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  • Globaler Süden und der Krieg in der Ukraine

Verurteilung des Angriffskrieges ja, Waffenlieferungen nein

Der Globale Süden ist skeptisch gegenüber dem Westen und bringt Verhandlungsinitiativen ins Spiel

Der Angriffskrieg war noch wenige Tage entfernt, als im UN-Sicherheitsrat eine bemerkenswerte Rede gehalten wurde. Der Redner war Kenias UN-Botschafter Martin Kimani und der Anlass war die Dringlichkeitssitzung nach der Anerkennung der beiden ukrainischen Regionen Luhansk und Donezk durch Russland als unabhängige Staaten am 21. Februar 2022. »Herr Präsident, Kenia, wie fast alle Länder Afrikas, wurde durch das Ende eines Imperiums geboren«, sagte Kimani. »Unsere Grenzen waren nicht von uns selbst gezogen worden. Sie wurden in den fernen kolonialen Metropolen London, Paris und Lissabon gezogen – ohne Rücksicht auf die alten Nationen, die sie voneinander trennten.«

Bekanntlich ist der afrikanische Kontinent alles andere als frei von kriegerischen Konflikten und nicht wenige wurzeln in der willkürlichen Grenzziehung der Kolonialmächte. Die Konflikte spielen sich in den Nationalstaaten ab. Dass afrikanische Länder Gebietsansprüche mit Gewalt in Nachbarstaaten durchsetzen wollen, ist eine Rarität wie beim eritreisch-ähiopischen Krieg 1998 bis 2000. Dennoch hatte Kimani bei seiner Rede recht: »Wir haben uns entschieden, den Regeln der OAU (Organisation für afrikanische Einheit, inzwischen Afrikanische Union) und der Charta der Vereinten Nationen zu folgen – nicht weil uns unsere Grenzen genügten, sondern weil wir etwas Größeres wollten, das in Frieden geschmiedet wurde.« Deswegen erteilte Kimani schon drei Tage vor Beginn des Angriffskrieges einem solchen Ansinnen eine grundsätzliche Abfuhr: »Wir haben Irredentismus (die Zusammenführung möglichst aller Vertreter einer bestimmten Ethnie in einem Staat, d. Red.) und Expansionismus auf jeder Grundlage, einschließlich rassischer, ethnischer, religiöser oder kultureller Faktoren, abgelehnt. Wir lehnen ihn auch heute ab.«

So entschieden wie Kenia positionieren sich nicht alle Länder des Globalen Südens. Die Grundsätze werden jedoch aus leidvoller Erfahrung geteilt, ob in Afrika, Asien oder Lateinamerika. Der Munich Security Report stellte vor der Sicherheitskonferenz erstmals in dieser Offenheit fest: »Kein einziger Staat Afrikas oder Lateinamerikas ist Teil der lockeren Koalition, die Sanktionen gegen Russland verhängt hat.« In Asien beteiligen sich nur Japan, Südkorea und Singapur sowie die chinesische Insel Taiwan an der Sanktionspolitik – und damit am Bestreben, die alte, vom Westen dominierte Weltordnung zu stabilisieren. Dasselbe Motiv, sich an den Sanktionen zu beteiligen, haben auch die ozeanischen Regionalmächte Australien und Neuseeland.

Nicht erst seit Brasiliens Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva beim Besuch des deutschen Kanzlers Olaf Scholz Ende Januar sich als Vermittler und einen »Friedensclub« ins Spiel brachte, dem neben Brasilien, Indonesien, Indien oder China angehören könnten, gibt es Initiativen aus dem Globalen Süden, dem Angriffskrieg am Verhandlungstisch zu begegnen. Im Juli 2022 regte der Friedensnobelpreisträger von 1987, der frühere Präsident Costa Ricas, Óscar Arias, an, die Nato solle vor möglichen Verhandlungen den Abzug aller US-Atomsprengköpfe aus Europa und der Türkei vorbereiten, um Russland einen Anreiz zu bieten. Sobald sich Russland und die Ukraine über die Bedingungen eines Friedensvertrages einig wären, könne der tatsächliche Abzug erfolgen. Ob dieser von Arias und dem Vorsitzenden des Global Security Institute, Jonathan Granoff, vorgeschlagene Ansatz Putin an den Verhandlungstisch gebracht hätte oder bringen würde, bleibt offen. Einen Versuch wert wäre es.

Brasiliens Präsident Lula blieb auch nach seinem Besuch im Weißen Haus am 10. Februar bei seiner Haltung: Verurteilung des Einmarsches Russlands, aber keine Waffenlieferungen und keine Sanktionen gegen Russland seitens Brasiliens. Stattdessen wolle er eine »Gruppe von Ländern bilden, die nicht direkt oder indirekt in den russischen Krieg gegen die Ukraine involviert sind«. Diese solle dazu beitragen, »dass Frieden geschaffen werden kann«.

Lula hat angekündigt, in wenigen Wochen nach Peking zu reisen und mit seinem dortigen Amtskollegen Xi Jinping Gespräche zu führen. »Chinas Führung gehört zu den Wenigen auf der internationalen Bühne, die Moskau nicht ignorieren kann«, sagte Wolfgang Ischinger, ehemaliger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, in einem »Focus«-Interview. Für den ersten Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine hat China eine eigene Friedensinitiative angekündigt. Sie wird wie Lulas Initiative von den meisten Analysten als nicht allzu aussichtsreich eingestuft. Dafür lieferte Ischinger den Grund gleich mit: »Das würde in den USA vermutlich nicht die größte Freude auslösen.«

Im Globalen Süden ist die Sicht, dass es sich bei dem Ukraine-Krieg auch um einen Stellvertreterkrieg handelt, um die Weltordnung mit der USA als Hegemonialmacht aufrecht zu erhalten, verbreitet. Und die Corona-Pandemie hat im Globalen Süden weiter Vorbehalte gegen den Westen wachsen lassen. Während China und Russland aus strategisch-solidarischen Gründen ihre Impfstoffe billig exportierten oder verschenkten, beharrten die westlichen Industriestaaten auch nach den eingestrichenen Milliardengewinnen auf dem Patentschutz für Biontech, Moderna und Co. Kein Wunder, dass der Munich Security Report konstatiert, dass es »in weiten Teilen der Welt« Sympathien für eine multipolare, »nachwestliche« Weltordnung gebe.

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