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Den Rechten nicht das Feld überlassen
Ex-Chefin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau schildert ihre Sicht auf Ukraine-Krieg und Linke
Kurz vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine gerieten Vertreter der Stadt Seelow und des Landkreises Märkisch Oderland bundesweit in die Schlagzeilen. Am 17. Februar 2022 hatten Landrat Gernot Schmidt, Seelows Bürgermeister Jörg Schröder (beide SPD) sowie die Kreistagsvorsitzende und Landtagsabgeordnete Bettina Fortunato und der Vorsitzende der Seelower Stadtverordnetenversammlung, Wolfgang Heinze, einen Brief veröffentlicht. Er war an Wladimir Putin gerichtet und enthielt eine Einladung an den russischen Präsidenten: 2022 wollte man das 50-jährige Bestehen der Gedenkstätte auf den Seelower Höhen begehen, die nicht zuletzt der Erinnerung an Zehntausende sowjetische Soldaten gewidmet ist, die hier in einer der furchtbarsten letzten Schlachten gegen die faschistische Wehrmacht im April 1945 ihr Leben ließen.
Im »Spiegel«-Interview verteidigte der Landrat seinerzeit Aussagen wie jene, dass man »tief beunruhigt vom verbalen Aufrüsten in großen Teilen der westlichen Welt« sei. Zu dem Zeitpunkt hatte bereits ein großer russischer Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine stattgefunden. In dem Schreiben hatten die Unterzeichnenden auch versprochen, darauf hinzuwirken, »ein Bedrohungsempfinden Russlands durch ein weiteres Vorrücken der Nato nach Osten auszuschließen«.
Zu dem Brief stehe die Seelower Linke auch jetzt noch, sagt Uwe Hädicke vom Linke-Stadtvorstand am Samstag auf einer Veranstaltung für Mitglieder und Sympathisanten der Partei. Der Raum der Begegnungsstätte der Volkssolidarität in der Kreisstadt ist bis auf den letzten Stuhl besetzt, rund 50 Frauen und Männer sind gekommen, um Kerstin Kaiser zuzuhören und sich mit ihr auszutauschen. Die langjährige Linke-Abgeordnete im Brandenburger Landtag war von 2016 bis zu dessen unfreiwilliger Schließung im April vergangenen Jahres Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) in Moskau. Bis zum August hat sie dort noch gelebt. Am 1. April hätte das Büro unter normalen Umständen den 20. Jahrestag seines Bestehens feiern können. Außer Kaiser waren in Moskau zehn Personen für die Stiftung tätig, alle russische Staatsbürger. Sie alle stünden nun ohne berufliche Perspektive da.
In Seelow gab Kaiser eine umfassende Einschätzung der Lage in Russland nach dem Beginn des Krieges, berichtete von den Repressalien, denen die Stiftung dort ausgesetzt war – und von einem Überfall auf das Stiftungsbüro in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Russlands Krieg gegen die Ukraine, stellt Kaiser klar, sei ein durch nichts zu rechtfertigender völkerrechtswidriger Akt. Die vorangegangene jahrzehntelange Konfrontationspolitik des Westens gegenüber Russland dürfe man jedoch nicht ignorieren.
Kaiser teilt offenbar auch die Kritik, die Hädicke zu Beginn am Bundesvorstand geäußert hat – beziehungsweise an dessen Beschluss vom vergangenen Donnerstag, die Mitglieder allgemein zur Beteiligung an Friedenskundgebungen und Aktionen zum Jahrestag des russischen Angriffs aufzurufen, nicht jedoch zur von Ex-Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht und der Journalistin Alice Schwarzer initiierten Kundgebung am 25. Februar am Brandenburger Tor in Berlin. Eine »Nichtentscheidung« sei das gewesen, bemerkt Kaiser. Er hat zuvor klargestellt, die Seelower Linke werde sich zu eben jener Kundgebung auf den Weg machen.
Später sagt Kaiser, auch mit Blick darauf, dass AfD-Politiker wie der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla das »Manifest für Frieden« von Schwarzer und Wagenknecht unterzeichnet haben und ihre Wähler zur Teilnahme an der Demo ermuntern, man dürfe doch nicht »der AfD das Feld überlassen«. Es gelte klarzumachen, dass Linke aus völlig anderen Gründen für ein schnelles Ende des Krieges und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine seien. Während die rechte AfD »das System Putin« großartig finde, neoliberal und antisozial sei, das 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung unterstützt habe, stünden Linke an der Seite sowohl der unter dem Krieg leidenden Ukrainer*innen als auch auf der der unter Sanktionen leidenden Bevölkerung Russlands und der Familien dort, deren Söhne im Krieg verheizt würden.
Das Eintreten für ein Ende des Tötens werde heute von Medienvertretern und Politikern massiv denunziert, konstatierte Kaiser. Das diene klar dazu, Stimmen aus dem gesellschaftlichen Diskurs auszugrenzen, die dem Narrativ widersprächen, Frieden und Sicherheit für die Ukraine könne es nur mit ihrem vollständigen militärischen Sieg geben.
Kaiser lässt zugleich keinen Zweifel daran, dass das politische System Russlands sich umaufhaltsam von einer autoritären Herrschaft zu einer Diktatur entwickelt. Täglich würden dutzendfach Verordnungen und Gesetze vom Kreml erlassen, die der Unterdrückung und Kriminalisierung jeglicher Opposition dienten. Sie würden »auch nach Ende des Krieges weiter gelten«. Gleichwohl sei die Zustimmung zu Putin nach wie vor groß und zuletzt wieder gewachsen. Die Politik des Westens seit Kriegsbeginn habe viele politisch Interessierte wieder »auf seine Seite gezogen«. Zugleich assoziierten in Russland viele Menschen seit langem mit Demokratie »die Katastrophe der 1990er Jahre«, also Ausverkauf der Werte des Landes an eine Oligarchenclique, monate- bis jahrelang ausbleibende Lohnzahlungen, rasant wachsende Armut und Gewalt.
Für Kaiser ist gleichwohl klar: »Russland hat diesen Krieg verloren, als er begann.« Die Machtclique im Kreml habe mit der Invasion »die Zukunft des eigenen Landes verbaut«.
Zugleich weist sie darauf hin, dass Kiew den Separatismus im Donbas lange vor Beginn des Bürgerkrieges in der Ostukraine 2014 durch Gewalt gegen die Bewohner, massive Diskriminierung und Nichtauszahlung von Renten gefördert habe. Wegen der extremen Armut seien bereits vor der russischen Invasion 2,5 Millionen Ostukrainer ausgewandert.
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