- Kultur
- Berlinale
Schöne neue Datenwelt
Berlinale-Wettbewerb »BlackBerry« von Matt Johnson
Am Anfang ist die Stunde der Erfinder. Das sind liebenswerte kanadische Chaoten, die Freude daran haben, etwas Neues zu entwickeln, das keine bloße Fortsetzung des Alten ist. An Geld denken sie dabei erst einmal nicht. Wie wäre es etwa mit einem Telefon, das zugleich E-Mails empfangen kann? Für so etwas muss der Bedarf allerdings erst geschaffen werden – die Stunde der Verkäufer ist gekommen, und da geht es dann plötzlich nur noch ums Geld. Das Versprechen der völligen Ortsunabhängigkeit geht einher mit grenzenlosen Konsumangeboten rund um die Uhr, rund um den Globus.
Ist die Erfindung des ersten Smartphones eigentlich eine Erfolgsgeschichte oder die der freiwilligen Unterwerfung unter die intelligente Maschine, die für viele eben vor allem ein Spielzeug, ein mobiles Gerät zur Vernichtung der Zeit geworden ist, ihr anderes triviales Ich?
Matt Johnson hat nach dem Roman »Losing the Signal« die Geschichte von Aufstieg und Fall des BlackBerry, der ersten Smartphonmarke der Welt zwischen 1996 und 2006 verfilmt. Es ist ein Lehrstück in Sachen Vampirismus des Marktes, der den Dingen erst jeden Wert aussaugt und sie dann desinteressiert wegwirft. Wie das BlackBerry. Anfangs war jedes zweite Smartphone ein BlackBerry, heute ist dieses Gerät bereits vergessen. Eine Sackgasse der technischen Evolution, wie jener großartige Rückprojektionsfernseher, den ich besitze, eine Kreuzung aus Fernseher und Kinoprojektor. Um das Jahr 2000 das Neueste weit und breit und heute schon ein Museumsstück.
Die Welt der Erfinder prallt auf die Logik der Vermarktung. Mike Lazaridis (Jay Baruchel) ist ein innovativer Kopf, aber ein miserabler Geschäftsmann. Niemand will bauen, was er erfindet. Und das ist einiges. Seine Firma basiert auf Enthusiasmus und Selbstausbeutung. Höhepunkte sind die gemeinsamen Filmabende, bei denen man am liebsten Filme von Steven Spielberg sieht. Aber Mike muss seine Erfindungen schleunigst verkaufen, denn er hat einen Bankkredit aufgenommen, den er zurückzahlen muss. Und bisher wird er von den »Piraten« der Computerbranche gnadenlos übers Ohr gehauen.
Regisseur Matt Johnson, 37 Jahre alt und per Internet sozialisiert (wo auch seine ersten Filme liefen), spielt selbst den Mit-Erfinder Doug, einen Hans-im-Glück-Typ, der sich gegen die Kommerzialisierung der wundersamen Welt ihrer Erfindungen vergeblich wehrt und schließlich – auf dem Höhepunkt des Erfolgs von BlackBerry – das Unternehmen im Streit verlässt und heute als einziger von den BlackBerry-Erfindern ein vermögender Mensch ist.
Dougs und Mikes Anspruch an Technik ist hoch, zu hoch wohl für Massenproduktion. In jedem chinesischen Modem, sagen sie, steckt eine Nachlässigkeit, darum gehen sie so schnell kaputt. Aber er kann das reparieren, denn er versteht die Technik, auch die neueste. Und dann trifft er auf Jim Balsillie (glatt und gierig wie ein Hai: Glenn Howerton), der gerade wegen seines unfair geführten Karrierekampfes woanders rausgeflogen ist. Er wird Geschäftsführer und vergiftet sofort die unschuldige Welt der Exzentriker und Phantasten mit Intrigen, Tricks und Erpressungen. Der gewöhnliche Lauf der Dinge hat begonnen – und »BlackBerry« erzählt die Geschichte im Hightech-Tempo auf fesselnde Weise, obwohl man von Anfang an weiß, wie die Geschichte in Wirklichkeit endete: mit dem Untergang von BlackBerry.
Was ist ein BlackBerry eigentlich? Das erste 1999 auf den Markt kommende Smartphone, mit dem es möglich war, mobil ins Internet zu gehen. In den folgenden Jahren wurde es immer weiter verbessert und galt als ebenso modern wie sicher, vor allem verbrauchte es wenig Datenvolumen und auch die Akkus hielten länger. Aber eines Tages waren das keine Wettbewerbsvorteile mehr.
Dieses einstige Erfolgsprodukt der Kommunikationstechnik starb 2008 einen schnellen unwürdigen Tod. Was machte es plötzlich zum Dinosaurier, dem das Etikett »ausgestorben« anhaftet? Während Apple Touchscreen-Geräte auf den Markt brachte, setzte BlackBerry weiter auf die traditionelle Tastatur – was das Ende für den BlackBerry war. Denn die Käufer wollten nur noch Touchscreen – warum, das bleibt ein psychologisches Rätsel. Wie überhaupt Kommunikation und Datenhandel als milliardenschwere Produkte Rätsel bleiben – eine virtuelle Welt, die unsere Werte gründlicher verändert hat, als wir ahnen.
Matt Johnson hat sich in seinen bisherigen Filmen bereits mit dem Phänomen der Kommunikation, ihrer Manipulation und Umfunktionierung zur Ware beschäftigt. Oft drehte er undercover an authentischen Orten, wie in »The Dirties« (2013) in einer Schule mit versteckter Kamera und auf dem Nasa-Gelände für »Operation Avalanche« (2016). Den Verantwortlichen der Weltraumbehörde wurde eine Legende aufgetischt, wie sie sich die darin geübten DDR-Dokumentaristen Heynowski & Scheumann nicht besser hätten ausdenken können. Studentenfilm – so etwas klingt immer gut und vor allem harmlos, das unterstützt jeder gern. In Wahrheit aber ging es Johnson in seinem Film um die Mondlandung der Apollo-Mission, die er als fiktive Studio-Produktion zeigt.
Das ist eben auch Kommunikation, in Form kommerziell verbreiteter Technik: die falsche Rede, die falschen Bilder, die falschen Schlüsse. Widersprüche innerhalb komplexer Zusammenhänge dagegen kommen hier nicht vor. Denn der Konsument soll nicht zweifeln und zögern, sondern Ja sagen ohne Vorbehalt. Schöne neue Welt, auch ohne die BlackBerrys, an deren freigewordene Stelle sofort andere Kommunikationstechnologie-Konzerne traten.
Ein rasant-unterhaltsamer und dennoch nachdenklicher Film über ein Stück sich verselbstständigender Kommunikationstechnologie. Und wehe, Marktlogiken verbinden sich mit ideologischen Absichten, etwa in Zeiten des Krieges.
»BlackBerry«, Kanada 2023, Regie: Matt Johnson, Drehbuch: Matt Johnson/ Matthew Miller, mit Jay Baruchel, Mike Lazaridis, Glenn Howerton und Matt Johnson, 121 Minuten; Termine: So. 19.2. 18 Uhr, Verti Music Hall, Mo. 20.2. 13 Uhr Cineplex Titania
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.