Scholz und Boric üben Schulterschluss

Deutschland und Chile planen Wirtschaftskooperation und Gedenkstätte für Colonia-Dignidad-Opfer

  • Malte Seiwerth, Santiago de Chile
  • Lesedauer: 4 Min.
In Chile haben viele Menschen die Befürchtung, dass die Erlöse aus der Lithium-Gewinnung nicht im Gesundheits- und Bildungssektor landen.
In Chile haben viele Menschen die Befürchtung, dass die Erlöse aus der Lithium-Gewinnung nicht im Gesundheits- und Bildungssektor landen.

Wirtschaft vor Menschenrechten: Die Prioritäten beim ersten Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) in Lateinamerika sind klar. Aber immerhin haben sich Deutschland und Chile dazu entschlossen, mit einer Gedenkstätte an die Opfer der früheren Sektensiedlung Colonia Dignidad erinnern zu wollen. Scholz und der chilenische Präsident Gabriel Boric sprachen sich am Sonntagabend (Ortszeit) nach einem Treffen in Santiago de Chile gemeinsam dafür aus.

Die Idee, auf dem fast 400 Kilometer südlich der chilenischen Hauptstadt gelegenen Gelände eine Gedenkstätte zu errichten, »hat die Unterstützung unserer Regierung, und wir werden uns entsprechend beteiligen«, sagte Scholz, vermied es aber konkrete Daten zu nennen. Boric bedankte sich für die Bereitschaft der deutschen Regierung, zur Suche nach der Wahrheit beizutragen: »Wir unterstützen das komplett. Der chilenische Staat kämpft unermüdlich für die ganze Wahrheit und Gerechtigkeit.« Ein Indiz für die dennoch nachrangige Bedeutung des Themas war die Abwesenheit der eigentlich dafür zuständigen chilenischen Subsekretärin für Menschenrechte, Haydee Oberreuter.

Für die deutsche Wirtschaft war der Besuch von umso größerer Bedeutung. Deutschland ist im Wettrennen um Rohstoffe und Absatzmärkte in Lateinamerika ins Hintertreffen geraten. Um diese Position zu verbessern und wichtige Grundstoffe für die Industrie der Zukunft zu sichern, seien Kooperationsverträge unerlässlich, hatte die deutsche Industrie- und Handelskammer vor der Reise des Kanzlers betont. In Chile und Argentinien befinden sich die weltweit größten Lithiumvorkommen, an deren Abbau die führenden Industrienationen der Welt interessiert sind.

In Buenos Aires, der ersten Station seiner Reise, hatte Scholz eine große Anzahl direkter Investitionen in dem krisengebeutelten Land verkündet. Beide Regierungschefs sprachen von einer baldigen Ratifizierung des Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Staatenverbund Mercosur, zu dem unter anderem Brasilien und Argentinien gehören. Der argentinische Präsident Alberto Fernández meinte, mit der Regierungsübernahme von Luiz Inácio »Lula« da Silva in Brasilien sei es der richtige Moment, um solche Projekte wieder anzustoßen.

In Chile wurden zwei Erklärungen für mehr Wirtschaftskooperation im Bergbau unterzeichnet: einmal zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit dem chilenischen Bergbauministerium über eine deutsch-chilenische Partnerschaft für Bergbau, Rohstoffe und Kreislaufwirtschaft; ein zweites zur Kooperation der Hamburger Kupferraffinerie Aurubis mit der chilenischen staatlichen Kupfermine Codelco.

Bundeskanzler Scholz betonte, dass man Verträge auf Augenhöhe schließen wolle. Ziel seiner Politik sei es, die Ursprungsländer der Rohstoffe an den Einnahmen zu beteiligen. Es sei unverständlich, dass zum Teil nicht einmal erste Schritte der Weiterverarbeitung in den rohstoffabbauenden Ländern durchgeführt würden.

Für die Zukunft erwarte man in Argentinien und Chile den Ausbau der Produktion des sogenannten grünen Wasserstoffs, der später nach Europa exportiert werden soll. In Argentinien versprach Präsident Fernández baldige Gasexporte aus dem Fracking der Ölschiefer-Lagerstätte Vaca Muerta in Patagonien, das ökologisch höchst bedenklich ist. Scholz lobte derweil die derzeitige Testproduktion von synthetischen E-Fuel-Kraftstoffen durch Porsche und Siemens im Süden Chiles, dem chilenischen Patagonien.

Symbolisch waren Menschenrechte auf der Reise des Kanzlers omnipräsent. In Argentinien besuchte Olaf Scholz die Gedenkstätte »Parque de la Memoria« und traf sich mit Vertreter*innen der Menschenrechtsorganisation »Großmütter der Plaza de Mayo« sowie der »Vertretung der Angehörigen von verschwundenen politischen Gefangenen« während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-83).

Wie eng die Verbindungen zu den Nutznießern der Militärdiktaturen von damals weiterhin sind, zeigte sich während des von der deutsch-chilenischen Handelskammer organisierten Wirtschaftstreffen mit Scholz am 30. Januar in Santiago de Chile. Das Treffen fand im Tánica-Firmengebäude statt. Die unter anderem im Immobiliensektor, im Tourismus und der Hotellerie aktive Unternehmensgruppe, die bis 2019 Empresas Transoceánica hieß, war 1954 von dem Deutschen Wilhelm Schiess gegründet worden, der 1948 nach Chile emigriert war. Schiess hatte gute Beziehungen zur Militärdiktatur der Pinochet-Ära von 1973 bis 1990. Sein Sohn Christoph Schiess, der 1998 das Geschäft übernahm, unterstützte während der Wahlkampagne zum Verfassungskonvent im Jahr 2020 die Kandidatur der rechtsextremen Constanza Hube vom neoliberalen Thinktank Libertad y Desarrollo (Freiheit und Entwicklung).

Die Rolle ehemaliger Unterstützer der chilenischen Militärdiktatur wurde einzig von Präsident Boric zu Sprache gebracht. Ohne Namen zu nennen, meinte er, es sei bedenklich, dass Einrichtungen wie die Colonia Dignidad von Persönlichkeiten unterstützt wurden, die weiterhin in der Politik aktiv sind. Nach dem Treffen bei Tánica machte sich Olaf Scholz auf den Weg nach Brasília, der letzten Station seiner Reise durch Südamerika.

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