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Ein Neuanfang mit Hindernissen
Sächsische Gedenkstättenstiftung hat nach »verlorenem Jahrzehnt« ehrgeizige Pläne
Für die Gedenkstättenlandschaft in Sachsen wird 2023 ein bemerkenswertes Jahr. Zunächst wird im Frühjahr eine neue Ausstellung in Großschweidnitz eröffnet. Sie erinnert an 5500 kranke Menschen, die dort in der NS-Zeit ermordet wurden. Im Herbst soll in Torgau die lange überfällige Überarbeitung einer Dauerausstellung beendet sein, die an die Opfer der NS-Militärjustiz erinnert. Zudem steht die Eröffnung einer Gedenkstätte im ehemaligen Zuchthaus Hoheneck in Aussicht, in dem in der DDR Frauen aus politischen Gründen inhaftiert wurden. An all diesen Orten wird nach außen hin sichtbar ein Neuanfang beim Gedenken vollzogen.
Einen Neuanfang, der öffentlich weniger wahrgenommen wurde, gab es auch im Inneren der Stiftung. Deren Geschäftsführung übernahm im September 2021 der Historiker Markus Pieper, der zuvor etwa bei der Stiftung Ettersberg in Weimar und zuletzt in der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur tätig war. Er trat die Nachfolge von Siegfried Reiprich an, dessen Amtszeit von NS-Opferverbänden als »verlorenes Jahrzehnt« bezeichnet worden war. Sie warfen der von ihm geführten Stiftung eine Unwucht vor; NS-Gedenkstätten sahen sich bei der Verteilung von Mitteln benachteiligt.
Zudem kritisierten Ehrenamtliche und Mitarbeiter schlechte Kommunikation und Führungskultur; Konflikte landeten oft beim Arbeitsgericht. Im nationalen Diskurs zur Gedenkpolitik spielte die sächsische Stiftung keine Rolle mehr; sie habe sich »erinnerungspolitisch abgeschottet«, sagt Pieper. In einer Evaluation 2019 hagelte es Kritik von Fachleuten.
In den knapp anderthalb Jahren seit seinem Amtsantritt sei »ein Neustart gelungen«, sagt Pieper nun. Beschäftigte berichten von einer deutlich verbesserten Arbeitsatmosphäre. An bundesweiten Tagungen und Konferenzen beteiligen sich auch wieder Vertreter sächsischer Gedenkorte. Nicht zuletzt lobt etwa die sächsische Landesarbeitsgemeinschaft »Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus« (sLAG) eine deutlich regere Kommunikation, regelmäßige Kontakte und die Beteiligung der Stiftung an ihren Veranstaltungen: »Das hat sich deutlich verbessert«, sagt Sprecherin Daniela Schmohl. Es sei gelungen, das über Jahre beschädigte Vertrauen binnen Kurzem wieder aufzubauen, freut sich Pieper. »Ich wurde überall mit offenen Armen empfangen.«
Die Stiftung bemüht sich angesichts dessen um mehr als atmosphärische Verbesserungen. Man wolle sich stärker als »Agentur« für die erinnerungspolitische Arbeit im Freistaat profilieren, sagt der Geschäftsführer. Diese finde nicht nur in den sechs Gedenkstätten in ihrer eigenen Trägerschaft statt, sondern an vielen weiteren Erinnerungsorten und in lokalen, ehrenamtlich tätigen Vereinen und Initiativen. Sie sollen stärker als bisher unterstützt werden. So sind jährliche Workshops geplant, die der besseren Vernetzung der vielen Engagierten dienen, sich aber etwa auch der Frage widmen könnten, mit welchen Methoden sich Wissen über die Geschichte in einer Zeit vermitteln lässt, in der immer weniger Zeitzeugen leben. Auch praktische Informationen könne es geben, etwa zur Beantragung von Fördermitteln.
Die Stiftung würde erinnerungspolitisches Engagement in Sachsen gern auch selbst stärker unterstützen, gerät dabei aber schnell an Grenzen, sagt Pieper. Hauptgrund: Sie ist personell und finanziell schlechter ausgestattet als vergleichbare Einrichtungen in anderen Bundesländern. In der Stiftung, den von ihr getragenen sechs Gedenkstätten und einer Dokumentationsstelle zur Klärung von persönlichen Schicksalen arbeiten 40 Beschäftigte. Pieper verweist darauf, dass allein die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in Bayern über rund 50 Stellen verfüge. In vielen Gedenkorten in Sachsen gibt es dagegen nicht einmal eine Vollzeitstelle für die wichtige pädagogische Arbeit.
Auch der Etat der Stiftung erweist sich für den gewünschten Neuaufbruch als zu bescheiden. Die »Öffnungsoffensive« habe dazu geführt, dass zahlreiche Initiativen und Einrichtungen mit der Stiftung kooperieren wollen. Das mündet in vielen Förderanträgen, die das vorhandene Budget indes absehbar sprengen. »Wir wollen gern beraten und unterstützen«, sagt Pieper. Die vorhandenen Mittel erlaubten das aber nur in sehr begrenztem Umfang. Er drängt auf eine Aufstockung der Gelder. Es müsse sich jetzt zeigen, »inwieweit Bund und Land den von der Politik und allen anderen geforderten Aufbruch der Stiftung tatsächlich ermöglichen«.
Vom Freistaat erhält die Stiftung in diesem Jahr 4,7 Millionen Euro, ein Anstieg um mehr als eine Million gegenüber dem vorigen Jahr. 2024 steigt das Budget auf 5 Millionen. Das ist nicht zuletzt der Aufnahme neuer Gedenkstätten etwa in Großschweidnitz und auf dem Chemnitzer Kaßberg geschuldet. Im Landtag habe die Koalition aus CDU, Grünen und SPD entschieden, mehr Mittel als von der Regierung vorgesehen bereitzustellen, betont die Grünen-Abgeordnete Claudia Maicher. Damit könne die Stiftung die bestehenden und neue Gedenkstätten »angemessen betreiben und fördern sowie die landesweite Förderung und Beratung von Projekten zur Aufarbeitung und historisch-politischen Bildung ausbauen«. Die Kulturpolitikerin räumt auf nd-Anfrage aber ein, es bleibe eine »große Herausforderung«, mit dem jetzigen Personalbestand die Entwicklung neuer Bildungsangebote oder stärkere Kooperationen mit Wissenschaft und Bildungsträgern zu bewerkstelligen.
Auf mehr Ressourcen für die Stiftung drängen auch Vereinigungen wie die sLAG. Wegen personeller Engpässe sei diese immer wieder schwer erreichbar, Beratung sei zeitweise nicht möglich, Förderanträge würden teils nur schleppend bearbeitet. »Für die vielen Menschen, die sich in ihren Orten ehrenamtlich um die Aufarbeitung der Geschichte kümmern«, sagt Sprecherin Daniela Schohl, »ist das sehr entmutigend.«
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