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Cate Blanchett: »Weibliche Narrative fehlen«

Special Gala der Berlinale: Ein Gespräch mit Cate Blanchett, die in »Tár« die Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker spielt

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
Cate Blanchett als Chefdirigentin – gibt es weder in den großen deutschen noch US-amerikanischen Orchestern.
Cate Blanchett als Chefdirigentin – gibt es weder in den großen deutschen noch US-amerikanischen Orchestern.

Im Film leitet Lydia Tár die Berliner Philharmoniker. Die Chefdirigentin lässt sich »Maestro« nennen, sie ist sehr fordernd, harsch und sie hat eine klare Machtposition. Tár könnte auch ein Mann sein. Sie haben sich aber entschieden, die Geschichte einer Frau zu erzählen.

Interview

Cate Blanchett, Jahrgang 1969, spielt die Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker in dem Musikdrama »Tár«, das von weiblicher Macht, Manipulation und #MeToo handelt und bei der Berlinale in der Special-Gala läuft. Für ihre Rolle bekam die australisch-amerikanische Schauspielerin einen Golden Globe. Und einen Oscar bekam sie 2004 und 2013 (für »Aviator« und »Blue Jasmine«.)

Wir können viel nuancierter darauf blicken, wie schwierig es ist, Macht loszulassen. Wenn jemand eine autoritäre und einflussreiche Position besitzt, ist es das Mutigste, sie aufzugeben.

Vor Lydia Tár haben Sie schon viele starke Charaktere verkörpert. Königin Elisabeth I., die Elbenherrscherin Galadriel in »Herr der Ringe«, Lady Macbeth

Lady Macbeth ist eine außergewöhnliche Schöpfung, eine sehr komplexe Person. Man erinnert sich an sie, weil sie verletzlich ist, aber von ihr auch eine wahnsinnige Kraft ausgeht. Lydia Tár ist eine sehr kraftvolle Person. Sie macht einen tiefgreifenden Wandel durch. Ich denke bei »Tár« nicht über Gender nach, aber wir sprechen darüber die ganze Zeit. Es ist immer noch ein Problem für uns alle. Uns fehlen weibliche Narrative. Deshalb kann man keine einfache Beziehung zu Lydia aufbauen. Wir sind Charaktere wie sie nicht gewohnt. Deshalb hoffe ich, dass »Tár« das Publikum richtig packt.

Welchen Stellenwert haben Frauenfiguren im Filmbusiness?

Als ich beim Film angefangen habe, bedienten Frauen ein bestimmtes Gefühlsspektrum. Vielleicht zwei oder drei Stufen von Emotionen. Leute sprachen darüber, ob sie eine weibliche Schauspielerin attraktiv finden, ob sie sich von ihr angezogen fühlen und ob sie sie sympathisch finden. Wenn eine Frau heute das Narrativ anführt, muss sie edel und anmutig sein. Sie soll uns etwas lehren und uns an einen neuen, schimmernden Ort führen. Aber Frauen sind Menschen! Wir sind fehlerhaft und machen Fehler. Und darin liegt das Drama.

Lydia Tár verabredet sich allein mit der jungen, attraktiven Cellistin Olga zum Abendessen. Ist sich Lydia dessen bewusst, dass sie ihre Position ausnutzt?

Wir lassen vieles im Vagen, was zwischen Olga und Lydia passiert. In unserer Gesellschaft urteilen wir oft viel zu schnell über Beziehungen, die in der Öffentlichkeit stattfinden und von denen wir nur oberflächliche Informationen haben.

Für Lydia Tár steht die Kunst über dem Menschen. Der Student Max ist nicht ihrer Meinung, für ihn ist Bach ein misogyner Komponist, der es ihm unmöglich mache, sich als pansexuelle POC-Person mit seinem Werk zu beschäftigen. Letztlich entlarvt Lydia öffentlich Max Ego.

Im Zentrum steht die Frage, warum mich eine Person auf eine bestimmte Weise wahrnimmt und nicht anders. Aus Lydias Sicht erzählt Max Mist über Bach, obwohl er sich mit Bachs Werk nicht tiefgreifend auseinandergesetzt hat. Lydia fordert ihn auf, zu ihr auf die Bühne zu kommen und setzt sich mit ihm ans Klavier. Sie möchte, dass er Bachs Werk wahrnimmt, aber das tut er nicht. Als er den Raum verlässt, hat sie keine Zeit, um sich um ihn zu kümmern. Das ist ein Problem unserer Gesellschaft. Wir nehmen Zwischenmenschliches nicht mehr wahr. Wir eilen immer gleich zum nächsten Meeting, wir müssen alles sofort auf den Punkt bringen und wir führen keine nuancierten Unterhaltungen mehr. Lydia ist ein Opfer dieser Umstände.

Sie haben sich neun Monate auf die Dreharbeiten vorbereitet. Schließlich haben Sie die Dresdner Philharmoniker, die im Film die Berliner Philharmoniker spielen, selbst dirigiert. Haben Sie ein Gefühl von Macht gespürt?

Ich möchte nicht von Macht sprechen. Das ist mir zu allgemein. Es war ein erhebendes, elektrisierendes, furchteinflößendes Gefühl. Eine Freundin half mir, mich auf das Dirigieren vorzubereiten und die Partitur zu lesen. Sie sagte zu mir: »Du bereitest dich in der Stille vor, du bekommst ein Gefühl für Bewegung und Klang, aber nichts wird dich auf den Moment vorbereiten, wenn du den Takt hältst und das Orchester wieder einsetzt.« Es ist unbeschreiblich.

»Tár«. USA 2022. Regie: Todd Field. Mit Cate Blanchett, Nina Hoss, Noémie Merlant, Adam Gopnik. 158 Min., Julian Glover. Termine: Sa., 25.2., 13.15 Uhr Zoo Palast 3, 4 und 5

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