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25 Jahre Karfreitagsabkommen: Endlich ein guter Tag?
Vor 25 Jahren begründete das Karfreitagsabkommen zwischen Republikanern und Loyalisten in Nordirland einen kalten Frieden
Abkommen sind zumeist nur Etappen auf einem Weg hin zu friedlicheren Verhältnissen. So war es auch in Nordirland, als 1998 das Karfreitagsabkommen geschlossen wurde. Dabei einigten sich die britischen und irischen Regierungschefs, Tony Blair und Bertie Ahern, mit den verfeindeten Vertreter*innen der irisch-katholischen und unionistisch-protestantischen Parteien, die teilweise auch die Paramilitärs der (»Provisorischen«) Irisch-Republikanischen Armee (IRA) sowie der Loyalisten vertraten. Eine zentrale Rolle spielte der US-Vermittler George Mitchell, wie überhaupt die Rolle der USA in der Überwindung des nordirischen Bürgerkriegs, im Englischen meistens als »Troubles« (Unruhen, Probleme) leicht verniedlichend beschrieben, positiv und wichtig war. Mit Bill Clinton – unter dessen zeitgleicher Sanktionspolitik die irakische Bevölkerung bitter zu leiden hatte – begann eine Tradition eines starken Engagements amerikanischer Präsidenten (mit Ausnahme von Donald Trump) für eine Befriedung Nordirlands.
»Große« Frauen und Männer machen selten Geschichte, doch können sie in historisch offenen Situationen Chancen nutzen oder verspielen. Clinton und Blair, Ahern und Mitchell, die britische Nordirlandministerin Mo Mowlam, nicht zuletzt John Hume von der irisch-katholischen sozialdemokratischen Labour Party, Gerry Addams und Martin McGuinness von der IRA-nahen Sinn Féin (SF) sowie David Trimble von der damals größten unionistischen Partei UUP nutzen das Zeitfenster und schlossen am 10. April 1998 das Karfreitagsabkommen in Belfast ab. Hume und Trimble erhielten dafür 1998 den Friedensnobelpreis. Der nordirische Friedenspolitiker Blair verspielte sein Ansehen aus dem Jahr 1998 als Kriegspremier von 2003, als er zusammen mit dem US-Präsidenten George W. Bush den dritten Golfkrieg gegen den Irak vom Zaun brach, unter dessen Folgen der Irak und die Region bis heute leiden.
Vorgeschichte des Friedensprozesses
Im August 1969 eskalierte in Belfast und Derry die Gewalt. In den folgenden drei Jahrzehnten fielen mehr als 3500 Menschen dem Konflikt zum Opfer, fast 50 000 Menschen wurden verletzt. Über die Hälfte der Opfer waren Zivilist*innen, mehr als ein Viertel Angehörige der nordirischen Polizei beziehungsweise des britischen Militärs, ein knappes Fünftel der Opfer waren republikanische oder loyalistische Paramilitärs. Die (»Provisorische«) IRA und andere republikanische Paramilitärs waren für fast 60 Prozent der Toten verantwortlich, ihre loyalistischen Feinde für etwa 30 Prozent, während ein gutes Zehntel der Opfer durch britische und nordirische Geheimdienste, Polizei und Militär getötet wurde. Also haben loyalistische Paramilitärs mehr Zivilist*innen getötet als die Republikaner*innen und diese wiederum immer noch weit mehr als der britische und nordirische Staat. Nicht zuletzt gab es auch ausgeprägte Gewalt innerhalb der republikanischen beziehungsweise loyalistischen Gruppen, rund ein Zehntel ihrer Toten gingen auf das Konto interner Fehden.
Kurzfristige Waffenstillstände und Hintergrundgespräche zwischen irischen Republikaner*innen und britischen Stellen hat es immer wieder gegeben, auch in den blutigsten Jahren des Konfliktes zwischen 1972 und 1975, als bis zu 500 Menschen pro Jahr starben. Ab Mitte der 1980er Jahre hatte sich der »lange Krieg« auf einem Niveau von rund 100 Toten pro Jahr verfestigt. Nach dem Wahlsieg von Tony Blair im Mai 1997 und einem zweiten IRA-Waffenstillstand im Juli 1997 führten die Verhandlungen zu Ostern 1998 zum Erfolg.
Zehn schwere und zehn gute Jahre
Das Karfreitagsabkommen wurde in einem Referendum in Nordirland bei einer hohen Beteiligung von gut 80 Prozent von 71 Prozent der Abstimmenden angenommen, wobei fast alle Katholik*innen, aber nur 57 Prozent der Protestant*innen mit »Ja« stimmten. Es ebnete den Weg für eine institutionalisierte Machtteilung (»Power Sharing«), eine radikale Polizeireform, die der neuen nordirischen Polizei (PSNI) eine größere Akzeptanz in der irisch-katholischen Bevölkerungsgruppe verschaffte und eine begrenzte Amnestie für republikanische und loyalistische Paramilitärs. Die irischen Republikaner*innen mussten akzeptieren, dass der Weg zu einer irischen Vereinigung nur durch eine Mehrentscheidung in Nordirland möglich sein würde. Daher spaltete sich, wie so oft in der Geschichte des militanten irischen Republikanismus, eine Minderheit von der IRA ab, die sich als »echte« IRA (Real IRA) bezeichnete und im August 1998 in Omagh für den schlimmsten einzelnen Terrorakt in Nordirland verantwortlich war, dem 29 Menschen zum Opfer fielen. Die Empörung über diese Tat isolierte die Dissident*innen weiter, während im Mainstream des Republikanismus der politische Flügel Vorrang vor dem paramilitärischen bekam, auch wenn die meisten politischen Führer*innen von Sinn Féin selbst aus der IRA kamen und auch nur deshalb die Autorität besaßen, den Friedensprozess in der IRA durchzusetzen. Dadurch konnte SF binnen weniger Jahre zur dominanten Kraft im irisch-katholischen Lager werden. Unter der Führung von Mary Lou McDonald und Michelle O’Neill, zwei Frauen, die keine eigene IRA-Geschichte haben, ist SF heute die nach Stimmen stärkste Partei sowohl in der Republik Irland als auch in Nordirland.
Der Weg der Umsetzung des Karfreitagsabkommens verlief freilich zäh, der Friedensprozess stand mehrfach vor dem Scheitern. Der hartnäckige Widerstand radikaler Unionist*innen sowie der mühsame Weg zu einer gesichtswahrenden (Selbst-)Entwaffnung der IRA stellten zwei wesentliche Hürden dar. Katholische und protestantische Geistliche sowie verschiedene internationale Vermittler, darunter auch der heutige südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa und der ehemalige finnische Präsident Marrti Ahtisaari, überwachten den Prozess hin zur Selbstzerstörung der IRA-Waffenarsenale. Auf dieser Basis wurde dann im Oktober 2006 das St-Andrews-Abkommen geschlossen, in dessen Folge die nunmehr größten Parteien der irisch-katholischen und der protestantischen Seite, SF und die radikale Demokratisch-Unionistische Partei (DUP), im Mai 2007 die nordirische Regierung wiederbelebten. Ausgerechnet der einstige antikatholische Eiferer Ian Paisley und der frühere IRA-Führer Martin McGuinness führten als Erster Minister beziehungsweise stellvertretender Erster Minister die neue Regierung an – und dies in einer kurz zuvor unvorstellbaren herzlichen Verbundenheit.
Brexit und Krisenjahre
Mit Martin McGuinness als stellvertretendem Ersten Minister blieb der zentrale Stabilitätsfaktor der Machtteilung bis Anfang 2017 im Amt. Seit über sechs Jahren ist es jedoch nur noch sporadisch gelungen, die gemeinsame Regierung zu erhalten, sodass Nordirland derzeit wieder von London direkt verwaltet wird. Die DUP verweigert sich einer gemeinsamen Regierung, die nach dem Wahlerfolg im Mai 2022 erstmals von SF in Person von Michelle O’Neill geführt werden würde. Der Brexit hat die Situation in Nordirland wirtschaftlich und vor allem politisch erheblich verschärft. Ob das Ende Februar zwischen Rishi Sunak und Ursula von der Leyen ausgehandelte »Windsor-Rahmenwerk« die Probleme lösen kann, muss sich in der Praxis noch zeigen.
Der Aufstieg SF zur größten Partei in beiden Landesteilen und die symbolträchtige demografische Entwicklung, nach der sich heute mehr Nordir*innen als irisch-katholisch denn protestantisch-unionistisch definieren, bedeutet jedoch keinen Automatismus hin zur irischen Vereinigung. In Nordirland wächst der Anteil derjenigen, die sich keinem der ethno-religiös-kulturellen Blöcke zuordnen und auch innerhalb der beiden großen Lager gibt es Minderheiten, die sich je nach konkreten politischen Sachfragen und weniger nach nationalen Logiken entscheiden. So stimmte etwa 2016 ein Fünftel der Unionist*innen gegen den Brexit, was zur Folge hatte, dass 55 Prozent der Nordir*innen für den Verbleib in der EU votierten.
Aus Sicht radikaler Republikaner*innen hat sich SF im Friedensprozess aus opportunistischen Gründen verkauft, weil es bisher nicht zur irischen Vereinigung kam. Doch ist eine solche Sichtweise aus dreierlei Gründen sektiererisch und falsch: Erstens eskalierten die »Troubles« ab 1969 nicht aus nationalistischer Vereinigungsbegeisterung, sondern weil eine jüngere Generation in der irisch-katholischen Minderheit die systematische Diskriminierung durch die Bevölkerungsmehrheit nicht mehr hinnahm und eine friedliche Bürgerrechtsbewegung am Dogmatismus der unionistischen Mehrheit scheiterte. Zweitens hatte der »bewaffnete Kampf« es weder vermocht, die Brit*innen aus Nordirland zu vertreiben, noch die Unionist*innen zu überzeugen, sich Irland anzuschließen. Drittens hat der Friedensprozess die gesellschaftlichen und politischen Lebensbedingungen der irisch-katholischen Bevölkerungsgruppe deutlich verbessert. Aus diesen Gründen können militante Republikaner*innen zwar immer noch einzelne Gewalttaten verüben, aber für eine Rückkehr zu den blutigen Jahren nach 1969 fehlt ihnen bislang jeder gesellschaftliche Rückhalt. Unterm Strich – und im Vergleich zu vielen anderen Krisenregionen und Kriegen in der Welt – ist der nordirische Friedensprozess daher trotz vieler Mängel eine Erfolgsgeschichte.
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