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Ausstellung zu Enteignung: Vom bösen Wort

Eine neue Ausstellung in Berlin beschäftigt sich mit der Historie des Enteignungsbegriffs – und seiner Zukunft

Polarisiert nicht erst seit dem Volksentscheid: Im Museum des Kapitalismus lässt sich einiges zum Thema Enteignung lernen.
Polarisiert nicht erst seit dem Volksentscheid: Im Museum des Kapitalismus lässt sich einiges zum Thema Enteignung lernen.

Den einen gilt es als Synonym für Unrecht, andere sehen in ihm ein letztes Mittel im Kampf für bezahlbaren Wohnraum. Und die Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bringt es dazu, mit dem eigenen Gewissen zu argumentieren: Spätestens seit dem Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen« wird in Berlin leidenschaftlich über den Enteignungsbegriff diskutiert und darüber, was er eigentlich bedeutet.

Als vor rund zwei Jahren zur Enteignung großer Wohnungskonzerne in der Hauptstadt mobilisiert wurde, sahen die drei jungen Historiker*innen Lisa Schank, Theresa Kühnert und Niels Hölmer ganz genau hin. »Zum einen war da super starke Ablehnung mit interessanten historischen Vergleichen, zum anderen wurde der Begriff euphorisch und optimistisch aufgenommen von einem großen Teil der Stadtbevölkerung«, sagt Lisa Schank zu »nd«. Egal aus welcher Richtung, das Wort »Enteignung« führe meist zu starken Reaktionen, polarisiere geradezu. »Wir dachten, es wäre total spannend, sich den Begriff einmal historisch anzuschauen.« Schon Anfang August 2021, noch bevor klar war, ob der Volksentscheid die nötigen Mehrheiten bekommen würde, stellten die drei einen Förderantrag für ihr Projekt.

Das Ergebnis lässt sich nun im Kreuzberger Museum des Kapitalismus bewundern. »Enteignung: Zur Geschichte eines umkämpften Begriffs«, lautet der Titel der Ausstellung, die Schank, Kühnert und Hölmer zusammen mit Designerin Laura Fischinger, Künstlerin Vanessa A. Opoku und Grafiker Lion Sauerleute entwickelt haben. Entstanden sind Infotafeln mit elf unterschiedlichen Schwerpunkten, von der einen Seite auf Deutsch bedruckt, von der anderen auf Englisch. Die Ausstellung fragt in erster Linie danach, was Enteignung zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Geschichte bedeutet hat, und arbeitet sich chronologisch vor.

Begonnen wird im 19. Jahrhundert, in dem die Grundlagen für die heutigen Eigentumsverhältnisse gelegt wurden. Auf theoretische Einordnungen von Karl Marx und Rosa Luxemburg folgt der erfolglose Versuch, Schlüsselindustrien 1919 nach der Novemberrevolution zu vergesellschaften. Zum Volksentscheid kommt es 1926 in der Weimarer Republik – allerdings im gesamten Reich: Die KPD fordert eine Enteignung der Hohenzollern, eine Kampagne zur sogenannten Fürstenenteignung nimmt Fahrt auf. Anders als 2021 reicht es nicht zur Mehrheit, doch immerhin stimmen in Berlin damals über 50 Prozent dafür. Über Enteignungen im Nationalsozialismus und in der DDR gelangt die Ausstellung schließlich zur Gegenwart und zu künftigen Perspektiven in Verteilungsfragen.

Bei dem Ritt durch die Geschichte liegt der Fokus auf Berlin. Für die Förderung des Projekts war das Voraussetzung, wie die Kurator*innen erklären. »Mal haben wir es als beschränkend empfunden, mal als erleichternd«, sagt Theresa Kühnert. Das eine oder andere sei wegen des fehlenden Berlin-Bezugs weggefallen – und doch finden sich in der Ausstellung Themen, die sich im ersten Moment nicht unbedingt aufdrängen. »Perspektiven wie Kolonialismus oder auch wie die Treuhand sind vielleicht nicht dezidiert berlinspezifisch, aber wir haben sie trotzdem mit reingenommen, weil sie zeigen, wie weit Enteignung generell gedacht werden kann.« Anderes habe sich bei Gesprächen mit Interviewpartner*innen ergeben.

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Über sie sei die Ausstellung schnell bei Aspekten des Enteignungsbegriffs gelandet, die sich außerhalb der aktuellen, großen Diskussion in Berlin bewegen, sagt Kurator Niels Hölmer: »Es geht gerade beim Thema Klima auch um Enteignung von Land, beispielsweise beim Kohleabbau.« Der deutsche Staat habe immer wieder für Energiegewinnung oder für den Bau von Autobahnen enteignet. Durch »Deutsche Wohnen & Co enteignen« polarisierten Enteignungen im Moment zwar besonders im Kontext Wohnen, so Hölmer. »Aber eigentlich ist das ein Begriff, der schon lange irgendwie da ist.«

Kühnert ergänzt: »Geht es um soziale Enteignung? Geht es um den juristischen Begriff von Enteignung – und wenn ja, auf was für ein Rechtssystem bezieht er sich dann?« Nur selten werde in der gegenwärtigen Diskussion auf Fragen wie diese eingegangen. Stattdessen würden negative Assoziationen zutage treten. »Es gibt de facto im Grundgesetz jetzt Artikel, die sich mit Formen von Enteignung oder Vergesellschaftung beschäftigen, die rein gar nichts mehr mit dem Nationalsozialismus und der DDR zu tun haben«, sagt die Historikerin. Sie vermisst die nötige Trennschärfe und das historische Wissen, um populistischen Diskussionsansätzen entgegenzuwirken.

Für beides soll die Ausstellung selbst sorgen, auch multimedial. In einigen Videos erklärt die Politikwissenschaftlerin und Enteignungsexpertin Sabine Nuss, wann überhaupt von Enteignungen gesprochen werden kann und welches Verständnis von Eigentum zugrunde liegt. Hinzu kommen Audio-Interviews, beispielsweise von Mitgliedern der Bewegung »RWE & Co enteignen«, dem Projektverbund »Mietshäuser Syndikat« oder der Historikerin und Sozialwissenschaftlerin Gisela Notz. Die Beiträge sind informativ und umfangreich gestaltet, Podcast-Ausschnitte von über zehn Minuten Hörlänge schießen hier und da vielleicht über das Ziel hinaus.

Den Abschluss von »Enteignung: Zur Geschichte eines umkämpften Begriffs« bildet eine Videoinstallation, in der Berliner*innen von ihren Assoziationen erzählen, die sie mit Enteignungen verbinden. Auch die Besucher*innen selbst werden dazu angehalten, sich selbst zu beteiligen. Ein QR-Code führt zu einem offenen Diskussionskanal im Messengerdienst Telegram. »Die Ausstellung hat nicht den Anspruch, die Geschichte auserzählt zu haben«, sagt Lisa Schank. »Die weiterführende Diskussion ist erwünscht.« Das Angebot, gesteht die Historikerin, werde bisher aber noch nicht so angenommen, wie ursprünglich erhofft. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

»Enteignung: Zur Geschichte eines umkämpften Begriffs« läuft bis zum 7. Mai immer donnerstags 17 bis 19 Uhr und samstags 14 bis 18 Uhr im Museum des Kapitalismus. Der Eintritt ist frei.

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