Aus Gaspipelines sollen Wasserstoffleitungen werden

Brandenburgs Wirtschaftsminister stellt Studie zur Alternativversorgung vor

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Umstieg auf die ausschließliche Nutzung erneuerbarer Energien wird nach Ansicht von Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) zu einem Protektionismus in gesamteuropäischem Maßstab führen. Wenn Europa konsequent den Weg des Ersatzes für Kohle, Erdgas und Erdöl gehe, dann »sehenden Auges in einer teurere Produktion«, sagte er am Donnerstag in Potsdam bei der Vorstellung einer Studie zum Ausbau des Wasserstoffnetzes. Gegen die wesentlich billiger produzierten Waren aus Staaten, die weiter auf fossile Energieträger setzten, könne sich Europa nur mit Importaufschlägen schützen. Sie würden nicht Schutzzölle heißen, »aber es wird diese Wirkung haben«.

Steinbach verwies auf 320 Akteure, die er hinter seinem Steckenpferd Wasserstofftechnologie versammeln konnte. Aus Steinbachs Sicht ist diese Technologie für energieintensive Industrien wie die Stahl- und Zementproduktion, die Glasindustrie, für große Heizkraftwerke und das Verkehrswesen geeignet. Klimaschädliches Kohlendioxid entsteht in diesem Prozess nicht. Klar müsse sein, dass man beim Aufbau des Wasserstofftransportnetzes die Startphase nicht verschlafen dürfe, wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral werden wolle.

Ein von Steinbach beauftragtes Wissenschaftlerteam legt in der jetzt präsentierten Studie dar, unter welchen Bedingungen in Brandenburg ein Leitungsnetz für den Wasserstofftransport entstehen könnte. Bis zum Jahr 2030 soll das Wasserstoffnetz eine Gesamtlänge von 687 Kilometer haben und sich dann bis 2045 auf rund 1100 Kilometer erstrecken, wobei zu großen Teilen auch schon bestehende Gasleitungen dafür genutzt werden könnten. Die »größte Herausforderung« bestehe darin, die Verbindung zwischen Eisenhüttenstadt und Cottbus neu zu bauen. Die Gesamtinvestition würde sich auf 1,22 Milliarden Euro belaufen, aber eine »sichere Versorgung Brandenburgs mit Wasserstoff technisch darstellbar« machen.

Der SPD-Minister versicherte, dass nur freie Gasleitungen verwendet würden. So sei die Leitung, durch die das Gas aus der Nordstream-Pipeline fließen sollte, ungenutzt und stehe für solche Zwecke zur Verfügung. Allerdings sind laut Steinbach eine Reihe von Fragen noch ungeklärt. Sie müssten nun beschleunigt beantwortet werden, um die bis 2028 zur Verfügung stehenden EU-Mittel für Planung und Bau der Pipeline-Struktur auch wirklich ausgeben zu können. Diesbezügliche Genehmigungsverfahren sollten Priorität haben. Auch bei optimalem Ausbauverlauf wäre die Energiebereitstellung durch Wasserstoff laut Steinbach nach heutigen Maßstäben aber unwirtschaftlich. Erst eine Verteuerung der Kohlendioxidzertifikate von heute 80 Euro auf etwa 100 Euro würde diese Technologie konkurrenzfähig machen.

Der mit der Studie befasste Planungsingenieur Florian Temmler sagte, dass man bei der Projektierung erforderlicher neuer Trassen berücksichtigen sollte, dass diese nicht durch Schutzgebiete führen. Auch Unterquerungen von Straßen- und Bahnlinien gelte es so weit wie möglich zu vermeiden. Er unterstrich, dass bei diesen Überlegungen nur das »übergeordnete Transportnetz« in den Blick genommen worden sei. Die Wasserstoffverteilung auf regionaler und lokaler Ebene müsste zusätzlich umgesetzt werden.

Laut Steinbach müsse die freie Wirtschaft den größten Teil der Investitionen für das Wasserstoffnetz tragen. »Vater Staat wird es nicht als eine eigene Infrastruktur bereitstellen können.« Ein Referenzprojekt entstehe im Zementwerk Rüdersdorf. Dort werde auch gleich noch ein Verfahren entwickelt, um die entstehende Abwärme für das Heizen von Wohnungen zu nutzen.

Rund die Hälfte des im »Endausbau« 2045 in Brandenburg benötigten Wasserstoffs könnten im Land selbst erzeugt werden. Das setzt Steinbach zufolge allerdings voraus, dass sich die Produktion der erneuerbaren Energien gegenüber dem bisherigen Umfang noch einmal verdoppelt. Nur auf dieser Grundlage könnten sich die energieintensiven Industriezweige von den fossilen Energieträgern lösen.

Thorsten Spillmann von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG, der die Studie koordinierte, sagte, als Flächen für die Errichtung der nötigen Anzahl von Wind- und Solaranlagen seien vor allem die ausgekohlten Tagebauflächen geeignet. Steinbach ergänzte, dass Anlagen in der Ostsee ein Zusatzangebot bereitstellen müssten.

Um das Endziel zu erreichen, ab 2045 im Wirtschaftsleben kein Kohlendioxyd mehr zu emittieren, »haben wir wenig Alternativen«. Steinbach lobte Brandenburg als Vorreiter, nirgends seien die Vorarbeiten profunder und fortgeschrittener. Berlin sei in diesen Plänen berücksichtigt, müsse sich aber darauf vorbereiten, seinen eigenen finanziellen Beitrag dazu zu leisten.

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