Verpackungssteuer in Berlin: Tübinger (Mehr)weg als Vorbild

Die Hauptstadt-Grünen fordern eine Verpackungssteuer für To-Go-Becher und Co. – doch die Große Koalition will abwarten

Kaffeebecher am Boden: ein Anblick, der mit einer Einwegverpackungssteuer seltener werden soll.
Kaffeebecher am Boden: ein Anblick, der mit einer Einwegverpackungssteuer seltener werden soll.

»Der beste Müll ist der, der gar nicht erst entsteht«, sagt Julia Schneider (Grüne) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Rund 460 000 Einwegbehältnisse wie To-Go-Becher oder Pommesschalen werden laut der Umweltpolitikerin pro Tag in Berlin benutzt und weggeworfen. Müllmassen, die Berlins Grünen-Fraktion hofft, mithilfe einer Verpackungssteuer eindämmen zu können.

Hilferufe aus der Bezirksverwaltung Mitte und eine Berliner Stadtreinigung (BSR), die auf Kiez-Spielplätzen in die Offensive gehen muss, zeigen: Die Herausforderungen auf den Straßen und Grünflächen der Hauptstadt nehmen zu. »Eine saubere Stadt ist attraktiver für Tourismus«, argumentiert Schneider. Zudem könnten Entsorgungskosten für die BSR verringert werden. Was die Förderung von Mehrwegverpackungen angehe, zeige die in Berlin bereits geltende Pflicht zum Mehrwegangebot leider kaum Wirkung, auch weil sie zu wenig kontrolliert werde.

Was Berlins Grünen vorschwebt, ist seit Januar 2022 in Tübingen Realität. Zusätzlich zur Mehrwertsteuer verlangt die baden-württembergische Kreisstadt von örtlichen Betrieben 50 Cent für Einwegverpackungen und Einweggeschirr. Für Verbraucher*innen bedeutet das: Höhere Preise beim Kauf von Produkten in Wegwerf-Behältnissen. »Das ist eine Pionierarbeit«, sagt Claudia Platzwahl vom Tübinger Kreisverband der Grünen. Dem Berliner Umweltausschuss berichtet sie von den ersten Erfahrungen mit der Verpackungssteuer. Interesse gibt es nicht nur in der Hauptstadt: Bundesweit 120 Städte sollen laut Grünen-Fraktion bereits nachgefragt haben. Ab 2025 wird Konstanz dem Tübinger Weg folgen.

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Die Verpackungssteuer, so Platzwahl, sei eine Erfolgsgeschichte. Das Mehrwegangebot Tübinger Betriebe habe sich seit Einführung der Steuer deutlich erhöht, Vermüllung durch Einwegverpackungen habe im Stadtbild spürbar nachgelassen. Rund 40 Prozent des Müllaufkommens in Deutschland sei auf Einwegverpackungen zurückzuführen. »Wegen der Tübinger Verpackungssteuer ist nicht ein einziges Unternehmen pleite gegangen«, versichert die Grünen-Politikerin. Trotz schwerer Zeiten habe die Gastronomie schnell umgestellt: In Eisdielen gebe es jetzt eben Waffelbecher statt Einwegbehältnissen. Auch Beschwerden von Kund*innen blieben weitestgehend aus.

Für das Jahr 2022 verzeichnete Tübingen etwa 950 000 Euro an Einnahmen durch die Einwegverpackungssteuer, 2023 waren es 635 000 Euro. Dass die Zahlen sinken, ist Teil des Plans: Je mehr Mehrwegverpackungen genutzt werden, umso geringer sind die Einnahmen. Trotzdem könne das Geld, so Platzwahl, anderen wichtigen Projekten wie der Finanzierung von Kindergärten zugutekommen. »Wenn man die Einnahmen im Vergleich zum Verwaltungsaufwand sieht, rentiert sich das auf jeden Fall.«

Unterstützung in Sachen Einwegsteuer erhalten die Grünen vom Berliner Umweltschutzbund BUND. »Die To-Go-Verpackungssteuer ist auch sozial gerecht«, wird Tobias Quast-Malur, Referent für Abfall- und Ressourcenpolitik bei BUND Berlin, in einer Mitteilung zitiert. »Sie entlastet die Allgemeinheit von den Kosten, die durch Einweg-To-Go-Verpackungen verursacht werden.« Zugleich sei es Verbraucher*innen durch die Nutzung von Mehrwegalternativen möglich, die Kostensteigerungen zu umgehen.

»Aus unserer Sicht bedarf es einer kommunal und länderübergreifenden Lösung.«

Ute Bonde (CDU) Berliner Verkehrssenatorin

Auch auf Bundesebene setzt sich die Organisation für eine Verteuerung von Einwegprodukten ein. Doch: »Da eine Verpackungssteuer auf Bundesebene auch bei wechselnder politischer Machtkonstellation nicht absehbar zu erwarten ist, sollte Berlin als selbsternannte Zero-Waste-Hauptstadt diesen Weg eigenständig und früher gehen«, teilt Quast-Malur mit.

Auf einen Alleingang, das machen die Koalitionspartner SPD und CDU am Donnerstag deutlich, hat der Senat allerdings keine Lust. »Aus unserer Sicht bedarf es einer kommunal und länderübergreifenden Lösung«, sagt Umweltsenatorin Ute Bonde (CDU). In der Vergangenheit habe der Senat bereits darauf gedrungen, dass der Bund eine neue Regelung zur Förderung von Mehrwegverpackungen erlässt. Bonde verweist auch auf ein noch ausstehendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts: September 2023 hatte eine Tübinger Franchiseunternehmerin von McDonald’s Klage gegen die Besteuerung eingereicht. Die Kreisverwaltung gibt sich zuversichtlich. Im Mai 2023 war die Verpackungssteuer vom Bundesverwaltungsgericht für »im Wesentlichen rechtmäßig« befunden worden.

Die Regierungsfraktionen im Umweltausschuss überzeugt das nicht. Sie stimmen, wie auch die AfD-Fraktion, gegen den Gesetzentwurf der Hauptstadt-Grünen, während sich die Linksfraktion enthält. Eine Beschlussempfehlung an das Abgeordnetenhaus bleibt damit aus. Neuen Aufwind dürfte das Thema nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bekommen. Mit ihr rechnet die Tübinger Verwaltung im Frühling 2025.

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