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  • Theaterstück »Alles ist aus, aber wir haben ja uns (Unterwasser)«

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Das neue Stück von Bonn Park ist sanft wie ein Windows-XP-Hintergrundbild. Nun wurde es am Münchner Volkstheater

  • Dorte Lena Eilers
  • Lesedauer: 5 Min.
Versammelt man sich hier, um nicht allein zu sein? Bonn Park präsentiert uns eine Kitsch-Szenerie sondergleichen.
Versammelt man sich hier, um nicht allein zu sein? Bonn Park präsentiert uns eine Kitsch-Szenerie sondergleichen.

Das Theater von Bonn Park ist ein Narkotikum. Verführerisch sanft und damit subtil gefährlich. Während andernorts stilisierte Reichsembleme und Slavoj-Žižek-Texte das politische Gefüge unserer Gegenwart abstecken, wie in der »Antigone«-Inszenierung von Mateja Koležnik am Residenztheater, oder über den Tod nachgedacht wird, wie im neuen Stück des Kabarettisten Gerhard Polt an den Kammerspielen, wiegen sich am Volkstheater am letzten Premierenwochenende in München Seeanemonen im Strom der Tiefsee. Rosarote Muscheln klappen träge ihre Mäuler auf und zu, glitzernd umspielt von den schuppigen Fischschwänzen der Meerjungfrauen.

»Alles ist aus, aber wir haben ja uns (Unterwasser)« ist ein Anti-Theater. So könnte man es im Hinblick auf das politisch engagierte und politisch aussehen wollende Theater unserer Gegenwart bezeichnen. Ein Anti-Theater, das ebenfalls politisch ist – indes auf eine hintergründige und verwickelte Art.

Parks neues Stück, dessen Uraufführung der Autor selbst übernahm, lullt einen von Anfang an ein mit seiner seltsam somnambulen Art. Zu zarten Harfenklängen (Musik: Ben Roessler) hebt sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf eine fröhlich ironiefrei präsentierte Kitsch-Szenerie: Vor einem rosarot ausgeleuchteten bühnengroßen Paravent, der einer Muschelschale gleicht, schlüpfen aus drei kleineren Muscheln drei Nixen und beginnen sogleich zu singen. Bei Park und Roessler klingt das dann so: »Aaaaaaalles ist aaaaaaauuuuuuus! Aaaaaaaber wir haben ja uuuuuuuns.« Sodann werden uns die Protagonisten dieser »Romcom« vorgestellt: Hugh, Premierministerin der Meerjungfrauenwelt, Emma, ihre Schwester, Colin, Hughs und Emmas Vater, Li, Kaiserin eines fremden Reichs … Klingelt da was?

»Romcom« ist die gängige Abkürzung für »romantische Komödie«, ein Subgenre der Filmkomödie, in der es um die Liebe und ihre Verwicklungen geht. Park verwendet dieses Genre als Blaupause, insbesondere die britische Romcom »Love Actually« mit – Achtung! – Hugh Grant in der Rolle des britischen Premiers, Emma Thomson als seine Schwester, Colin Firth als ein befreundeter Schriftsteller; Natalie wiederum heißt das Love-Interest von Hugh Grants Figur. Auf bizarre Art und Weise dekliniert Parks Stück die emotionstriefende Story anhand aktueller Gefühlslagen durch. Es geht um die Einsamkeit des Individuums, Selbstsorge, Achtsamkeit und das Bei-sich-Sein in einer Welt voll äußerer Erwartungen.

Hugh: »Na ja, ob ich wirklich ich bin, ob ich bei mir bin, ob ich die Dinge mache, die ich machen will, oder die Dinge, die andere machen, und ich gar nicht wirklich ich bin.« – Li: »Hugh, das ist so dumm. Du bist du. Niemand anderes ist du …!« Was hier noch nach einer halbwegs ernsthaften Identitätssuche klingt, wird immer wieder durch völlige Quatschdialoge konterkariert. Hugh: »Oh, Mann, trubelwubel! Beim Poseidon, das ist mir alles so peinlich!« Ja, so war er, Hugh Grant in »Love Actually«: ein knuffiger, etwas hochnotpeinlicher Premier mit Dackelblick.

Park ist ein sehr exakter Beobachter unserer Medienrealität, deren Untiefen er uns zeigt, indem er sie nicht zeigt. 2003, als »Love Actually« in die Kinos kam, hatte gerade der echte britische Premiere Tony Blair im Bündnis mit den USA seine Einwilligung für den Irak-Krieg erteilt, der, wie sich schnell herausstellte, auf Basis falscher Anschuldigungen geführt wurde, Stichwort: Massenvernichtungswaffen. Im Stück taucht der Verweis auf eine auch heute kriegerische Außenwelt einzig in einer kurzen wie flapsigen Radiopassage auf: »Rom. Die Krise geht weiter. Es sieht überhaupt nicht gut aus … Hier Caeser: Ich mach alles kaputt, ist mir egal, und ich bleib auch lang im Amt … Danke nach Rom … Hier noch O-Töne von Dingen, die brennen und explodieren und sterben.«

Laura Kirst (Bühne) und Leonie Falke (Kostüme) haben für diesen medialen Verblendungszusammenhang eine Welt geschaffen, die zwischen Computerspiel und Aqua-Musical der 40er und 50er Jahre changiert, ebenfalls zwei Formate, in denen der Mensch wegtaucht vor der Realität.

Selbst die Rasanz der Bewegung im digitalen Raum hat Park integriert. Statt komplizierter Szenen- und damit Ortswechsel sind seine Figuren, an Ort und Stelle verharrend, von einer Sekunde auf die andere »einfach da«, als hätten sie sich im Metaverse mal eben per Mausklick eine Ebene weiter gebeamt. Alles ist hier »wohltemperiert« wie ein Windows-XP-Hintergrundbild. Eine ausladende weiße Showtreppe überwölbt die Bühne, umkränzt von illustren Säulen und Poseidon-Statuen, zwischen denen die Meerjungfrauen, konsequent genderneutral, strahlen wie Fantasiewesen aus einem Manga.

Das ist so schrecklich schön, dass es einen gruselt und berührt zugleich. Warum? Weil die Sehnsucht des Menschen nach Nähe, zumal in einer Welt des Digitalen, nicht wegzublenden ist. Als Zuschauer gerät man dadurch in einen heiklen Zustand. Das Ensemble wirkt in seiner Spielfreude derart verführerisch, dass man sich dem Abend kaum entziehen kann, ohne freilich ignorieren zu können, dass die eigentliche Love-Story gewollt dünn ist. Nach Ibiza geht es am Schluss. Wie bei Tschechow nach Moskau.

Sehnsucht, Hoffnung, Weltflucht – tatsächlich könnte man Bonn Parks Personal als moderne Tschechow-Figuren begreifen, die sich statt auf einem Landgut in der Unterwasserwelt des Metaverse versammelt haben, um nicht allein zu sein, bis das von allem ablenken wollende Geplänkel wie bei Tschechow durchbrochen wird von erschütterndem Schweigen. »Alle lachen herzlich auf. Zum Glück hat jemand einen Witz gemacht. Kurze Stille, die lang ist.«

Nächste Vorstellungen: 6. und 15.2.
www.muenchner-volkstheater.de

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