Bauprojekt nächste Koalition

Während die Parteien mögliche Bündnisse noch sondieren müssen, äußern Verbände ihre Wünsche

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Nach der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl am Sonntag muss sich die Berliner Linke jetzt etwas in Geduld üben. Noch ist keine Einladung zu einem Sondierungsgespräch eingegangen, sagt Landesgeschäftsführer Sebastian Koch am Dienstag. Das wundert ihn aber keineswegs. Denn die CDU als künftig stärkste Kraft im Parlament hatte noch am Wahlabend angekündigt, SPD und Grüne zu Sondierungsrunden zu bitten und dort auszuloten, ob eine Koalition der CDU mit der SPD oder den Grünen möglich wäre. Rechnerisch geben die neuen Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus beide Varianten her.

Möglich ist aber auch die Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition, und das scheint im Moment auch das Wahrscheinlichste zu sein: wegen der größeren inhaltlichen Schnittmengen und weil Franziska Giffey (SPD) dann Regierende Bürgermeisterin bleiben könnte. Es gehört jedoch zu den Gepflogenheiten im politischen Geschäft, dass zunächst der Wahlsieger einlädt – und das ist nun einmal die CDU – und dass sich die SPD erst einmal anhört, was ihr die CDU zu sagen und zu bieten hat, bevor sich die Sozialdemokraten gegebenenfalls mit Grünen und Linken treffen.

»Wenn es eine Einladung gibt, dann werden wir da hingehen«, kündigt Linke-Landesgeschäftsführer Koch wenig überraschend an. Ob und mit wem im Ergebnis von Sondierungen Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden, wird dann vermutlich ein Parteitag entscheiden. Ein Vorstandsbeschluss würde zwar ausreichen, aber auch 2021 wurde diese Entscheidung einem Parteitag überlassen. Montagabend wertete der Linke-Landesvorstand bei einer Sitzung mit den Bezirksvorsitzenden die Wahl aus und verständigte sich anschließend über eine Strategie für die kommenden Tage und Wochen.

Am Dienstagnachmittag gab es die erste Sitzung der Linksfraktion per Videokonferenz. Groß verändert hat sich die Zusammensetzung der Fraktion nicht. Einen neuen Alten habe man, sagt Pressesprecher Thomas Barthel und meint damit Ex-Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel, der nun der Fraktion angehört. Aber ausgerechnet Scheel habe sich für diesen Tag aus familiären Gründen entschuldigt. Bei der virtuellen Fraktionssitzung wollten sich die Abgeordneten unter anderem darüber verständigen, wann sie ihren Fraktionsvorstand wählen. Am Dienstag sollte das noch nicht erfolgen. Ohnehin tritt das durch die Wiederholungswahl bestimmte Parlament erst am 16. März zusammen.

Während sich die Parteien noch sortieren, äußerten Initiativen und Verbände ihre Wünsche. Die Wirtschaft kann dabei kaum verhehlen, dass ihr ein Regierender Bürgermeister Kai Wegner von der CDU offensichtlich gut in den Kram passen würde, obwohl das natürlich niemand so direkt formuliert. Es gebe viel Handlungsbedarf, aber wenig Fortschritte bei Wohnungsbau, Verkehr und Bildungspolitik, meint etwa Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg. »Gerade auf diesen Feldern haben die bisherigen Regierungsparteien die größten Differenzen«, urteilt er. »Bei einer Neuauflage der bisherigen Koalition sehen wir daher die Gefahr, dass es weiterhin kaum vorangeht. Die demokratischen Parteien sollten daher bei der Regierungsbildung alle Varianten ausloten, die mehr Fortschritt bei diesen zentralen Themen versprechen.«

Sebastian Stietzel, Präsident der Industrie- und Handelkammer, wünscht sich mutige Bildungsreformen statt der Ausbildungsplatzumlage, die eine Herzensangelegenheit von Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) ist, und statt Enteignungsplänen ein wachstumsfreundliches Klima im Senat, das »Unternehmen, Investoren, Touristen und Fachkräfte in Berlin willkommen heißt«.

»Das Ergebnis der Wiederholungswahl zeigt, dass die Berlinerinnen und Berliner vom Senat mehr erwarten. Ein ›Weiter so‹ kann es unter diesen Vorzeichen nicht geben«, findet Robert Momberg, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands Ost. »Es braucht eine Koalition, von der Aufbruch und Entschlossenheit ausgehen. Dazu gehört auch das klare Bekenntnis zum Bauen.«

Im Gegensatz dazu drückt die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen nicht nur verklausuliert aus, was für einen Senat sie sich wünscht. »Nur wer enteignet, kann auch regieren«, betont Sprecherin Gisèle Beckouche unter Berufung auf die fast 60 Prozent Zustimmung beim Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen« im Jahr 2021. »Die nächste Regierung muss ein Vergesellschaftungsgesetz schreiben und einen klaren Zeitplan für die Enteignung großer Immobilienkonzerne vorlegen.« Berlin brauche keine Koalition der Immobilienlobby, sondern eine Koalition, die für die Mieter kämpfe. Die CDU lasse jedoch keinen Zweifel daran, dass sie nicht gewillt sei, den Volksentscheid umzusetzen, so die Initiative. Wohnungen mit dauerhaft bezahlbaren Mieten sind ein dringliches Thema, weiß der Berliner Mieterverein. Mit freundlichen Appellen an die Wohnungswirtschaft werde der Senat nicht auskommen, es brauche deutliche ordnungsrechtliche Leitplanken und umfangreiche staatliche Gelder, sagt Geschäftsführerin Ulrike Hamann. Sie forderte die Parteien auf, »zügig eine Regierung zu bilden und keine Zeit zu verlieren«. Zurzeit werde massiv bezahlbarer Wohnraum vernichtet – »durch den Verlust von Sozialbindungen, durch Umwandlung in Eigentumswohnungen, Abriss, Luxusmodernisierungen und durch Eigenbedarfskündigungen«.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) spricht sich gegen einen Weiterbau der Stadtautobahn A100 aus und fordert unter anderem eine Verschärfung der Baumschutzverordnung. Für den Naturschutzbund (Nabu) sagt Landesgeschäftsführerin Melanie von Orlow, das Ergebnis der Wiederholungswahl zeige ganz klar: »Weder das ewige Credo ›Bauen, bauen, bauen« der SPD noch die einseitige Konzentration auf die Verkehrspolitik seitens der Grünen hat die Berlinerinnen und Berliner überzeugt.» Eine ökologische Stadtentwicklung könne nur funktionieren, «wenn die Politik die Menschen in den Außenbezirken mitnimmt».

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