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Die Protestbewegung im Iran ist abgeflaut, aber die Wut bleibt
Das Regime der Islamischen Republik geht besonders hart gegen marginalisierte Minderheiten vor
Während viele Iranerinnen und Iraner im Ausland versuchen, die Europäische Union (EU) davon zu überzeugen, die Revolutionsgarde als eine terroristische Organisation einzustufen, erscheinen die Moderatoren des staatlichen Fernsehens mit der Uniform der Garde vor der Kamera. Damit will das Regime seine Entschlossenheit ausstrahlen. Die Islamische Republik droht, die Straße von Hormus zu sperren, falls die EU die Revolutionsgarde auf ihre Terrorliste setzen sollte. Auch auf die neuen Sanktionen seitens der EU und Großbritanniens reagierte Teheran mit der Ankündigung von Gegenmaßnahmen.
Revolutionsgarden sollen auf die Terrorliste
Das Land werde »bald« eine Liste mit neuen Sanktionen gegen »Menschenrechtsverletzer und Unterstützer des Terrorismus in der EU und England« bekanntgeben, sagte Nasser Kanani, Sprecher des Außenministeriums. Und tatsächlich wurden insgesamt 34 Personen und Organisationen auf eine Sanktionsliste gesetzt, wie das Außenministerium am Mittwoch mitteilte. Die Strafmaßnahmen umfassen demnach Einreisesperren und das Einfrieren möglicher Vermögenswerte im Iran. Betroffen sind unter anderem Abgeordnete des Europaparlaments sowie zwei deutsche Offiziere. Der Iran wirft ihnen »Unterstützung von Terrorismus« sowie »Einmischung in die inneren Angelegenheiten« vor.
Die Protestierenden dagegen unterstützen die Verschärfung der Sanktionen und besonders eine mögliche Einstufung der Revolutionsgarde als Terrororganisation. In einem Gespräch über den Kurznachrichtendienst Telegram sagt Pari, eine 27-jährige Frau in Teheran, die aktiv an den Demonstrationen teilgenommen hat: »Die Garde als Terroristen anzuerkennen, ist längst überfällig.« Die Revolutionsgarde ist nicht nur eine militärische Organisation, sie ist auch beteiligt an großen wirtschaftlichen Institutionen des Landes, daher werde es das Regime auch wirtschaftlich unter Druck setzen, wenn man sie als Terrororganisation einstufe, sagt sie.
Regime hat die Lage mit Gewalt in den Griff bekommen
In den letzten Wochen hat das Regime nach über drei Monaten massiver landesweiter Proteste die Lage in den Griff bekommen. Nach den voreiligen Hinrichtungen und Dutzenden Todesurteilen, die auch auch gegen das Verfahrensrecht der Islamischen Republik verstoßen, ist von den großen Straßenprotesten kaum etwas übriggeblieben. »Das Ausmaß der Gewalt seitens des Staates ist überraschend. Jede Hinrichtung verbreitet eine Welle der Enttäuschung in der Gesellschaft«, sagt Sahand, ein 32-jähriger Demonstrant, der selbst an den ersten Protesttagen für über zwei Wochen verhaftet worden war. Diese Gewalt bringe aber auch Wut hervor, sagt er. Das bestätigt auch Pari: »Dass man nicht mehr auf die Straße geht, heißt nicht, dass man mit den Umständen zurechtkommt. Wir platzen bald vor Wut.« Sie setzt ihren Protest weiterhin fort, indem sie ohne Kopftuch in die Öffentlichkeit geht und abends vom Balkon aus »Tod dem Diktator« ruft.
Sahand ist gegen Kaution auf freiem Fuß und wartet auf seinen Gerichtstermin. Vorwurf: Aktionen gegen die nationale Sicherheit, weswegen er bis zu fünf Jahre in Haft kommen könnte. Tausende befinden sich weiterhin in Untersuchungshaft. Betroffen sind vor allem diejenigen, deren Familien sich die von der Staatsanwaltschaft geforderte Kaution nicht leisten können. Weitere Tausende sind bereits vor Gericht gezogen und müssen ihre Gefängnisstrafen absitzen. Einer von ihnen ist Jaschar Daroschafa, der linke Aktivist, der während seiner Promotion in Sozialwissenschaften festgenommen wurde. Daroschafa verteidigte am 23. Januar seine Doktorarbeit über den Wohlstand iranischer Arbeiter*innen nach der Islamischen Revolution im Gefängnis Rajai’i-Schahr in der Nähe von Teheran.
Minderheiten werden besonders stark verfolgt
Laut der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHRNGO) droht gerade mindestens 109 Inhaftierten die Todesstrafe oder deren Vollstreckung. Am härtesten betroffen ist die Provinz Sistan und Belutschistan. Auch unter den 481 ermordeten Protestlern stellen die Belutschen mit 131 Fällen den größten Anteil. In den kurdischen Regionen des Landes sind bisher mindestens 130 Menschen bei den Straßenprotesten oder in Untersuchungshaft ums Leben gekommen.
Daraus lässt sich schließen, dass das Unterdrückungssystem der Islamischen Republik ohnehin Marginalisierte und Benachteiligte schwerer unter Druck setzt und versucht, durch härteres Vorgehen gegen diese die anderen einzuschüchtern. Das zeigt sich auch bei der Vollstreckung der Todesurteile: Alle vier bisher Hingerichteten gehörten als einfache Arbeiter der Unterschicht an.
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