Wie der Klimaterrorismus erfunden wurde

Der Terrorismusvorwurf gegen linke Bewegungen hat eine lange Geschichte, denn er erfüllt eine ideologische Funktion in der bürgerlichen Ordnung

  • Christian Bunke
  • Lesedauer: 14 Min.

Der Wind hat sich gegen die Klimabewegung gedreht. Die vermeintliche Unterstützung durch Medien und Politik für die hunderttausenden Schüler*innen, die für Klimaschutz auf die Straße gegangen waren, ist weitgehend in Ablehnung umgeschlagen. Greta Thunberg wird heute nicht mehr von Großindustrie und Politiker*innen beklatscht, sie wird medial für ihre Teilnahme an Sitzblockaden wie in Lützerath kritisiert und diskreditiert. Diese Kehrtwende ist jedoch keine Überraschung. Je konkreter die Klimabewegung das Agieren von Politik und Wirtschaft kritisiert, desto stärker reagieren diese mit Abwehr und Kriminalisierung: bis hin zum Beschwören einer Terrorgefahr.

Denn die von der Klimabewegung aufgeworfenen Fragen stellen den Kern bürgerlicher Staatlichkeit infrage. Das wird vor allem dort konkret, wo sich Klimaschützer*innen infrastrukturellen Großprojekten und darüber vermittelt der staatlichen Verwertungslogik von Mensch und (nicht-)menschlicher Natur entgegenstellen. An Orten wie Lützerath sehen sich Staat und Industrie in ihrer Verfügungsgewalt herausgefordert und angegriffen. Auf einer symbolischen Ebene gilt das auch bei jenen Straßenblockaden, die den »freien« Verkehr von Gütern und Arbeitskräften einschränken. Durch Autofahrer*innen verursachte Staus gelten als lästige Übel, denen notfalls mit noch mehr Straßenbau beizukommen ist. Blockaden des Straßenverkehrs sind aus dieser Logik heraus jedoch ein Verbrechen, da sie in das alltägliche Funktionieren des Systems und seiner Zirkulationsströme eingreifen.

Umso massenwirksamer diese Protestaktionen werden, desto drastischer fällt die staatliche Reaktion aus. Die Klimabewegung im deutschsprachigen Raum ist derzeit auf unterschiedlichen Ebenen eine der aktivsten in Nord- und Westeuropa und sieht sich spätestens seit Herbst vergangenen Jahres mit öffentlicher Delegitimierung durch Medien, Politiker*innen und Wirtschaftsverbände konfrontiert. Die Boulevardpresse popularisierte dafür den Begriff der »Klimaterroristen«, während Aktivist*innen unter Verwendung des Paragrafen 129 des Strafgesetzbuchs sowie neuer Polizeigesetze eingesperrt und kriminalisiert werden.

Die Bewegung spalten

Der Paragraf 129 sowie seine Geschwister 129a und 130 sind Gesinnungsparagrafen. Sie sind neben anderen Paragrafen Teil des 1986 verabschiedeten »Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus«. Ziel dieses Gesetzes war und ist unter anderem die staatliche Delegitimierung von Aktions- und Politikformen, die sich jenseits des gerade rechtlich zulässigen Rahmens bewegen. So ist nach geltender Antiterrorgesetzgebung bereits der Versuch der Beschädigung eines Kraftfahrzeugs der Polizei oder der Bundeswehr als Terrorismus zu ahnden, ebenso wie die Sabotage an für die Errichtung bestimmter Infrastrukturen benötigten Arbeitsmitteln.

Diese Gesetzgebung visierte seit Beginn auch die Umweltbewegungen ihrer Zeit an. Diese kämpften Mitte der 80er Jahre an vielen Fronten. Sie versuchten, etwa den Bau atomarer Anlagen wie in Wackersdorf oder die Erweiterung des Frankfurter Flughafens teils militant zu verhindern. Zum Aktionsspektrum gehörten Petitionen, Waldspaziergänge und Kundgebungen, aber auch Platzbesetzungen, Angriffe auf die zunehmend militarisierten Schutzanlagen rund um die umstrittenen Baustellen und das Umsägen von Strommasten.

Letztere Aktivitäten wurden durch die neuen Gesetze zu Terror erklärt. Es ging um einen doppelten Abschreckungseffekt: Jene Teile der Bewegung, für die etwa das Knacken von Betonstreben an Bauzäunen nicht zum Repertoire gehörten, sollten unter Druck gesetzt werden, sich von ihren als terroristisch gebrandmarkten Genoss*innen zu distanzieren. Und wer ebensolche Angriffe auf Bauzäune als Teil der eigenen politischen Praxis verstand, sollte mit den neuen Gesetzen davon abgehalten werden, entsprechende Ideen auch umzusetzen.

Darüber hinaus ging und geht es auch um ein Diskussionsverbot. Als sich etwa im Januar 1987 die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aktiven Antiatominitiativen zu einem Bundeskongress in Nürnberg versammeln wollten, wurde er unter Einsatz von Polizeigewalt verunmöglicht. Der Staat rechtfertigte die Maßnahmen damals mit der Textsammlung, die der Konferenz zugrunde lag und die auch Diskussionstexte zum Für und Wider von Sabotage beinhaltete. Schon Militanz zu thematisieren, wurde so kriminalisiert. Mit solchen Methoden wird immer auch ein Entsolidarisierungseffekt bezweckt und die Bewegung gespalten. Nicht dem Staat, sondern den Befürworter*innen einer illegalisierten Aktionsform soll die Schuld an der Kriminalisierung gegeben werden.

Das bekamen in den vergangenen Monaten vor allem die Straßenblockierer*innen der Letzten Generation zu spüren, als ihnen auch Teile des linksradikalen Spektrums der Klimabewegung indirekt die Schuld am in den Medien geschürten Terrorismusdiskurs zuschoben. Aufgrund der Repressionen der vergangenen Monate und unter dem Eindruck der gewaltsam durchgesetzten Räumung Lützeraths scheint die Klimabewegung jedoch wieder zusammengefunden zu haben.

Immer wenn der Terrorismusbegriff in die öffentliche Debatte eingebracht wird, geht es auch darum, Bewegungen zu verunsichern, ihren Handlungsspielraum einzuschränken und sie im besten Fall ganz zu neutralisieren. Der Staat reagiert hier nicht nur, er agiert auch präventiv. In Bayern wurden Klimaaktivist*innen nach Beteiligung an einer Straßenblockade für 30 Tage in Haft genommen, um sie mindestens für diesen Zeitraum an weiteren Aktionen zu hindern. Möglich wurde dies durch das bayerische Polizeiaufgabengesetz, das selbst Teil der staatlichen »Sicherheitsarchitektur« und des sogenannten Antiterrorkampfes ist.

Kampf gegen den Terror

Staaten überall auf der Welt galt der Begriff des Terrorismus als immer umfassendere Legitimierung auch repressiver Politik. Ein zumindest in den westlichen Staaten in dieser Hinsicht prägendes Ereignis war der Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, dem tausende Menschen zum Opfer fielen. In den darauf folgenden Monaten und Jahren wurde dieser mörderische Anschlag zum Anlass, zahlreiche Maßnahmen »gegen den Terror« zu ergreifen, wobei die Definition von Terrorismus immer weiter ausgedehnt wurde.

Der Terrorismusbegriff ist in den Ländern des Globalen Nordens inzwischen derart weit gefasst, dass selbst die Blockade einer Autobahn als Terror gelten kann. So existiert seit dem 13. Juni 2002 ein unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 verfasster Rahmenbeschluss der Europäischen Union. Terrorismus wird darin bestimmt »nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften als Straftaten definierten vorsätzlichen Handlungen«, wenn sie mit dem Ziel begangen werden, »die Bevölkerung auf schwer wiegende Weise einzuschüchtern« oder »öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen«. Wichtig ist hier die Formulierung der »als Straftaten definierten vorsätzlichen Handlungen«. Damit kann ein Staat mittels neuer Straftatbestände schnell eine narrative Brücke zum Terrorismus schlagen. Sinn und Zweck neuer Polizeigesetze in den verschiedenen deutschen Bundesländern wie eben auch in Bayern ist es nicht zuletzt, hier den Rahmen immer weiter auszudehnen.

Einseitiger Gewaltdiskurs

Die bewusst schwammigen Formulierungen, wie sie von der Europäischen Union zur Definition von Terrorismus verwendet werden, haben sich längst im bürgerlichen Feuilleton niedergeschlagen. So schrieb Reinhard Müller am 10. Januar 2023 in der »FAZ« über »die Gewalt im vermeintlichen Kampf gegen den Klimawandel«. Es sei »erstaunlich, wie schnell Blockaden von Straßen und womöglich auch bald Steinwürfe auf Polizisten in einem geneigten öffentlichen Umfeld zu legitimen Widerstandsakten gegen eine uneinsichtige Politik umgewertet werden«. Müller bewertete dies als »kontinuierliche Desavouierung demokratisch legitimierter Entscheidungen«, für die es »niemals eine Rechtfertigung« gebe. Alle wesentlichen Elemente des staatlicherseits geführten (Anti-)Terrordiskurses sind hier vorhanden: Ausgehend von dem Bedürfnis, den Staat verteidigen zu wollen, wird die Brücke zur aktivistischen Gewalt geschlagen, deren angebliche Illegitimität hauptsächlich aus deren rechtsstaatlicher Illegalisierung hergeleitet wird.

Von Blockaden betroffene Autofahrer*innen werden von »Bild«, »Welt« und anderen Blättern in zahlreichen Kolumnen darüber aufgeklärt, ab wann für sie ein »Recht auf Notwehr« vorliege, das ihnen erlaube, Blockierer*innen selbständig von der Straße zu räumen. Ein direkter Gewaltaufruf findet sich in der österreichischen »Krone« vom 4. November 2022. Dort bezeichnet Kolumnist Mat Schuh Klimaschützer*innen als »Kakerlaken«. Es sei »legitim«, wenn »man den Verursachern einfach lustvoll in die Fresse hämmert«.

Demgegenüber fällt die Skandalisierung von Anschlägen auf die Umwelt- und Klimabewegung vergleichsweise gering aus. Dabei hätte es fast zahlreiche Tote gegeben, als etwa Ende 2021 eine Holzunterkunft von Unbekannten angezündet wurde, die auf einer von Klimaschützer*innen besetzten, für ein umstrittenes großes Straßenbauprojekt am Rande Wiens benötigten Baustelle gelegen war. Ebenso gab es in den Jahren 2018 und 2020 Brandanschläge auf Infrastrukturen, die von Bürger*inneninitiativen genutzt wurden, die sich gegen den Braunkohletagebau Garzweiler 2 im rheinischen Revier engagierten. Auch hier wurde der Tod von Menschen in Kauf genommen.

Im deutschsprachigen Raum sind zahlreiche ähnliche Anschläge auf die Klimabewegung dokumentiert, meistens bleibt es aber bei einer Lokalberichterstattung. Im Gegensatz dazu wird hämisch berichtet, wenn Autofahrer*innen gegen Blockierer*innen handgreiflich werden. An diesen Beispielen zeigt sich, dass es bei der Delegitimierung des Klimaaktivismus eben nicht um die Gewaltfrage an sich geht, sondern vielmehr darum, gegen wen diese ausgeübt wird. Gewalt gegen emanzipatorische Bewegungen erschien dem bürgerlichen Blätterwald schon immer legitim. Bereits in den 50er und 60er Jahren gab es in der Springerpresse deutliche Sympathien für Gewalttaten, wenn diese gegen Linke ausgeübt wurden. So schrieb die »Berliner Zeitung« am Tag nach dem Mord an Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967: »Wer Terror produziert, muss Härte in Kauf nehmen.«

»Tierrechtsterror«

Auch die Belehrungen, Bewegungen hätten sich an geltende Gesetze zu halten, sind mit Blick auf die stetigen Abänderungen des juristischen Regelwerks zu Ungunsten sozialer Bewegungen naiv, wenn nicht gar zynisch. Ein Beispiel dafür ist die Art, mit der in Großbritannien Anfang der 2000er Jahre gegen die dortige Tierschutzbewegung vorgegangen wurde. Dort gab es eine sich über Jahre aufbauende Kriminalisierungswelle gegen die Bewegung »Stop Huntington Animal Cruelty (SHAC)«, die sich gegen einen pharmazeutischen Tierversuchskonzern engagierte. Im Jahr 2007 wurden 13 Aktivist*innen dieser Kampagne durch bewaffnete Polizist*innen morgens aus ihren Wohnungen geholt, verhaftet und später zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Sieben der damals verurteilten Aktivist*innen haben sich im Jahr 2021 erneut zusammengeschlossen, um die gegen SHAC verwendeten Kriminalisierungsmethoden aufzuarbeiten.

Als Teil dieser Arbeit veröffentlichte die Gruppe ein Dokument, in dem sie darlegte, wie Lobbyverbände der Pharmaindustrie systematisch auf die britische Regierung eingewirkt hatten, um unliebsame Protest- und Aktionsformen zu kriminalisieren. Aufgrund ihrer Protestmethoden war der im Fokus der SHAC-Kampagne stehende Konzern »Huntington Life Sciences« an den Rand des Ruins gedrängt worden. Das konnte sich die Branche nicht bieten lassen und richtete daher eine einfache Botschaft an den Staat: Entweder das Demonstrationsrecht wird verschärft, um der Kampagne das Wasser abzugraben, oder die Pharmaindustrie verlässt Großbritannien als Produktionsstandort. Die Regierung unter Premierminister Tony Blair und Innenminister Jack Straw ließ sich nicht lange bitten und rief im Windschatten des seit dem 11. September 2001 geführten »Kriegs gegen den Terror« einen »Krieg gegen den Tierrechtsterror« aus. Spielräume für legalen zivilen Ungehorsam wurden stetig eingeschränkt, um so SHAC in den Untergrund zu drängen und die Mitglieder als »Terrorist*innen« zu brandmarken.

Die Kriminalisierungskampagne gegen SHAC hatte Auswirkungen weit über die Tierrechtsszene hinaus. So nutzen inzwischen manche britische Gewerkschaften, argwöhnisch beobachtet durch Staat und Unternehmerverbände, Aktionen des zivilen Ungehorsams als Bestandteil ihrer Organizing-Strategie. Gleichzeitig gibt es auch auf der Insel eine aktive Umwelt- und Klimabewegung, die auf direkte Aktionen im Kampf gegen fossile Extraktion und umweltschädliche Großprojekte setzt. Der Staat reagierte darauf, indem er verschiedene Organisationen der britischen Klimabewegung seit 2020 auf die sogenannte »Prevent«-Liste setzte. »Prevent« ist ein Programm, das unter anderem Lehrer*innen an Schulen und Professor*innen an Universitäten verpflichtet, nach »Radikalisierungstendenzen« unter ihren Schüler*innen und Studierenden Ausschau zu halten und »Verdächtige« an die Polizei zu melden. Außerdem ist derzeit ein neues Sicherheitsgesetz in Planung. Es soll zukünftig Ankettaktionen, das Graben von Tunneln, Blockaden von Großbaustellen sowie die »Beeinträchtigung« nationaler Infrastrukturen kriminalisieren. Die nächste Generation von »Terrorist*innen« wird bereits juristisch geschaffen und vordefiniert.

Gegen die neuen Extremisten

Ähnliche Prozesse waren in den Jahren nach dem 11. September 2001 auch in den USA beobachtbar. Dort wurde der »Krieg gegen den Terror« zwar verbal und in den Medien regelmäßig mit »dem Islamismus« gleichgesetzt. In den Beurteilungen amerikanischer Behörden stand jedoch der militante Umwelt- und Tierrechtsaktivismus über Jahre hinweg auf Platz 1 der Prioritätenliste. Dies wurde vor allem wirtschaftlich begründet. So legitimierte am 6. Februar 2002 Dale Watson, der damalige Executive Assistant Director der Counterterrorism Division des FBI, in einer Aussage vor dem Geheimdienstausschuss des Senats den Fokus auf die Umwelt- und Tierrechtsbewegung mit »schätzungsweise 600 kriminellen Aktionen, die in den USA seit 1996 durch Gruppen wie Animal Liberation Front oder Earth Liberation Front durchgeführt wurden« und »Schäden von mehr als 42 Millionen Dollar verursacht haben«.

Auch in den USA übten von Aktionen betroffene Wirtschaftszweige systematisch Druck auf die US-amerikanische Regierung aus, den »Ökoterrorismus« auf der Prioritätenliste der Verfolgungsbehörden ganz nach oben zu setzen. Wie der Autor Will Potter in seinem 2011 erschienenen Buch »Green is the New Red« ausführt, hatten die entsprechenden Lobbyaktivitäten der Wirtschaft auch einen ideologischen Aspekt. Es ging nicht nur um die Rettung von Profiten, sondern um die Bewahrung der bürgerlichen, von Ulrich Brand als »imperiale« beschriebenen Lebensweise an sich. In Magazinen und an Behörden gerichteten Broschüren hoben Interessenverbände den »unamerikanischen« und antikapitalistischen Charakter moderner Umweltbewegungen hervor.

Im Jahr 2008 machte sich das US-Department of Homeland Security diese Argumentation zu eigen. In einer »Bedrohungsanalyse« wird nicht nur betont, dass »Ökoterrorist*innen« für die größte Zahl der auf amerikanischem Boden verübten Anschläge verantwortlich seien. Besonders betont wird darüber hinaus aber die »anarchistische und antisystemische Natur« radikaler Umweltgruppen, woraus sich eine Bedrohung für die Industriegesellschaft amerikanischer Ausprägung ergebe. »The Next Wave of Extremists will be Green« – »die nächste Welle des Extremismus wird grün sein«, titelte folgerichtig das Fachjournal »Foreign Policy« am 1. September 2017. Allerdings seien die Sicherheitsbehörden darauf nicht vorbereitet, es drohe ein ähnliches Versagen wie beim 11. September 2001, so Jamie Bartlett, der Autor des Artikels.

Internationale Strukturen

Längst existieren länderübergreifende Strukturen, deren offizieller Zweck die »Terrorbekämpfung« ist, in deren Zuge aber auch die Disruption sozialer Bewegungen wie der Umwelt- und Klimabewegung vorangetrieben wird. Innerhalb der EU befasst sich das Europäische Polizeiamt Europol seit 2002 mit der Beobachtung von Tierrechtsaktivist*innen. Seit 2008 existiert in den Begrifflichkeiten der europäischen Polizei die Bezeichnung »Single Issue Terrorism«. Unter diesem Sammelbegriff wird etwa auch die Umweltbewegung beobachtet.

In Österreich kam es ab März 2010 zu einem international Aufsehen erregenden Gerichtsverfahren gegen Mitglieder des »Vereins gegen Tierfabriken«. Ihnen wurde die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 278a des österreichischen Strafgesetzbuchs vorgeworfen. Dabei handelt es sich um das österreichische Gegenstück zum deutschen Paragraf 229. Hintergrund war eine Kampagne gegen den Verkauf von Tierpelzen im Einzelhandel durch das Bekleidungsunternehmen »Kleider Bauer«. Im Zuge dieser Kampagne gab es auch Sachbeschädigungen. Das war Grund genug für den Geschäftsführer von »Kleider Bauer«, Peter Graf, sich Unterstützung vom Innenministerium zu holen.

Bald darauf wurden Kundgebungs- und Demonstrationsverbote erlassen, die die österreichische Tierschutzbewegung trafen. Schon ab 2006 warnte das österreichische Amt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vor einer Bedrohung durch die Tierrechtsszene. In Folge kam es zu Hausdurchsuchungen, Inhaftierungen und weiteren Repressionen. Jedoch konnte die ermittelnde Staatsanwaltschaft den Beschuldigten keine der 200 Anklagepunkte nachweisen. Als auch der letzte Angeklagte im Jahr 2014 schlussendlich freigesprochen wurde, hatten die Betroffenen eine auslaugende und lebensverändernde Odyssee hinter sich, die nicht wenige von ihnen finanziell und persönlich in den Ruin getrieben hatte. Der Prozess war damit zwar an sich nicht erfolgreich, ein Einschüchterungseffekt war aber auf jeden Fall gegeben.

Wenn heute Politiker*innen und Medien eine »Klima-RAF« heraufbeschwören, dann geht es ihnen dabei nur sekundär um die mögliche Herausbildung einer bewaffnet kämpfenden Formation. Eher geht es ihnen, wie die Geschichte des »Antiterrorkampfes« gegen die Umwelt- und Tierschutzbewegung zeigt, um die Unterdrückung einer neuen Fundamentalopposition gegen Staat, Kapital und Patriarchat, die aus der Klimabewegung eventuell erwachsen könnte. Die besondere Weise, in der in Lützerath beim Abriss des Paulahofs, eines von Queerfeminist*innen besetzten Bauernhofs, vor allem die Symbole der queeren Bewegungen beseitigt wurden, der Rest des Hauses aber zunächst als Ruine stehengelassen wurde, ist durchaus als Botschaft in diesem Sinne zu verstehen. Verteidigt wird hier nicht nur das Geschäftsmodell des RWE-Konzerns, sondern das gesamte, dem zugrunde liegende Gesellschaftssystem.

Umgekehrt ist es aber auch kein Wunder, dass es internationale Solidarisierungen mit den Besetzer*innen von Lützerath gab – und zwar überall dort, wo sich Menschen gegen eben dieses Gesellschaftssystem auflehnen, so zum Beispiel in der US-amerikanischen Großstadt Atlanta. Hier halten Menschen aus queeren Communities, People of Colour und Klimaaktivist*innen standhaft ein sich auf indigenem Territorium befindliches Waldstück besetzt. Auf diesem will die Polizei ein 90 Millionen Dollar teures Ausbildungszentrum errichten, in dem später unter anderem die Bekämpfung von »Ökoterrorist*innen«, also Klimaaktivist*innen, trainiert werden soll. Vor einigen Tagen verhaftete die Polizei fünf Waldbesetzer*innen, denen eine Anklage wegen Terrorismus droht. Ein Aktivist wurde dabei von der Polizei im Wald erschossen. Auch dies ist ein Symbol, in vielerlei Hinsicht.

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