Suche nach Einfluss

Emmanuel Macron hat eigene Vorstellungen von Europas Rolle in der Welt

Eine riesige atlantische Gemeinschaft unter amerikanischer Führung, die von den USA abhängig wäre, ist überhaupt nicht das, was Frankreich will.» Auch wenn Präsident Emmanuel Macron in dieser Woche nach seinem Besuch in China ähnliche Botschaften verkündete – diese Worte sind 60 Jahre alt und stammen von einem seiner Amtsvorgänger. Charles de Gaulle reagierte damit brüsk auf den Versuch Washingtons nach der Kuba-Krise, die die Welt in die Nähe eines Atomkriegs bugsiert hatte, den Europäern militärisch und politisch seine Vorhaben gegen den sozialistischen Block überzustülpen. De Gaulle sagte «non» und ließ dem auch Taten folgen: mit der Gründung eigener Nuklearstreitkräfte und dem Austritt aus der militärischen Kommandostruktur der US-dominierten Nato im Jahr 1966.

Der gaullistische Geist, der auf die Souveränität und «La Grandeur» (die Größe) Frankreichs in allen strategischen Fragen setzt, gehört noch immer zu den prägenden Elementen der Pariser Außenpolitik. Schon im September 2017, kurz nach Amtsantritt, sprach sich Macron in seiner Rede an der Eliteuniversität Sorbonne für mehr Eigenständigkeit der Europäer in der Wirtschaftspolitik und eine gemeinsame europäische Verteidigung aus. Später bezeichnete er die Nato provokativ als «hirntot». Jetzt warnt er wie einst de Gaulle davor, sich von den USA in Konflikte wie den um Taiwan hineinziehen zu lassen: «Das Schlimmste wäre zu denken, dass wir Europäer bei diesem Thema Mitläufer sein und uns an das amerikanische Tempo und eine chinesische Überreaktion anpassen sollten.»

Dieser Vorstoß wie auch die heftigen Gegenreaktionen etwa aus Deutschland dürften Macron zu Hause Pluspunkte geben. Die hat er dringend nötig, da der Massenprotest gegen die von ihm durchgedrückte Rentenreform ihn innenpolitisch massiv schwächt. Die Betonung der «Souveränität Europas» – unter französischer Hegemonie, versteht sich – soll wohl außerdem der Pariser Polit-Elite aus traditionellen Gaullisten und Pro-EU-Europäern eine gemeinsame Klammer geben, wie Beobachter vermuten.

Die nassforsche Außenpolitik des Möchtegern-Strahlemanns hat historische Wurzeln: Über Jahrhunderte zählte sich Frankreich mit seinen Kolonien zu den Weltmächten. Damit war es nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der Dekolonialisierung und der Niederlagen im Indochina- und im Algerienkrieg zwar vorbei. Doch geblieben sind die atomare Stärke, die Rolle als Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat und der außenpolitische Duktus, zumindest eine Großmacht mit bestimmten Einflusszonen zu bleiben. In Frankreich ist bis heute viel die Rede von «Einflussdiplomatie», die gerne auch mittels Kulturpolitik ausgetragen wird. Vor allem im frankophonen Afrika gerierte man sich lange Zeit zudem weiter wie eine Kolonialmacht, intervenierte auch mal militärisch. Die furchtbaren Verbrechen während der Kolonialzeit wurden hingegen nie wirklich aufgearbeitet, und so schwindet in dieser Region der Einfluss, wie der erzwungene Abzug aus Mali zeigte. Dortige Herrscher wenden sich mittlerweile Russland zu.

Der EU und ihren Vorläufern ist im Gaullismus die Rolle eines Wirkverstärkers französischer Vorstellungen zugedacht. Die Freundschaftsverträge mit Deutschland hatten aus Pariser Sicht auch das Ziel, das US-nahe Großbritannien an den Rand zu drängen. Mit der zunehmenden europäischen Integration wurde daraus der viel beschworene deutsch-französische Motor, der aber immer wieder stotterte. Deutschland hatte seine eigenen Vorstellungen: Während Frankreich die noch immer staatsnahen Konzerne für außenpolitische Zwecke benutzt, ist für die Regierungen der Exportnation östlich des Rheins die Außenpolitik vor allem Mittel, um die Interessen von Großunternehmen und Mittelständlern umzusetzen. Die EU-Integration bestand lange Zeit aus der Schaffung eines Binnenmarkts, aus geldpolitischem Monetarismus, einer starken Währung und neoliberalen Fiskalregeln. Da Deutschland hier den Ton angab, prallten die Gegensätze des öfteren aufeinander: In heiklen wirtschaftspolitischen Fragen opponierte Frankreich immer wieder zusammen mit Italien und Spanien, Ländern aus der eigenen, südlichen Einflusszone also.

Eine von Paris gewünschte, einheitliche Außen- und Verteidigungspolitik wurde bis heute nicht zustande gebracht, zu groß sind die Differenzen. Während Frankreich eine souveräne Großmacht Europa vorschwebt, die bei allen möglichen Konflikten interveniert oder auch vermittelt, möchte Deutschland vor allem, dass die Geschäfte in aller Welt gut laufen. Das hieß lange Zeit, außenpolitisch kaum auffallen, es allen Verbündeten recht machen und bei anderen möglichst wenig anecken.

Bisweilen gehen aber die unterschiedlichen Ziele auch Hand in Hand, zuletzt in der Ablehnung der auch gegen europäische Firmen gerichteten US-Subventionspolitik. Besonders lautstark kritisierte Macron diese als «super aggressiv», gemeinsam machten Vertreter aus Paris in Washington ihre Position deutlich, und Gegenmaßnahmen der EU ließen nicht lange auf sich warten. Außerdem konnte Macron ein Prestigeobjekt realisieren: Im vergangenen Jahr wurde die Europäische Politische Gemeinschaft mit 45 EU- und Nicht-EU-Staaten gegründet.

Doch Anspruch der französischen Grandeur und Wirklichkeit klaffen aufgrund des Bedeutungsverlusts in Westafrika und seit Beginn des Ukraine-Kriegs inzwischen noch weiter auseinander. Osteuropäische Regierungen etwa in Polen und im Baltikum, die sich eng an die USA anlehnen, geben außenpolitisch den zunehmend aggressiven Ton vor. Selbst die traditionell eher unabhängigen EU-Partner in Nordeuropa binden sich stärker an die Nato. Macrons Versuche – teils zusammen mit Olaf Scholz –, mäßigend auf Russland einzuwirken, blieben erfolglos und gingen im Kanonendonner unter. Auch Teile der deutschen Regierung propagieren die Beteiligung an einer nebulösen Wertegemeinschaft unter Führung Washingtons. Das heißt im Bezug auf China, nicht als selbstbewusster Vermittler im Konflikt mit den USA aufzutreten, wie es Macron vorschwebt, sondern die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Volksrepublik zu reduzieren, wie es Außenministerin Annalena Baerbock jetzt in Peking deutlich machte.

Macron dürfte mit seinen Äußerungen vor allem zu verhindern suchen, dass ihm die Felle ganz wegschwimmen und dass sich der Eindruck festsetzt, es gäbe keine Alternative. Das sehen andere ähnlich. So sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin: «Die Beschreibung einer eigenständigen europäischen Rolle ist im Interesse Europas und nicht gleich anti-transatlantisch.»

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