Mit Sousveillance gegen die Überwacher

Drei deutsche Hilfsinitiativen wollen sich neue Beobachtungstechnologien zunutze machen

Der Verein Searchwing beim Test einer Selbstbaudrohne im Mittelmeer.
Der Verein Searchwing beim Test einer Selbstbaudrohne im Mittelmeer.

Das Mittelmeer gilt als eines der am besten überwachten Meere weltweit, trotzdem lassen die Anrainer dort weiterhin tausende Menschen ertrinken. Mit verschiedenen Initiativen wollen sich Aktivisten neue Beobachtungstechnologien zunutze machen und mit so gewonnenen Daten die staatlichen Täter überwachen. Das Konzept ist nicht neu. Ende des vergangenen Jahrhunderts hat sich dafür der Begriff »Sousveillance« etabliert. Allerdings ist die heute weiter zunehmende freie Verfügbarkeit von Daten nicht mit der Situation in den 90er Jahren – dem Ursprung der Bewegung der »Sousveillance« – vergleichbar. Inzwischen können etwa Satellitenbilder und Positionsdaten von Schiffen zur nachträglichen Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen im Mittelmeer und Verfolgung von Verantwortlichen beitragen.

So experimentiert etwa der deutsche Verein Space-Eye mit Satellitendaten. Die rund ein Dutzend Wissenschaftler und Studierenden nutzen dafür Bilder des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus. Diese Satellitendienste generieren Bilder mit geringer Auflösung und kurzer zeitlicher Abdeckung. Für eine effektive Beobachtung müsste der Verein daher weitere, teure Bilder von Satellitendiensten kaufen. Auch deshalb befindet sich das Projekt derzeit in einem wissenschaftlichen Stadium, dazu arbeitet Space-Eye mit verschiedenen Universitäten und Hochschulen zusammen.

Einen anderen Ansatz mit eigenem Überwachungsgerät verfolgt der Verein Searchwing, der mit der Hochschule Augsburg eine günstige, wasserdichte Drohne entwickelt hat. Sie kann auf einem Schiff aus der Hand gestartet werden und die Umgebung nach Booten in Seenot absuchen, in einem bis zu zweistündigen Einsatz fliegt der Starrflügler bis zu 120 Kilometer weit. Die Technik wurde bereits mehrfach auf zivilen Rettungsschiffen im Mittelmeer getestet. Die Fähigkeiten sind jedoch durch die Nutzlast begrenzt, die bislang nur eine Zuladung von Kameras mit einer nicht allzu hohen Auflösung erlaubt. Eine Suche in der Nacht ist ebenfalls noch nicht möglich. Zudem muss die Drohne im Wasser landen und dort geborgen werden. Das größte Manko dürfte aber in der fehlenden Echtzeitübertragung der aufgenommenen Bilder bestehen.

Schließlich experimentieren Aktivisten der Plattform Leave No One Behind mit der Nutzung von personenbezogenen Positionsdaten, um damit sogenannte Pushbacks zu verhindern oder wenigstens zu dokumentieren. Dazu programmieren sie unter dem Namen »Claim Asylum EU« eine App, die Menschen im Asylverfahren unterstützen soll. Zur Zielgruppe gehören Schutzsuchende, die wie in Griechenland oder Polen von den dortigen Grenzbehörden zurückgeschoben werden, ohne dass sie wie in internationalen Konventionen vorgeschrieben Asyl beantragen können. Mit der App sollen die Betroffenen sofort nach Erreichen eines EU-Mitgliedstaates auf elektronischem Weg einen Asylantrag stellen können und den Standort mit GPS-Daten protokollieren. Zusätzlich können die Nutzer Bilder von sich und der Umgebung aufnehmen, die mit Zeit- und Ortsstempel versehen in einer Cloud gespeichert werden können.

Aus den Beispielen wird deutlich, dass die Umkehr der neuen Beobachtungstechnologien derzeit allenfalls in Ansätzen gelingt. Diese Waffenungleichheit könnte sich allenfalls verändern, wenn die Überwacher ihre Daten teilen würden. Zivile Organisationen fordern seit Jahren von der EU-Grenzagentur Frontex, die Aufnahmen ihrer Flugzeuge und Drohnen auch für die Seenotrettung zur Verfügung zu stellen. Das Gleiche könnte für Satellitendaten gelten, die Frontex von kommerziellen Anbietern kauft. An der grundsätzlich falschen EU-Migrationspolitik würde dies zwar nichts ändern, jedoch müssten im Mittelmeer weniger Menschen ertrinken.

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