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Zangengriff mit extremer Zerstörungskraft
Die Türkei ist aufgrund tektonischer Verwerfungen stark erdbebengefährdet, doch die aktuelle Katastrophe ist besonders verheerend
Das Erdbeben, das in der Nacht zum Montag die türkisch-syrische Grenzregion verwüstete, hatte eine besonders verheerende Zerstörungskraft. Es ereignete sich 26 Kilometer östlich der Kleinstadt Nurdagi, die Erdstöße breiteten sich von dort in nordöstlicher Richtung aus. Starke Nachbeben verschärfen die Lage.
Für die große Zerstörungskraft gibt es zwei Gründe: Das eine ist die geringe Tiefe des aktuellen Erdbebens, die bei nur 17,9 Kilometer liegt. Je näher an der Erdoberfläche, desto stärker sind dort die Erschütterungen. Das andere ist die hohe Magnitude, die laut den Seismographen der Messstellen 7,8 auf der nach oben offenen Richterskala ergab. »Von den tödlichsten Erdbeben eines Jahres waren nur zwei in den vergangenen zehn Jahren von gleicher Stärke«, erklärt Joanna Faure Walker, Leiterin des UCL Institute for Risk and Disaster Reduction in London. Die frei gesetzte Energie eines Erdbebens kann sich mit der Stärke potenzieren: »Das Erdbeben in der Türkei setzte etwa 250 Mal so viel Energie frei wie das Erdbeben der Stärke 6,2 am 24. August 2016 in Amatrice (Mittelitalien), bei dem 300 Menschen ums Leben kamen«, so die Geologin. »Die höhere Magnitude und die freigesetzte Energie haben zur Folge, dass ein viel größeres Gebiet betroffen ist.«
Erdbeben sind in der Region keine Seltenheit. Dies hängt mit der unglücklichen geografischen Lage der Türkei zusammen, wo der gesamte Norden und Ostens Anatoliens als gefährdet gilt. In den vergangenen 50 Jahren waren hier vier starke Erdbeben registriert worden, zuletzt im Jahr 2020, wobei das aktuelle aber das stärkste ist. Experten ziehen Vergleiche zum Erdbeben von 1822, das viele Städte vollständig zerstörte und viele Opfer forderte.
Erdbeben werden meist durch großräumige tektonische Vorgänge in der äußeren Erdhülle verursacht. Riesige Platten drücken aufeinander, es entstehen Verwerfungen – Bruchstellen, an denen zwei Gesteinsbereiche oder Krustenteile gegeneinander versetzt sind. Hier verhaken sich die Gesteine, und Spannung baut sich auf. Wird diese zu stark, bricht das Gestein, und die Spannung wird als sich rasch ausbreitende Erdbebenenergie freigesetzt. In der Türkei drücken die eurasische und die zur afrikanischen Platte gehörende arabische Platte aufeinander. Quer durchs ganze Land zieht sich die nordanatolische Verwerfung, weit im Osten trifft sie auf die ostanatolische Verwerfung, die Richtung Südwesten verläuft. Das Erdbeben entstand am südlichen Ende der ostanatolischen Verwerfung, in der Nähe der Kreuzung mit der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Totes-Meer-Transformationsstörung. »Die Anatolische Platte mit der Türkei darauf befindet sich in einer gigantischen geologischen Schraubzwinge«, schreibt das Wissenschaftsmagazin »spektrum.de«.
Der Seismologe Martin Mai von der King Abdullah University of Science and Technology in Saudi-Arabien vermutet, dass ein möglicher Grund für die Schwere des Bebens die mit rund 400 Kilometern ungewöhnlich lange Bruchzone ist. Nur bei wenigen historischen Beben an Transformstörungen habe man so eine lange Bruchzone beobachtet.
Die tatsächliche Zerstörung eines Erdbebens ergibt sich indes nicht nur aus der Stärke. »Die Zahl der Todesopfer hängt auch von der Anzahl der Menschen in dem betroffenen Gebiet sowie von der Qualität und der Bauweise der Gebäude« ab, erläutert Geologin Faure Walker. Die betroffene Gegend ist dicht besiedelt. Nach dem schlimmen Erdbeben von 1999 verabschiedete die türkische Regierung 2004 ein Gesetz, das vorschreibt, dass alle Bauten modernen erdbebensicheren Standards entsprechen müssen. »Nun wird es wichtig sein zu überprüfen, ob diese Standards bei allen seither errichteten Gebäuden eingehalten wurden und ob die Anforderungen ausreichend sind.«
Viele Gebäude sind indes erheblich älter, und in Syrien sieht die Lage nach den Zerstörungen im Bürgerkrieg ganz anders aus. Fachleute befürchten, dass die Zahl der Erdbebenopfer in die Zehntausende gehen könnte. Bei der Suche nach Verschütteten besteht immer weniger Hoffnung, denn erwartungsgemäß werden nach 48 Stunden kaum noch Lebende geborgen. Auch könnten starke Nachbeben zu weiteren Zerstörungen führen – die gibt es bisweilen noch Monate danach.
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