Tuberkulose: Die Krankheit der Armen

Tuberkulose ist die tödlichste Infektionskrankheit. Dennoch mangelt es an Geld und Verteilungsstrukturen

»Wenn ich andere sterben sehe, wenn ich sie in Laken gehüllt sehe, habe ich Angst, dass ich auch sterben werde«, sagt Nokubegha. Die Zwölfjährige leidet an der multiresistenten Tuberkulose (MDR-TB), behandelt wird sie als jüngste Patientin in einem Krankenhaus in Mbabane, der Hauptstadt Swasilands. Die Therapie dauert ein bis zwei Jahre, verabreicht werden vier verschiedene Antibiotika, die heftige Nebenwirkungen haben können. Dies muss unter ärztlicher Aufsicht geschehen, da das Aussetzen auch nur einer Dosis die ganze Therapie wirkungslos machen kann. Für die Betroffenen ist das eine oft zermürbende Praxis.

Nokubegha gehört zu den Protagonisten der vor einigen Jahren gedrehten Dokumentation »TB: Return of the Plague« des australischen Filmemachers Jezza Neumann, die in eine Welt einführt, die in Industrieländern unbekannt, aber andernorts Alltag ist. Laut den aktuellsten Zahlen verzeichnete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2021 insgesamt 10,6 Millionen neue Infektionen und 1,6 Millionen Todesfälle. TB ist zudem die häufigste Todesursache von HIV-Infizierten. Schätzungen zufolge trägt jeder vierte Mensch das Mycobacterium tuberculosis in sich. Sind die Bakterien im Körper, kann die Immunabwehr sie nicht vollständig eliminieren. Ansteckend sind Infizierte in den Wochen der »offenen Tuberkulose«, die Übertragung findet durch Husten oder Niesen statt. Befallen wird meist die Lunge.

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TB ist seit vielen Jahren die tödlichste Infektionskrankheit weltweit, nur in den ersten beiden Pandemiejahren von Covid-19 übertroffen. 1993 rief die WHO den internationalen Gesundheitsnotstand aus. Danach fielen die Zahlen dank Impfkampagnen und Geldern für die Versorgung, doch Corona verschärfte die Lage wieder. 2022 waren weltweit nur rund fünf Milliarden Dollar zu mobilisieren, etwa die Hälfte der WHO-Zielmarke. Zum Vergleich: Zur Corona-Bekämpfung standen 30 Milliarden zur Verfügung. In den Corona-Jahren blieben viele Fälle unentdeckt oder unbehandelt, Versorgungsstrukturen brachen zusammen, Impfkampagnen stockten. Dennoch bleibt die WHO optimistisch und stellt den Welttuberkulosetag an diesem Freitag unter das Motto »Yes! We can end TB!«.

In Deutschland gab es im vergangenen Jahr laut Robert-Koch-Institut (RKI) einen Anstieg auf rund 4000 Fälle. Kleinere Ausbrüche können die Gesundheitsämter mit üblichen Maßnahmen aufhalten. Als Epidemie ist TB hierzulande etwas fürs Museum. So sind die Ruinen der Lungenanstalt Beelitz-Heilstätten vor den Toren Berlins Zeugnis dramatischer Zustände während der Industrialisierung. Damals grassierte die Krankheit vor allem in den engen Mietskasernen der Arbeiterviertel. Noch heute gilt TB als die »Krankheit der Armen« schlechthin. So schreibt das RKI in seinem aktuellen Epidemiologischen Bulletin, dass sozio-ökonomische Risikofaktoren wie Armut, Unterernährung, schlechte hygienische Bedingungen und ein unzureichender Zugang zur Gesundheitsversorgung »Auswirkungen auf die Epidemiologie der Tuberkulose« hätten. Und es ist eine Krankheit der armen Länder: Betroffen sind vor allem Entwicklungs- und Schwellenländern in Südostasien und Afrika. Spitzenreiter mit Inzidenzen über 600 je 100 000 Einwohner waren zuletzt die Philippinen und Lesotho.

Problematisch sind auch mangelhafte Fortschritte in der Forschung und dem medizinischen Bereich. Anders als bei Corona und Post-Covid fehlt es an öffentlichen Geldern und Renditeinteresse der Pharmafirmen. Der einzige zugelassene Impfstoff ist fast so alt wie die Ruinen der Beelitz-Heilstätten: Das Bacillus Calmette-Guérin (BCG) wurde 1921 von zwei Schülern von Louis Pasteur entwickelt. Das abgeschwächte Rinderbakterium wird Säuglingen verabreicht, ist nebenwirkungsreich und mittelmäßig bei der Wirksamkeit. Hoffnungen setzen Experten in eine genetisch veränderte Variante von BCG, die vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie mitentwickelt wurde und sich in der klinischen Prüfung befindet.

Ein kürzlich gestartetes, von der EU gefördertes Projekt verfolgt einen grundlegenden Ansatz. 19 Forschergruppen aus elf europäischen Ländern suchen nach neuen Erkenntnissen, wie unterschiedliche Impfstoffgruppen, von proteinbasiert bis mRNA, zur Immunität gegen TB beitragen können. In dem Konsortium werde »die gesamte Wertschöpfungskette von der Grundlagenforschung bis hin zu klinischen Studien abgedeckt«, erläutert Steffen Stenger, Mikrobiologe am Uniklinikum Ulm. Schnelle Ergebnisse wird es hier nicht geben, das Projekt läuft bis 2027.

Auch bei Medikamenten ist viel zu tun. Die Grundbehandlung erfolgt noch immer unter anderem mit zwei Antibiotika, die aus den 1940er Jahren stammen. Dass sich Resistenzen mittlerweile häufen, ist wenig überraschend. Gegen die MDR-TB, die gegen zwei Antibiotika resistent ist, können mittlerweile zusätzlich zwei Antibiotika eingesetzt werden, die erst vor einigen Jahren auf den Markt kamen. Dadurch verkürzt sich die Behandlungszeit gemäß den WHO-Leitlinien auf sechs Monate. Die Studien hatte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen durchgeführt. Der medizinische Leiter, Thomas Nyang’wa fordert alle Akteure auf, »sicherzustellen, dass diese Behandlung so schnell wie möglich verfügbar ist«. Daran mangelt es. Generell fordert die NGO daher, dass Medikamente und Tests erschwinglicher, Zugang und Verteilung vor Ort verbessert werden. Ein größeres Rätsel gibt die XDR-TB auf, die sogar gegen drei Antibiotika resistent ist. Selbst in hochindustrialisierten Ländern liegen die Behandlungserfolge hier bei unter 50 Prozent.

Dennoch gilt aber nach wie vor, dass Tuberkulose verhinderbar und behandelbar ist. Auch deshalb hält die WHO trotz der Rückschläge während Corona am Ziel fest, bis 2030 in jedem Land die Fallzahlen um 80 Prozent und die Todesfälle um 90 Prozent zu senken, um die »globale Epidemie zu beenden«. Experten sind vorläufig skeptisch. So schreibt das RKI: »Modellrechnungen zeigen sogar, dass sich die Situation in Hochprävalenzländern aufgrund der hohen Dunkelziffer unentdeckter und unbehandelter Fälle in den nächsten Jahren deutlich verschlechtern könnte.«

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