- Kultur
- Erzählung »Fixateur Externe oder die Entdeckung des Erdsterns«
Nicht innerlich abrutschen
Was tun, wenn man im Krankenhaus liegt? Man spricht mit seinem Bein – oder mit Gott. Über eine Erzählung von Caritas Führer
Der Unfall beim Fußballspiel mit dem Enkel, neun Stunden Bahnfahrt von zu Hause entfernt, ein komplizierter Beinbruch, eine noch kompliziertere Operation mit Spinalanästhesie und der Angst, danach gelähmt zu sein – so unheilschwanger beginnt die Erzählung der Autorin Caritas Führer, die mit Lyrik und Prosa und vor allem mit dem Roman »Die Montagsangst« vor 25 Jahren bekannt wurde.
Angst ist auch in der neuen Erzählung ein Thema: Angst der Protagonistin Fanny davor, dass die Knochen nicht wieder richtig zusammenwachsen; Angst, nicht aus der Narkose zu erwachen; Angst vor den weiteren nötigen Operationen am Bein, welches sich wie ein Fremdkörper anfühlt und aus dem Eisenteile ragen: Fixateur externe.
Bangen und Hoffen wechseln, bekommt Fanny doch Fürsorge, Zuspruch, Trost vom Klinikpersonal, von Besuchern, aus Briefen, bei Anrufen. Studentinnen interessieren sich für den Krankheitsverlauf: »Ein winziger Nützlichkeitsfaktor ist das, den sie dringend nötig hat.«
Fanny, verheiratet mit dem Pfarrer Niklas, dem sie in der Gemeindearbeit zur Seite steht, wird aus allem Engagement gerissen, fühlt sich ausgeliefert – hat nur noch Kraft für sich selbst, beispielsweise um die Abscheu gegenüber der Mitpatientin zu überwinden oder um sich abzugrenzen von der »Munterkeit der Therapeutin« – immer bemüht, »innerlich nicht abzurutschen«. Sie macht die »traumatische Erfahrung«, beschädigt, eingeschränkt, behindert, versehrt zu sein. Krank? Fanny denkt über diese Begriffe nach; sie fragt sich, ob wohl jede Verletzung eine »geheime Ursache« habe, tiefliegende Zweifel, unbeantwortete Fragen, eine Beunruhigung, ein Warnsignal offenbare. Sie findet einen anderen, vielleicht naiveren, Zugang zum Glauben an einen Gott, den »allerobersten Chefarzt«, »der ihr zublinzelt«, den man darum bitten darf, dass die Ärzte auch ja alle Schrauben wieder aus dem Bein herauskriegen. Statt wie im Psalm mit der Seele, redet sie mit dem Bein. Es wird personifiziert, es leistet etwas, »erledigt jede Menge Arbeit«, beschwert sich aber auch über das Eingepresst-Sein im Stützstiefel, der Orthese, »ohne Luft zum Atmen«; das Bein ist »tapfer«.
Welches Gefühl, zum ersten Mal wieder freihändig zu laufen! Die Verletzungen wurden leichter wahrgenommen, als Fanny noch mit Gehhilfe ging. Das Loslassen begreift die Protagonistin als »neue Lebensphase.« Sie erlebt weiterhin Fortschritte und Rückschritte; und als wäre die Prüfung nicht groß genug, fällt sie zusammen mit weiteren Umbrüchen und Neuanfängen: Niklas geht in den Vorruhestand. Sie ziehen aus dem idyllischen dörflichen Pfarrhaus in eine kleinere Stadtwohnung. Die Klimaveränderungen erschrecken nicht weniger als die Pandemie, deretwegen alles ausfällt: Buchmesse, Theater, Kino, Gottesdienste. Eine Ausgangssperre wird verhängt; kann die Physiotherapeutin kommen? Was wird aus dem Röntgentermin?
Privates und Globales wird gleichzeitig und mehrschichtig geschildert; und poetisch, denn am Schluss leuchtet noch ein Erdstern – ein seltener Pilz mit rätselhafter Symbolik. Bei aller Schwere und oft fehlender Zuversicht, ist diese Geschichte leicht und mit wohltuendem, Abstand schaffendem Humor geschrieben. Etwa wenn Fanny sich fragt, »ob Chirurgen eine Art Stickkurs belegen müssen, bevor sie die Nadel ins Fleisch stechen dürfen?«
Den Krankheitsverlauf erlebt Fanny wie eine Läuterung – auch dankbar, weil sie erkennt, dass ein Gemeinschaftsgefühl, welches sie in der Gesellschaft mit gestiftet und gestaltet hat, auf sie zurückwirkt, Genesung befördert, neue Kraft verleiht.
Caritas Führer: Fixateur Externe oder die Entdeckung des Erdsterns. Erzählung. Verlag SchumacherGebler, edition petit, 160 S., br., 18 €.
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