Zwischen Romanze und Drahtseilakt

Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping besucht seinen russischen Kollegen Wladimir Putin in Moskau

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.

Fast pünktlich zur Mittagsstunde wurde für Xi Jinping am Moskauer Regierungsflughafen der rote Teppich ausgerollt. In einer ersten Ansprache ließ der 69-jährige Staatschef die russisch-chinesischen Beziehungen der letzten Dekade Revue passieren, was wie ein Lobgesang klang: Xi pries das »vertiefte politische Vertrauen«, »die praktische Zusammenarbeit« und die Völkerfreundschaft, die sich »in den Herzen der Menschen verwurzelt« hat.

Gleichzeitig machte Xi deutlich, dass es bei seinem ersten Staatsbesuch in diesem Jahr auch um den Ukraine-Krieg gehen würde: Von einem »ausführlichen Meinungsaustausch« mit Putin über »wichtige internationale Fragen« sprach Xi – und zeigte sich zuversichtlich, dass sein Besuch »zu fruchtbaren Ergebnissen führen« werde. Aus europäischer Sicht dürfte das Erwartungen wecken. Insbesondere die Europäische Union verfolgt ganz genau das mittlerweile 40. Treffen der zwei »alten Freunde« Xi und Putin. Für die EU ist Chinas Umgang mit Russland die Gretchen-Frage, wenn es darum geht, die eigenen Beziehungen zur Volksrepublik neu auszurichten. Trotz des enttäuschenden »Friedensplans« der Chinesen von Mitte Februar ist die Hoffnung noch nicht erloschen, dass Xi endlich seinen Einfluss auf Putin für eine Deeskalation des Krieges nützen könnte.

Historischer Freundschaft zelebriert

Doch die chinesische Innensicht ließ daran im Vorfeld wenig Hoffnung aufkommen. Denn wer dieser Tage die »Volkszeitung« (Renmin Ribao) aufschlägt – das offizielle Zentralorgan der Kommunistischen Partei –, wird ausschließlich mit heroischen Fanfarenklängen auf diesen historischen Staatsbesuch eingestimmt: Da werden die florierenden Handelsbeziehungen gelobt, neue Kooperationsfelder ausgelotet und eine historische Freundschaft zelebriert, die doch in der Realität überaus kompliziert war.

Dass nach wie vor in der Ukraine ein blutiger Krieg geführt wird, kommt in den chinesischen Staatsmedien praktisch nicht vor. Nur in verklausulierten Anspielungen wird angedeutet, dass der Krieg auch in Moskau bei Xi und Putin auf der Gesprächsagenda landen könnte: »Angesichts nie dagewesener Herausforderungen in der Welt verpflichten sich Russland und China, eine konstruktive Rolle für den Weltfrieden zu spielen«.

Dennoch hätte Peking zumindest das Potenzial, die internationale Staatengemeinschaft mit einem diplomatischen Vorstoß zu überraschen. Schließlich hatte es die Volksrepublik vor anderthalb Wochen geschafft, scheinbar aus dem Nichts einen Deal zwischen Saudi-Arabien und dem Iran einzufädeln.

Einiges würde für eine Initiative der Chinesen sprechen, argumentiert etwa Bert Hofman, bis 2019 Weltbank-Länderdirektor für China: »Es ist schwer vorstellbar, dass Xi jetzt nach Moskau fährt, nur um über die Vertiefung des kulturellen Austauschs zu sprechen«, kommentiert er auf Twitter. Denn der Preis, den politischen Westen – nach wie vor Chinas wichtigster Handelspartner – durch eine weitere Stärkung der Beziehungen zu Russland zu verärgern, sei einfach zu hoch. Von daher wolle Xi sicherlich einen diplomatischen Sieg mit nach Hause nehmen, um der Welt zu demonstrieren, wie Chinas Friedensvermittlung in der Praxis aussehe.

Chinesische Eigeninteressen

Doch Fakt ist: Neutral ist die Volksrepublik in diesem Konflikt keineswegs. Bislang hat Peking ausschließlich den USA und der Nato die Schuld angelastet; Kritik an Russland hingegen ließ sich bislang noch nicht einmal zwischen den Zeilen vernehmen. Insbesondere Putin wird in China weiterhin mit rhetorischen Samthandschuhen angefasst: Dass der russische Präsident vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt wurde, ließen Chinas Leitmedien galant unter den Tisch fallen. Und das Pekinger Außenministerium ließ am Montag verlauten, das Haager Tribunal solle »umsichtig« mit Putin umgehen und die völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern respektieren.

Allerdings ist die Freundschaft Pekings und Moskau nicht grenzenlos, denn Chinas Außenpolitik ist von Eigeninteressen geleitet, eine Allianz mit Russland würde man niemals eingehen. Wirtschaftlich jedoch ergänzen sich die beiden Volkswirtschaften bestens: Das energiehungrige China möchte zunehmend günstiges Öl und Gas aus Russland importieren und im Gegenzug Elektronik, Autos und Tech-Produkte exportieren. Im letzten Jahr ist das Handelsvolumen um über 30 Prozent gewachsen, Tendenz steigend.

Dass die Beziehungen zwischen Peking und Moskau allzu kuschelig werden, verhindert das drohende Damoklesschwert westlicher Sanktionen. Xi Jinping weiß darum ganz genau, dass er trotz seiner Nähe zu Putin gewisse rote Linien nicht überschreiten darf. Insofern ist sein Besuch in Moskau vor allem eins: ein delikater Drahtseilakt.

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