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Ein Dauerläufer
Der Linke-Politiker Hans Modrow war bis ins hohe Alter politisch aktiv
Hans Modrow ist ein Phänomen: Nicht mal ein halbes Jahr war er Regierungschef eines untergehenden Staates; das ist fast 35 Jahre her. Andere Kurzzeit-Protagonisten aus jenen Zeiten sind längst vergessen, sein Name ist noch immer ein Begriff. Denn als Modrow Ministerpräsident der DDR war – von November 1989 bis März 1990 –, wurde Weltgeschichte geschrieben. Und er war mittendrin. Er versuchte die DDR in eine bessere Zukunft hinüberzuretten, aber das war vergeblich. Der mächtige Bonner Kanzler Helmut Kohl neben dem schmächtigen Ostberliner Premier Hans Modrow – das sind die Verhältnisse der deutschen Vereinigung in einem Bild.
Modrow ist ein politischer Langstreckenläufer; auch deshalb kennt man ihn noch immer. Schon beim Studium an der Komsomol-Hochschule in Moskau in den 50ern schrubbte er selbst bei hartem Frost seine Kilometer, mit der Parteizeitung »Prawda« unterm Pullover, gegen die Kälte. Mit 90 musste er zu seinem großen Bedauern aufhören zu joggen. Die Gelenke machten nicht mehr mit. Er stieg auf den Hometrainer um. In seinem Arbeitszimmer in der Karl-Marx-Allee empfing er gern Gäste; umgeben von Stapeln und wandhohen Regalen voller Bücher und Dokumentenordner erörterte er die Lage der Partei und der Welt, zog aus seiner Jahrhunderterfahrung die ganz großen Linien und Bögen, wollte aber auch die Meinung anderer erfahren.
»Wir müssen mal wieder reden«, sagte er bei gelegentlichen Anrufen in der nd-Redaktion; zu bestimmten Themen »müssen wir was unternehmen«. Immer wieder dieses Wir: Modrow übernahm Verantwortung, und er fühlte sich verantwortlich, auch ohne Funktion. Immer besorgt, immer in Bewegung. Er war lange Politiker in Berlin und Dresden, Abgeordneter in Berlin, Bonn und Brüssel; aber auch danach mischte er sich ein. Freundlich im Ton, zuweilen hart in der Sache. Als Ehrenvorsitzender der PDS, später als Vorsitzender des Linke-Ältestenrates las er den Parteiführungen, den jüngeren Generationen gern mal die Leviten. »Wir konnten und mussten uns das eine oder andere anhören. Es hat nicht geschadet, im Gegenteil«, schreiben seine Weggefährten Gregor Gysi und Dietmar Bartsch in einem Nachruf. Nicht alle wollten ihm zuhören; als Modrow das Gefühl hatte, dass seine Ansichten kaum noch interessierten, zog er sich aus dem Linke-Ältestenrat zurück.
Man kann das Leben des Hans Modrow nur verstehen aus der Grunderfahrung des Krieges, den er als Jugendlicher erlebte. Das hat ihn geprägt: seinen Antifaschismus, seinen Willen, in der DDR etwas Neues aufzubauen, seinen Beitrag zum friedlichen Verlauf der Wende, seine Vermittlungsversuche zwischen Nord- und Südkorea. Es gehört zum bedrückenden Teil dieses Lebens, dass es ganz am Ende wieder vom Krieg eingeholt wurde. »Die Narben sind geblieben – ich spüre sie mit meinen 94 Jahren stärker denn je«, schrieb er letztes Jahr in einem Beitrag für »nd«. Am Wochenende ist Hans Modrow im Alter von 95 Jahren gestorben.
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