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- Biathlon-WM 2023 in Oberhof
Bøs Dominanz wirkt abschreckend
Bei der Biathlon-WM sorgt Seriensieger Johannes Thingnes Bø mit viertem Gold für Langeweile
Der Dienstag der zweiten Woche ist der schwierigste Tag. Das wussten die Veranstalter der Biathlon-Weltmeisterschaften in Oberhof schon vor vielen Monaten, als sie die Ticketpreise festlegten. Für keinen anderen Tag mussten Fans weniger bezahlen, um die weltbesten Athleten live zu sehen, und doch waren 26 Euro für eine Streckenkarte und mindestens 55 Euro für eine auf der Haupttribüne offenbar immer noch viel zu viel, um die extra für die WM noch mal ausgebaute Rennsteig-Arena auch nur halbwegs zu füllen. Zum Einzel der Männer, das Norwegens Star Johannes Thingnes Bø gewann, hatten gerade mal 12 000 Zuschauer den Weg nach Oberhof gefunden. Für mehr als 27 000 wäre eigentlich Platz gewesen.
Die Veranstalter hatten vermutlich darauf gehofft, dass sich insbesondere mehr Familien auch in der Woche in Richtung Thüringer Wald aufmachen würden, schließlich haben derzeit neben den Thüringern auch die Schüler in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern Ferien. Doch wenn Kinder ab elf Jahren auch schon den vollen Preis zahlen müssen, ist so ein WM-Besuch für eine Durchschnittsfamilie bereits ein sehr teures Unterfangen.
Betrachtet man darüber hinaus die fehlende Spannung, die der Wettbewerb aller Wahrscheinlichkeit nach bieten würde, ist erklärlich, warum die Stimmung in Oberhof im Vergleich zur fast ausverkauften Arena am Sonntag diesmal merklich gedämpfter blieb. Zu groß ist die Dominanz von Norwegens Männern um den Serienweltmeister Bø, um beispielsweise auf einen Erfolg eines einheimischen Biathleten zu hoffen. Der 29-Jährige hat in Oberhof bislang alle vier Rennen, zu denen er angetreten war, auch gewonnen: Mixed-Staffel, Sprint, Verfolgung und nun das Einzel.
Alles deutet darauf hin, dass er seinen persönlichen Rekord von vier Titeln bei einem Großereignis – das gelang ihm bereits bei den Weltmeisterschaften 2019 in Östersund und während der Olympischen Spiele 2022 in Peking – nun noch übertreffen wird. Maximal drei Rennen hat er noch vor sich, wenn ihn seine Trainer alle Wettkämpfe bestreiten lassen. Und es müsste schon eine Menge schieflaufen, bevor die Norweger am Samstag in der Staffel nicht auch ganz vorn landen. Immerhin gewann Sturla Holm Lægreid am Dienstag mit Silber auch schon seine vierte Medaille. Ohne seinen überragenden Landsmann vor ihm wäre Lægreid bereits dreifacher Weltmeister von Oberhof. Im Einzel über 20 Kilometer schafften es erneut vier Norweger in die Top Ten. Dem Schweden Sebastian Samuelsson gelang es dabei zum zweiten Mal, den skandinavischen Nachbarn mit Bronze wenigstens eine Medaille abzujagen.
Auf der von der Sonne bei Plusgraden aufgeweichten Strecke war Bøs Dominanz noch erdrückender als in den Tagen zuvor. Zwar leistete sich der Gesamtweltcupführende zwei Schießfehler und erhielt dafür ebenso viele Strafminuten, doch im ganzen Feld gab es lediglich drei Läufer, die bei fehlerfreiem Schießen theoretisch hätten davon profitieren können.
Einer davon war Martin Ponsiluoma, der lange versuchte, das Tempo des Weltmeisters mitzugehen. »Aber es wurde jede Runde weicher und schwerer«, sagte der Schwede, der sich schließlich am Schießstand erschöpft zitternd vier Strafminuten einhandelte. Deutschlands Bester an diesem Tag, der fünftplatzierte Benedikt Doll, hätte selbst ohne seine zwei Strafminuten noch mehr als eine Minute hinter Bø gelegen.
Für Oberhof ist so ein Tag nicht ganz unproblematisch. Jahrzehntelang galt der Mittelgebirgsort als unersetzlich im Weltcupkalender, schließlich waren hier Fernsehbilder von regelmäßig mehr als 20 000 begeisterten Fans garantiert. Doch Tschechien, Norwegen und Frankreich holen in dieser Sparte bereits seit Jahren immer weiter auf. Und deren Orte sind entweder schneesicherer oder bieten dank weniger Nebel häufiger schöne Panoramaaufnahmen.
Zwar strahlte auch am Grenzadler an diesem Dienstag die Sonne vom blauen Himmel, aber wenn selbst eine Weltmeisterschaft nicht mehr wie früher die Massen anlocken kann, haben die Oberhofer auf Dauer gesehen ein Problem. Der Biathlon-Boom in Deutschland ebbt eindeutig ab, und somit fehlt das Alleinstellungsmerkmal, das den zweiten deutschen Weltcup-Ort davor schützen könnte, von einem internationalen Kontrahenten verdrängt zu werden. Immerhin sind all jene, die noch kommen, fachkundig genug, um sich die besten Plätze auszusuchen. »Man hat schon gemerkt, dass es heute weniger Leute waren«, meinte Martin Ponsiluoma. »Aber zum Glück haben sich die Leute an der Strecke heute wenigstens an den Anstiegen versammelt, um uns da hochzubrüllen.«
Zum Wochenende wird die Arena an beiden Tagen wieder voll sein: auf der Strecke und den Tribünen. Dann stehen täglich auch zwei Rennen an. Dass bei den Männern die Sieger dann mal nicht aus Norwegen kommen, muss aber bezweifelt werden.
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