

Warum interessierten Sie sich für Hebammen?

Wenn wir an Konfliktregionen denken, haben wir immer das Bild von männlichen Soldaten vor Augen. Aber es gibt auch viele Frauen und Kinder, die ihr Leben dort weiterleben. Die Frauen weinen nicht jeden Tag. Sie sind eine Woche traurig und dann stehen sie auf und machen weiter. Das wollte ich zeigen.

Wie haben Sie die beiden für Ihren Film gewonnen?

Beim ersten Besuch wollte ich sie erst einmal kennenlernen und erfahren, wie sie leben. Wir sind Freundinnen geworden. Ich habe ihnen dann erzählt, dass ich einen Film mache. Nachdem ich mehrmals dort war, begannen sie, mir wie einer Schwester zu trauen. Das war die Grundlage unserer sechsjährigen Zusammenarbeit.

Welchen Gefahren setzt sich Hla aus, indem sie muslimische Frauen behandelt?

Als sich der Konflikt 2017 verschärfte, stand Hla im Fokus der Aufmerksamkeit. Menschen aus ihrer buddhistischen Community fragten: »Warum hilfst du Muslim*innen, warum tötest du sie nicht?« Auch Mönche setzten sie unter Druck und verlangten von ihr, Muslim*innen nicht mehr zu behandeln. Im Zuge des Konflikts verließ die buddhistische Community das Dorf, nur Hla blieb. Dass ihre Verwandten das nicht akzeptierten, schmerzte sie sehr.

Hla riskiert viel, um zu helfen. Andererseits ist sie oft herrisch, kommandiert Nyo Nyo herum und beleidigt sie. Es scheint, als seien Diskriminierung und Rassismus omnipräsent?

Ja, Rassismus und Diskriminierung sind überall. Hla lebt mit vielen Widersprüchen. Manchmal ist sehr freundlich, aber sie ist auch der Boss in der Region, weil sie die einzige Klinik betreibt. Sie denkt, dass sie anderen Menschen überlegen ist. Die Beziehung von Hla und Nyo Nyo ist von Aufs und Abs geprägt. Dass Nyo Nyo ihre eigene Klinik gründet, ist für Hla nicht einfach. Trotzdem arbeiten die beiden noch zusammen. Hla spricht die Sprache der Rohingya nicht und braucht deshalb eine Übersetzerin. Auch bei den Geburten assistiert ihr Nyo Nyo.

Sie haben fünf Jahre lang immer wieder in dem Dorf gefilmt. Wie hat sich die Situation verändert?

Als ich 2016 anfing, wollte ich den religiösen Konflikt verstehen. Aber zwei Jahre später ging es nicht mehr um dieses Thema. 2019 kam es zum Krieg zwischen dem Bundesstaat Rakhaing und der Armee Myanmars. Es gab Bomben im Dorf, Menschen wurden getötet. Inzwischen geht es um das ganze Land, das unter dem Militärregime leidet. Alle Menschen haben Angst.

Wie war es für Sie als Filmemacherin, in dieser Situation zu drehen?

Schon 2016 konnten keine Journalist*innen und Filmemacher*innen mehr in die Region reisen. Im Dorf gab es Militär-Checkpoints. Ich komme aus Rakhaing und spreche die lokale Sprache. Das war ein Vorteil für mich – auch um das Vertrauen von Hla und Nyo Nyo zu gewinnen. Vor Ort habe ich so getan, als ob ich Verwandte besuchen würde. Jedes Mal hätte ich verhaftet werden können, wenn Soldaten mein Equipment gefunden hätten. Am Anfang habe ich vor allem mit dem iPhone gefilmt – und einer kleinen Sony-Kamera. Später habe ich eine Förderungen bekommen und konnte einen Kameramann mitnehmen. Wir haben uns gegenseitig geholfen und beschützt. Zum Glück hatte ich einen Fahrer, der zu einer Vertrauensperson geworden ist. Er hat immer ein bisschen weiter weg vom Checkpoint gehalten und informierte dann die Soldaten, zu welchem Dorf wir fahren. Er sagte immer etwas anderes, damit sie keinen Verdacht schöpften. Jedes Mal hatte ich Panik. Im Dorf habe ich einen Schal um den Kopf geschlungen, damit niemandem auffällt, dass ich von woanders komme. Ich habe auch nicht mit anderen Buddhist*innen gesprochen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Inzwischen wurde der Film auf internationalen Festivals gezeigt. Was sind mögliche Konsequenzen für die beiden Protagonist*innen?

Bis jetzt sind sie sicher, aber wir sind vorsichtig. In der Region herrscht wieder Krieg zwischen der Rakhaing-Armee und der Militärregierung. Wir haben für Hla und Nyo Nyo einen Sicherheits-Fonds ins Leben gerufen. Wenn irgendetwas passiert, können sie das nutzen, um in ein anderes Land zu fliehen. Das gilt auch für meinen Kameramann.

Was ist mit Ihrer eigenen Sicherheit?

Im Moment kann ich nicht zurück nach Myanmar. Tausende Demonstrant*innen und viele Journalist*innen und Filmemacher*innen wurden seit dem Militärputsch im Februar 2021 festgenommen. Damals dachte ich, dass sich die Dinge schnell ändern würden. Aber dann habe ich verstanden, dass es länger dauern wird. Also musste ich den Film wirklich fertig machen. Als es im Bundesstaat Rakhine einen kurzen Waffenstillstand gab, konnte ich für zwei Wochen dorthin fliegen und die letzten Szenen drehen. Dann bin ich nach Thailand gereist, um mit einem Kollegen aus Kanada den Film zu bearbeiten – und seitdem kann ich nicht mehr nach Myanmar zurück.

Wie geht es für Sie weiter?

Ich habe entschieden, in Deutschland zu bleiben. Das ganze letzte Jahr bin ich gereist und hatte kein Zuhause. Aber so geht es nicht weiter. Mein Leben ist sehr unsicher. Um eine neue Basis aufzubauen, muss ich von null anfangen – weit weg von meiner Familie. Erst dachte ich, dass ich nach Thailand gehe, wo ich gerade an einem Filmprojekt über geflüchtete Frauen arbeite. Aber dort bekomme ich kein Langzeitvisum. In Deutschland kann ich zwei Jahre bleiben.

Sie haben für den Film bewusst sehr viele Gefahren auf sich genommen. Warum denken Sie, dass sich das lohnt?

Einerseits wollte ich einen Film über die Konfliktsituation machen. Ein anderer Grund ist: Ich bin Filmemacherin aus Myanmar. Um internationale Anerkennung zu bekommen, muss ich große Risiken in Kauf nehmen. Filme aus südostasiatischen Ländern sind meistens von Ausländer*innen gedreht. Ich wollte beweisen, dass wir unsere eigenen Filme machen können. Dazu gibt es nur sehr wenige Frauen, die Dokumentarfilme machen. Aber wir müssen unsere eigenen Filme machen, um auch Geschichten von Frauen und Kindern zu erzählen. Das möchte ich der Welt vermitteln.

»Midwives«, Myanmar/Kanada/Deutschland 2022. Regie und Buch: Snow Hnin Ei Hlaing. 92 Min. Jetzt im Kino.

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