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Wenn du willst
Eine Erinnerung an den italienischen Sänger und Liedermacher Lucio Battisti
Zwölf Jahre ist es nun her, dass Simon Reynolds’ in seinem Buch »Retromania« der zeitgenössischen Popkultur ihre Rückwärtsgewandtheit vorwarf. Obwohl es großen Widerhall fand, scheint es nicht viel bewirkt zu haben: Ein Revival folgt dem anderen, und aktuell empfiehlt das Webradio Byte FM reanimierten Drum ’n’ Bass, reanimierten Disco, reanimierten Elektropop und den Daueruntoten Folk-Pop. Das Beste der 70er, 80er und 90er in der Geschmacksrichtung Indie. Auch geografisch hat die Retrowelle weite Kreise gezogen: Wieder zum Leben erweckt wurden unter anderem psychedelischer Rock aus Thailand oder Anatolien und äthiopischer Jazz.
Da überrascht das weitgehende Desinteresse an italienischer Popmusik, zumindest in der Indie-Szene (anders sieht es in der elektronischen Musik aus). Leute, denen es sonst nicht camp genug sein kann, finden Gianna Nannini peinlich und verweigern jede Beschäftigung mit dem reichen popkulturellen Erbe Italiens. Zu diesem trug ganz entscheidend Lucio Battisti bei, der am Sonntag vor 80 Jahren in einem Dorf im Latium geboren wurde.
Seine Lieder schillern in den unterschiedlichsten Farb-Tönen, und auch sonst ist er schwer einzuordnen, was vielleicht ein Grund dafür ist, dass er noch kein Revival erfahren hat: Retromaniker stöbern in Archiven und finden dabei nur Dinge, die in feste Schubladen passen. Battisti jedoch hat immer auf mindestens zwei Hochzeiten zwischen den Stühlen getanzt; Brüche und Widersprüche prägen das Werk des 1998 in Mailand verstorbenen Künstlers.
Da ist zum einen der Widerspruch zwischen der Tradition und der Avantgarde der Popmusik: Battistis Musik war von Beginn an kommerzielle Unterhaltungsmusik und blieb auch in den 60er/70er Jahren, der Zeit des Free Jazz und ausufernder Prog-Rock-Fugen, der Form des Liedes verhaftet. In diesem Rahmen hat er sich aber immer größere Freiheiten herausgenommen und innerhalb einzelner Lieder auf immer wieder überraschende Weise den Rhythmus, das Tempo, die Instrumentierung (von orchestraler Opulenz zur akustischen Frugalität) und die Stimmung gewechselt. Die erwartbare Abfolge von Strophen und Refrain hat er stark erweitert und in einigen Fällen sogar überwunden. Wer Lust auf Ungewohntes hat, kann sich dem Reiz von Liedern wie »Io vorrei … non vorrei … ma se vuoi« (Ich möchte … ich möchte nicht …, aber wenn du willst) oder »Ma è un canto brasileiro« (Aber es ist ein Brasileiro-Gesang) nicht entziehen. Ganz zu schweigen von seinem eklektischen Meisterwerk von 1974, dem Album »Anima latina«, das auch für kritische Kritiker*innen einen Meilenstein der Popmusik darstellt.
Zu den musikalischen Brüchen passt auch Battistis brüchige Stimme, die wiederum seinerzeit die Traditionalist*innen abschreckte: Während ihm die Leute aus der Gegenkultur vorwarfen, letztlich nur Canzonette (Liedchen) zu schreiben, hatte er es beim Massenpublikum zunächst schwer, denn in der italienischen Unterhaltungsmusik war man das geschmeidige Timbre gewohnt, das aus der Operntradition kam. Battisti aber setzt eingängige Melodien spärlich ein und singt meist in einer Tonlage, die eigentlich zu hoch für ihn ist, wodurch er jedoch eine enorme Anspannung und Zerbrechlichkeit auszudrücken vermag. Er sagt, was künstlerisch schwer zu sagen ist – und diese Mühe hört man Battistis Stimme an, die auch mal innerhalb von drei Wörtern vom Singen zum Sprechen zum Flüstern zum Verstummen changiert.
Seine Verletzlichkeit ist eine prinzipielle, kommt aber natürlich besonders dann zum Vorschein, wenn es um die Liebe geht (und das ist oft der Fall), etwa im oben erwähnten »Io vorrei …«, in dem zwei Personen zögernd, aber doch voller Sehnsucht kurz vor dem Punkt stehen, an dem sich die Liebe Bahn bricht. Diese Ambiguität und Fragilität wird einfach umwerfend ausgedrückt. Schüchtern, zögernd, zaudernd zeigt sich Battisti auch in einem seiner größten Hits, »I giardini di marzo« (Die Gärten des März): »Ich hab in meiner Seele unermessliche Himmel und unermessliche Liebe / Und dann noch Liebe für dich / Das Universum findet Platz in mir drin / Aber der Mut zu leben, der ist noch nicht da«. Bizarrerweise ist dieses Lied eine der Fanhymnen des hochproblematischen Fußballvereins Lazio Rom.
Seine Liedtexte hat Battisti nie selbst geschrieben, und er hat ihnen wohl auch nicht allzu viel Bedeutung beigemessen. Die meisten stammen von Giulio Rapetti alias Mogol, der schon für The Rokes, eine britische Beatband, die in Italien sehr erfolgreich war, den wunderbaren Text zu »Ma che colpa abbiamo noi« (Aber ist das denn unsere Schuld) verfasst hatte – das perfekte Gegenstück zu Freddy Quinns reaktionärem Anti-Hippie-Hit »Wir«. Da diese Texte aber explizit für Battisti geschrieben wurden, kann man sie nur schwer von ihm trennen. Und auch hier haben wir es – wie könnte es anders sein – mit Brüchen zu tun, genauer gesagt mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der 60er/70er Jahre, die sich auch im (Liebes-)Leben von Durchschnittsmenschen niederschlugen.
Da werden zwar etwa in »La collina dei ciliegi« (Das Kirschbaumhügelchen) neue Beziehungsmodelle gepriesen und Traditionen für hinfällig erklärt, andererseits zeigt sich der männliche Sprecher in »La canzone del sole« (Das Lied von der Sonne) stark verunsichert, weil seine Sandkastenliebe sich entschieden hat, eigene Wege zu gehen. Dann wiederum wird im vor Freude überschäumenden »Luci-ah« eine promiske Frau gefeiert, die ihr rotes Kleid als Fahne vom Kirchturm wehen lässt, beim Dorffest im Wein badet und zu guter Letzt die Kirche niederbrennt.
Zum Muster der Widersprüchlichkeit passt auch Battistis politische Ambiguität. Zwar ist das Gerücht, er sympathisiere mit dem Neofaschismus, hinreichend widerlegt. Aber er fand, wohl auch aufgrund der vagen Nostalgie, die viele seiner Texte durchzieht, rechte Bewunderer wie eben die Fans von Lazio Rom. Andererseits wurde er auch von den linksterroristischen Brigate Rosse zitiert.
Letztlich spiegelt Battistis Schaffen inhaltlich und musikalisch den turbulenten Höhepunkt des »historischen Kompromisses« zwischen dem christdemokratischen Katholizismus und dem Kommunismus in Italien wider. Traditionen wurden zwar nicht überwunden, aber es wurde kräftig daran gerüttelt, und Battisti artikulierte für ein Massenpublikum die Sehnsucht nach neuen Arten zu leben, zu lieben und Musik zu machen. Diese unbefriedigte Sehnsucht wecken seine Lieder noch heute. Retromania? Assolutamente no!
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