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LGBQT+ in Mexiko: »Wir sammeln Geld für einen Grabstein«
In Mexiko wurde die schwule »Karnevalsköniging der Vielfalt« Juventino Espinoza erschlagen
Sie kannten das Opfer gut. Wer war Juventino Espinoza?
Tiago Ventura, LGBTQ+-Aktivist von der NGO Sinaloa+Incluyente A.C. spricht über Hassverbrechen, Diskriminierung und darüber, warum Kokainkonsum der queeren Gemeinde in Lateinamerika schadet. Erst kürzlich wurde in Nordmexiko die schwule »Karnevalsköniging der Vielfalt« Juventino Espinoza erschlagen.
Juventino Espinoza war ein fröhlicher junger Mann aus San Miguel Zapotitlán mit vielen Träumen. Er lebte offen schwul und war als Crossdresser unter dem Namen Violeta Navarrete bekannt. Er liebte es zu tanzen, gab Zumba-Tanzkurse, leitete die Tanzgruppe »Proyecto One« für Jugendliche und Kinder. Er war in seinem Wohnort ein sehr beliebter junger Mann, hatte viele Freunde.
Wie hat seine Familie reagiert?
Seine Mutter steht immer noch unter Schock. Sie kann nicht glauben, was passiert ist. Sie sagt, er sei ein Mensch gewesen, »der das Brot aus seinem Mund nahm, um es anderen zu geben«, sein Leben hätte nicht so ein tragisches Ende nehmen dürfen. Auf Gedenkveranstaltungen, der Trauerfeier, dem Begräbnis und auf zwei Demonstrationen hat sie Gerechtigkeit für ihren Sohn gefordert.
Was ist eine »Karnevalskönigin der Vielfalt«?
Beim Karneval in Mexiko gab es schon immer einen König und eine Königin. In den letzten Jahren ist es zunehmend beliebter geworden, auch eine Diversity-Königin zu krönen, Transsexuelle oder Crossdresser, die beim Umzug auf einem Wagen als »Königin der Vielfalt« vor der ganzen Ortschaft paradieren.
Juventino wurde drei Tage nach seiner Krönung in seinem Haus erschlagen und von Freunden zwei Tage später tot aufgefunden. Die Tatwaffe war laut Polizeiangaben ein schwerer Gegenstand. Was ist über die Tat bekannt?
Anfangs war die Staatsanwaltschaft bemüht, die Person oder Personen zu finden, die Juventinos Leben beendet haben. Sie sagte, dass es sich ganz klar um ein Hassverbrechen handele. Letzte Woche erklärte die Polizei dann, dass vielleicht kein Hassverbrechen vorliege. Die gesamte LGBTQ+-Community und Aktivisten im Bundesstaat Sinaloa haben allerdings keinen Zweifel, dass es sich um ein Hassverbrechen handelt. Das war kein Raubüberfall, das war Wut und Hass!
Seit 2017 sind in Mexiko 539 Menschen aus der LGBTQ+-Gemeinschaft eines gewaltsamen Todes gestorben. Im Bundesstaat Sinaloa hat Ihre NGO mit dem Tod von Juventino 22 queere Menschen gezählt, die seit 2014 getötet wurden.
Mexiko ist nach Brasilien das Land mit den meisten Hassverbrechen in Lateinamerika. Und es gibt keinen Zugang zur Justiz ohne Diskriminierung für LGBTQ+-Personen. Weil es Menschen gibt, die glauben, es sei schlecht, schwul, lesbisch, Crossdresser oder transsexuell zu sein. Sie tun das oft aus religiösen Gründen und wegen des Stigmas gegenüber Menschen, die offen und öffentlich queer leben. LGBTQ+ sind Beleidigungen, Aggressionen und Angriffen auf ihr Leben ausgesetzt. Es gibt kein Vertrauen in Strafanzeigen bei Vorfällen, weil die Polizei die Taten fast immer herunterspielt. In einigen Fällen wird man sogar von der Polizei diskriminiert.
Sinaloa ist ein Bundesstaat, der von Drogenkartellen kontrolliert wird. Wie beeinflussen diese gewalttätigen Organisationen das Leben von LGBTQ+-Personen?
Es gibt definitiv einen Einfluss des organisierten Verbrechens. Wir leben in einer Gesellschaft, in dem die Drogenkultur bis in die LGBTQ+-Bevölkerung vordringt. Hassverbrechen gegen diverse Menschen im Zusammenhang mit Drogenhandel sind meistens besonders brutal.
Wer Koks aus Lateinamerika zieht, hat also auch Blut von Queers an der Nase?
Definitiv! Du wirst als Konsument zum Teil des Problems, die Nachfrage heizt die Drogenproduktion an. Die kriminelle Struktur, die viele lateinamerikanische Länder mit Blut überzieht und ein ganzes Netz von Korruption in lateinamerikanischen Regierungen finanziert, wird so gestärkt. Aber wir haben nicht nur Angst vor dem organisierten Verbrechen, sondern auch vor Regierungsbeamten selbst, die politische Gewalt gegen Diversity-Aktivisten ausüben.
Betrifft Sie das persönlich?
Ja, nach einer aggressiven Verleumdungskampagne einer lokalen Regierungspolitikerin gegen mich stehe ich derzeit unter Polizeischutz. Der trat aber erst nach drei Wochen in Kraft. Bisher werde ich von der lokalen Polizei beschützt, der ich aber nicht besonders vertraue. Das nationale System zum Schutz von Menschenrechtlern hat sich immer noch nicht bei mir gemeldet. In einigen Fällen dauert es bis zu sechs Monate bis zum Schutz durch die Nationalpolizei. In dieser Zeit ist man völlig ungeschützt.
Ist die katholische Kirche bei der Bekämpfung von Queer-Diskriminierung eine Hilfe?
Die Kirche in Sinaloa hat sich immer gegen Queers gestellt. Sie mischt sich in staatliche Angelegenheiten ein, nimmt Einfluss auf Gesetzgebung und Öffentlichkeit, obwohl die Verfassung das verbietet, denn Mexiko ist ein säkularer Staat. Oft nutzt die Kirche die Kanzel, um Reden zu halten, die zum Hass gegen LGBT+-Menschen aufrufen. Mexiko ist ein katholisches Land, auch wenn immer weniger Menschen in die Kirche gehen. Die religiöse Erziehung sagt, es sei eine Sünde, ein diverser Mensch zu sein. Am 24. März wäre Juventino 37 Jahre alt geworden. Mit seinen engsten Freunden sollte eine große Party steigen. Jetzt wird Geld für einen schönen Grabstein gesammelt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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