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»Antonius und Kleopatra«: Wenn die Frottee-Bademäntel fallen

Sex and Crime in der Antike: Claudia Bauer wagt am Schauspiel Leipzig eine »Shakespeare-Installation im Kolonialstil« frei nach »Antonius und Kleopatra«

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 6 Min.
Das Powercouple Antonius und Kleopatra in einem Medley aus Sex und Krieg
Das Powercouple Antonius und Kleopatra in einem Medley aus Sex und Krieg

Mit einem Antidiskriminierungsprolog geht es los: Alle Schauspieler*innen, alle Körper dürfen auf dieser Bühne wertungsfrei spielen, ohne rassistisch, sexistisch oder ableistisch behandelt zu werden. Vereinzelt sind Lacher aus dem Publikum über den ausgestellten »Woke-ismus« zu vernehmen. Die Darsteller*innen Patrick Isermeyer und Teresa Schergaut halten jedoch die Waage zwischen Lächerlichkeit und Ernst. Dieses performative Gespräch über Grenzen wirkt angesichts des folgenden Medleys aus Sex und Krieg durchaus angemessen.

Erst erkundet das antike Liebespaar Antonius und Kleopatra mit vorsichtig tastenden Bewegungen den Körper des anderen, dann fallen die Frottee-Bademäntel und alle Distanz zwischen ihnen. Während sie sich in ihren kleinen Tempel zurückziehen, der auf der Bühne der Leipziger Diskothek kreist, ziehen Kriegsaufnahmen und Sequenzen aus »Star Wars« auf den Wänden ihres trauten Heims vorbei. Die äußeren Mauern sind durch Vorhänge unterbrochen und lassen so Einblicke in das kleine Haus zu. Zwei Zimmer, Küche, Bad verstecken sich im Bühnenaufbau, den Andreas Auerbach passend zu den antiken Kostümen aus der Verkleidungskiste entwarf. Getaucht in rotes Licht fängt eine Handkamera das Powercouple ein, das seine Allianz vor roter Samttapete mit vollem Körpereinsatz konsolidiert.

Das Schicksal beider inspirierte Shakespeare zu einer seiner großen Tragödien. Während Großbritannien seine Kolonialmacht ausbaut, verfolgt der elisabethanische Dichter den Untergang des ägyptischen Reiches zugunsten des aufsteigenden römischen Imperiums. Shakespeare ist wie eine Bluttransfusion fürs Theater. Mangelt es an Gehalt, bedient man sich seines Figurenfundus. Eigentlich ein vampirisches Verhältnis, findet Isermeyer. Dabei sind an diesem Abend nur eine Handvoll Wörter von Shakespeares 40 Szenen umfassenden »Antonius und Kleopatra« zu hören.

Mehr Raum nimmt die Reflexion über (de)koloniale Verstrickungen der Geschichte ein. Zwischen den intensiven Begegnungen der Protagonist*innen treten diese aus den Zimmerchen ihrer Liebeshöhle heraus und eröffnen den nicht weniger hitzigen Metadiskurs. Nicht erklärend, sondern herausfordernd richten sie sich ans Publikum, Gegenrede bleibt jedoch aus.

Weil die ägyptische Königin Allianzen im Schlafzimmer schmiedete, Sex und Macht verband, polarisiert sie bis heute. Ihre überlieferte Geschichte wandelte sich von der exotisierten »Sirene vom Nil«, wie sie Elizabeth Taylor im Film von 1963 darstellte, zur »African Warrior Queen«, einer Ikone des Schwarzen Feminismus. Als Schwarze Protagonistin der Dokufiktion »Queen Cleopatra«, die kürzlich auf Netflix erschien und nur lose auf historische Ereignisse rekurriert, entfachte sie dieses Jahr eine Debatte über »blackwashing« durch den Streaming-Anbieter. Gesichert ist, dass die Königin eine Linie mazedonischer Herrschaft über das ptolemäische Königreich beendete und sich in der hellenistischen Mode der Epoche präsentierte. Ist Kleopatra damit selbst griechische Kolonisatorin, die wiederum vom römischen Imperium eingenommen wurde?

Während sie in Unterwäsche und Strassperücke in der Badewanne steht, referiert Schergaut über die diskursiven Fallstricke ihrer Rolle. »Antonius und Kleopatra. Eine Shakespeare-Installation im Kolonialstil«, die die zwei Spieler*innen und Regisseurin Claudia Bauer gemeinsam entwickelten, arbeitet kritisch mit kultureller Aneignung und Exotismus. So übernimmt auch der Schwarze Schauspieler für eine Szene die Rolle der ägyptischen Königin, und Schergaut spielt im Zwei-Personen-Stück auch den Kolonisator und späteren Kaiser Augustus Octavian, der Antonius zu sich ruft.

Der Abschied zwischen Kleo und Anton verläuft nicht ohne Todesdrohungen, die die Schauspielerin, hingebungsvoll auf dem Boden rollend, ausruft. Aber nach ausgedehnter Zweisamkeit muss Antonius den goldenen Legionärsrock und kurzgeratenen Brustpanzer wieder anlegen und von Ägypten zurück nach Rom reisen. Mit Tropenhelm und Khakihemd erwartet Octavian seinen General. Stimmverzerrt grillt er ihn über seine Zeit auf der anderen Seite des Mittelmeeres, dann verheiratet er den soeben Verwitweten mit seiner Schwester Octavia, einer Puppe ohne Beine. Umständlich hantierend leitet Antonius die Hochzeitsnacht mit seiner hölzernen Braut ein, grapscht mit blau beschmierten Händen an ihre Brüste und drückt seinen Mund auf das leblose Plastikgesicht.

Mit »Eifersuchtsschwachsinn« habe ihre Laune gar nichts zu tun, betont Kleopatra, nachdem sie die Botschaft erreicht. Ihre Außenpolitik sei einfach geplatzt. Aufbrausend, aber souverän spielt das Leipziger Ensemblemitglied die starke Frauenfigur zwischen Leidenschaft und Kalkül. Trotz des Verrats behält sie die Kontrolle und schmiedet eigene Pläne. Mit zwei Kinderpuppen im Arm und einer Kippe im Mundwinkel nähert sich Antonius hingegen dem Nervenzusammenbruch. Mit Einfalt und Verzweiflung in der Stimme wiederholt er seine Sätze häufig und träumt sich zurück an die Brust seiner Königin.

Beflügelt von seinem Begehren, überbrückt Antonius abermals das Meer, um sich wieder an der Angebeteten zu reiben. Sie bedecken ihre Körper mit blauer Farbe – eine Reminiszenz an die Performance »Anthropométrie de l’époque bleu« von Yves Klein – und drücken sich gegen die imperiale Karte, auf der das römische Großreich bereits eingezeichnet wurde.

Zum zweiten Mal unterbricht sie das Telefon: Ein Bote berichtet von den anrückenden Schiffen Octavians, woraufhin Kleopatra, vollkommen Herrin ihrer Lage, zum Gegenschlag ruft. Weil die ägyptische Flotte scheitert, spritzt sogleich das Kunstblut auf die blauen Badezimmerkacheln. Damit wird nur ein weiterer Regler in der Theatereffektmaschinerie umgelegt, die sich mit der Verausgabung der Spieler*innen weiter nach oben schraubt. Noch in ihrer mit Farbe vollgesogenen Unterwäsche beginnt die Königin den Flirt mit dem ehemaligen Kriegsfeind. Macht und sexuelle Anziehungskraft sind für Kleopatra eins, aber als »Exotikpüppchen« lässt sie sich nicht von Octavian nach Rom geleiten. Dann wählt sie lieber ihr Ende durch den Biss einer Schlange.

Macht und wie man sie als Frau erringt, davon handelt der vorerst letzte Theaterabend Claudia Bauers am Schauspiel Leipzig, der sich als Ensemblearbeit präsentiert. Souffleuse Ditte Trischan und Kameramann Fabian Polinski werden von den Schauspieler*innen angespielt und treten gemeinsam zum Schlussapplaus an. Ein fast harmonisches Endbild. Vielleicht, weil der Machthaber dieses Theaterreichs in der Aufstellung fehlt. Der Intendant Enrico Lübbe steht bald als Zeuge vor dem Bühnenschiedsgericht in Chemnitz, weil zwei Schauspielerinnen nach einer Nichtverlängerung geklagt hatten. Jetzt muss er die Entscheidung aus »künstlerischen Gründen« öffentlich darlegen.

Als im Dezember auf die Nichtverlängerung sogar ein Hausverbot für Katharina Schmidt und Julia Preuß folgte, beschloss Claudia Bauer ihre Stelle als Hausregisseurin in Leipzig aufzugeben. Auch Lübbe wird seinen Posten irgendwann verlieren, »aber wie man seine auf Zeit verliehene Macht benutzt, wie man sie verteilt, wie transparent man arbeitet – das sind hier die Fragen«, betont Bauer im Interview mit dem »MDR«. Ihre Inszenierung über Macht und deren Missbrauch setzt einen treffenden Schlusspunkt.

Nächste Vorstellung: 23. April
www.schauspiel-leipzig.de

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