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Alimente in Mexiko: Ein feministischer Erfolg
In Mexiko forciert eine Gesetzesreform Unterhaltszahlungen an alleinerziehende Mütter
Der kollektive Schock sitzt noch tief in den Knochen der Mexikaner*innen: Xavier López Rodríguez alias »Chabelo« ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Mexiko suhlt sich in Trauer um den quirligen Showmaster Chabelo. Es ist, als wären Gottschalk, Jauch und Raab gleichzeitig dahingerafft worden. López Rodríguez erfreute sich unglaublicher Beliebtheit: Jeden Sonntag um sieben Uhr morgens fesselte Chabelo vor allem kleine Zuschauer*innen vor der Flimmerkiste. Zwei Weltrekorde gehen auf sein Konto, einer davon für die längste Ausstrahlung eines Kinderprogramms – 44 Jahre bei der Preisverleihung; am Ende wurden es sogar 47 Jahre am Stück.
Im Verlauf seiner immensen Karriere schwängerte der liebenswürdige Chabelo eine Liebhaberin, seine Tochter Lesly López Pérez wurde geboren. Als er von der Schwangerschaft erfuhr, kappte der Entertainer jeden Kontakt, so die Mutter Oralia Pérez. Trotz ausreichendem TV-Einkommen wollte Superstar López Rodríguez keinen Peso an Unterhalt zahlen. 2010 forderte seine Tochter schließlich die Anerkennung der Vaterschaft sowie Unterhaltszahlungen. Ein DNA-Test beseitigte jeglichen Zweifel. Wenige Jahre später verurteilte ein Richter in Mexiko-Stadt Entertainer Chabelo zur Anerkennung der Vaterschaft und einer saftigen Strafzahlung.
Den Fall rollte Diana Luz Vázquez Ruiz wieder auf. Die Aktivistin wies auf Twitter zum Todestag Chabelos darauf hin. Vázquez Ruiz ist Impulsgeberin für das »Ley Sabina« (Sabinas Gesetz). Sabina, so heißt ihre fünfjährige Tochter. Der Ex-Partner zahlte keinen Unterhalt für die kleine Sabina. Seitdem kämpft die alleinerziehende Mutter dafür, dass unterhaltspflichtige Väter zur Kasse gebeten werden. Sie ist eine von rund 2,5 Millionen alleinerziehenden Müttern in Mexiko, die keine Alimente von den Vätern der Kinder erhalten, wie das nationale Statistikinstitut Inegi konstatiert. Zudem würden bei Scheidungen in sieben von zehn Fällen Väter ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen.
Der Aktivismus manifestiert sich nun in einer Gesetzesreform. In diesen Wochen feiert Mexiko einen kleinen feministischen Erfolg. Es ist eine sichere Sache: Das »Ley General de los Derechos de Niñas, Niños y Adolescentes« (Allgemeines Gesetz über die Rechte von Kindern und Jugendlichen) wird reformiert. Ein Register zur Erfassung der Unterhaltsschuldner wird geschaffen. Dieses Register wird national und öffentlich einsehbar sein. Daher wird auch Kritik an der Verletzung von Privatsphäre-Rechten laut: Eine Art Superpranger sei das.
Senatorin Olga Sánchez Cordero verteidigt das Gesetz, auch diesen umstrittenen Teil. Im Interview mit »Milenio« sagt sie: »Das Register muss öffentlich sein. Nur so lässt sich die Schwere des Themas erkennen.« Die Senatorin hebt hervor, dass auch, falls dies der Fall sei, unterhaltspflichtige Mütter auf die Liste kommen können. Das ist in Mexiko aber sehr selten Realität. Auf die Liste kommt, wer nachweislich länger als 90 Tage keinen Unterhalt gezahlt hat. Im Interview mit der feministischen Plattform Cimanoticias wird das von der Aktivistin Vázquez Ruiz kritisiert. 30 Tage hielte sie für gerechter.
Und siehe da, welch Überraschung: Kritik kommt vor allem von älteren Männern. Der Schreihals-Kolumnist Ruiz Healy regte sich bei einer Gesprächsrunde beim Sender »Grupo Fórmula« so sehr auf, dass die anderen drei Gesprächspartner*innen ihn beruhigen mussten. »Eine Dummheit« sei diese Reform, so Healy. Drastischer als die öffentliche Einsicht in jenes Register sind tatsächlich die Folgen, sollte jemand weiterhin keinen Unterhalt zahlen. Behördengänge wie das Beantragen eines Führerscheins, der Ine (Wahlkarte und ähnlich dem Personalausweis) und des Reisepasses, das Ver- und Ankaufen von Immobilien, sich zur Wahl aufstellen lassen – all das ist nicht mehr möglich, steht eine Person einmal auf der Liste. Auch aus dem Land ausreisen wäre dann nicht mehr möglich. Massive Konsequenzen also, die die Mobilität eines Menschen ungemein einschränken. »Sozialer Tod« wird das Maßnahmenpaket in einigen Medien bereits genannt. Heftig kritisiert wird die Reform dafür von einigen, andere wiederum feiern genau das.
Die Härte der Maßnahmen solle die Unterhaltsschuldner dazu zwingen, ihrer Verantwortung nachzukommen, so die Logik. Um einen Pranger solle es dabei nicht gehen: Sobald der Unterhalt an die Kinder von der verantwortlichen Person wieder gezahlt wird, kommt diese von der Liste, und alle Behördengänge sind wieder problemlos möglich.
Frauen in Mexiko sind Opfer der gesamten Palette patriarchaler Gewalt: Femizide, Vergewaltigungen, Säureattacken, Zwangsprostitution, Zwangsheirat, psychologische und häusliche Gewalt. Die Liste ist endlos. Seit dem juristischen Erfolg der Gesetzesreform ist das Thema der »ökonomischen Gewalt«, wie es in progressiven Kreisen gerne heißt, präsenter.
Bei Demonstrationen und Kundgebungen häuft sich seit einiger Zeit eine Aktionsform feministischer Gruppen: Wäscheleinen werden auf öffentlichen Plätzen aufgespannt, darauf mit Wäscheklammern Poster mit Name und Foto des Unterhaltsschuldners gehängt. Stellenweise sogar mit Vorgangsnummer bei den Behörden. In Jalisco gegenüber dem Kongressgebäude, in Oaxaca-Stadt auf dem zentralen Platz Santo Domingo, oder im Zentrum der Hauptstadt während des 8. März: Die öffentliche Zurschaustellung der Unterhaltsschuldner hat bei feministischen Gruppen großen Anklang gefunden.
Dabei entlarvt sich jener Mythos, der in Mexiko auch bei Frauenmorden innerhalb der Bevölkerung gerne weitergetragen wird: Das seien Probleme der Unterschicht; die Armen, Ungebildeten würden so etwas tun. Doch egal ob Femizide, Säureattacken oder ausbleibende Alimente-Zahlungen – die Täter kommen aus allen Bildungsschichten. Sie sind reich, arm, schauen Telenovelas oder Opern. Das grundlegende Problem in Mexiko ist die tiefsitzende Abwertung der Frau in der Gesellschaft.
In Zeitlupe tut sich etwas im Macho-Land. Vor knapp einem Monat hat der Bundesstaat Puebla als erster das »Ley Malena« (Malenas Gesetz) verabschiedet. Es sieht vor, Säureattacken juristisch als das zu bestrafen, was sie sind: ein versuchter Femizid. Geschlechtsspezifische Gewalt also, nicht irgendeine Form von Gewalt. Das Gesetz ist der Aktivistin María Elena Ríos, oft Malena genannt, zu verdanken. Sie erlitt 2019 eine Säureattacke, in Auftrag gegeben von ihrem Ex-Partner. Es zeigt, wie auch das Ley Sabina, dass sich in Mexiko etwas bewegen lässt, dass der Aktivismus Früchte tragen kann.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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