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Michael Grunst wäre gern Bürgermeister in Lichtenberg geblieben
Lichtenbergs langjähriger Bezirksbürgermeister über seine bevorstehende Abwahl und seine politische Bilanz
Herr Grunst, Sie gehören zu den Bezirksbürgermeistern, die im Zuge der Wiederholungswahl nun ihr Amt verlieren. Bei vollem Lohnausgleich bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2026, falls Sie keine neue Aufgabe übernehmen. Sozusagen ein goldener Handschlag. Lust auf Nichtstun?
Michael Grunst stand seit Ende 2016 als Bürgermeister an der Spitze des Bezirksamts von Berlin-Lichtenberg. Im Zuge der veränderten Mehrheitsverhältnisse nach der Wiederholungswahl wird der Linke-Politiker mit großer Wahrscheinlichkeit an diesem Donnerstag von einer neuen Zählgemeinschaft aus CDU, SPD und Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung abberufen. Grunst, Jahrgang 1970, lebt seit 1980 in Lichtenberg. 1996 trat der Diplomverwaltungswirt in die PDS ein. 2003 wurde Grunst persönlicher Referent der damaligen PDS-Gesundheits- und Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner, ab 2012 leitete er das Ordnungsamt in Treptow-Köpenick, 2015 wurde er ebendort zum Bezirksstadtrat für Jugend und öffentliche Ordnung gewählt, bevor er im Jahr darauf auf den Lichtenberger Chefsessel wechselte.
Tatsächlich kann ich nach den aufwühlenden Ereignissen der letzten Wochen eine kurze Auszeit gebrauchen, um Abstand zu gewinnen. Aber wie heißt es so schön bei Marx: Arbeit macht das Wesen des Menschen aus. Insofern laufen bereits jetzt schon Gespräche für die Aufnahme einer neuen Tätigkeit.
Ihr ebenfalls vor der Abwahl stehender Bürgermeisterkollege aus Marzahn-Hellersdorf, Gordon Lemm von der SPD, wird aller Voraussicht nach als Bezirksstadtrat weitermachen. Sie scheiden ganz aus dem Bezirksamt aus. Kam das für Sie nicht infrage, in die zweite Reihe zu rücken?
Ich wäre gern Bürgermeister geblieben. Die Arbeit hat mir eine Menge Spaß gemacht. Wenn man 42 Jahre in dem Bezirk lebt, in dem man jetzt Bürgermeister ist, kennt man viele Menschen, man kennt die Probleme und Chancen, man sieht die Politik aus Sicht der Lichtenberger*innen und kann sie dahingehend gestalten. Dieser Gestaltungsspielraum macht es zum schönsten Job der Welt.
Das beantwortet meine Frage nur indirekt, weshalb Sie nicht Bezirksstadtrat unter CDU-Bürgermeister Martin Schaefer werden.
Die neue Zählgemeinschaft aus CDU, SPD und Grünen hat uns das Ressort Jugend und Gesundheit zugestanden. Das ist ein wichtiges Ressort und Die Linke hat mit Camilla Schuler bereits eine etablierte Jugend- und Gesundheitsstadträtin in Lichtenberg, die gute Arbeit macht – und diese Arbeit auch weitermachen soll. Das ist ein nicht unüblicher Vorgang und deswegen ist die Entscheidung dann auch so gefallen.
Sie sagen, Rathauschef von Lichtenberg zu sein, sei der schönste Job der Welt. Zugleich ist es ein offenes Geheimnis, dass Sie und die Bezirks-Linke und Ihr bisheriger Zählgemeinschaftspartner SPD seit Jahren in herzlicher Abneigung einander verbunden sind. Kleinkriege in der BVV und im Bezirksamt inklusive. Ist das ein politisches oder ein persönliches Problem?
Es ist ein politisches Problem, das bis tief in die 90er-Jahre zurückreicht. Seit 1995 hatte die PDS und dann Die Linke den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin gestellt. Das hat die SPD nie verwunden. Erst 2011 ergab sich dann für die SPD die Chance einer Zählgemeinschaft mit CDU und Grünen, um den heutigen Noch-Bausenator Andreas Geisel zum Bezirksbürgermeister zu wählen. Obwohl Die Linke die stärkste Partei war …
Und das hat dann wiederum Die Linke nicht verwunden?
Nein, es ist vielmehr so, dass die folgenden fünf Jahre mit SPD-Bürgermeisterschaft schwierig für den Bezirk waren. Es ist einfach zu wenig passiert. Ankündigungen sind eben keine Politik. Der dringend nötige Schulbau wurde verzögert, die Notwendigkeit des Baus von neuen Wohnungen wurde verneint und der Personalabbau vorangetrieben. Das stellt uns bis heute vor enorme Probleme. Und dass die SPD jetzt bei der Wiederholungswahl in Lichtenberg nur noch auf 15 Prozent kam, ist eben auch ein Ergebnis des Agierens der SPD im Bezirk und im Land. Nehmen Sie die Frage von Innenhofbebauungen, von Nachverdichtungen wie im Ilsekiez in Karlshorst, was zu Konflikten mit der SPD in der Bezirksverordnetenversammlung geführt hat. Politik mit der Brechstange entspricht nicht meinem Verständnis von Politik.
Mit Blick auf die Bauprojekte an der Rummelsburger Bucht und hier dann auch die Räumung der Wagenburg und des Obdachlosencamps Anfang 2021, sagen Kritiker, auch Sie und die Bezirks-Linke hätten damals keine gute Figur gemacht. Wie sehen Sie das im Rückblick?
An der Rummelsburger Bucht wurden alle Fehler gemacht, die gemacht werden konnten. Das Gebiet ist ein Beispiel dafür, wie SPD- und CDU-Stadtentwicklungspolitik vor 1999 funktioniert hat. Die Stadtentwicklungspolitik war viele Jahre rein investorengeleitet. Dass man ein Gebiet entwickelt, ist völlig in Ordnung. Politik muss sich die Frage gefallen lassen, warum entstanden hier vor allem Wohnungen für die Mittel- und Oberschicht und nicht für alle Berliner*innen? Warum ist es nicht gelungen, die Rummelsburger Bucht zu einem Ort für alle Menschen zu entwickeln? Es wurden auch keine Lösungen für die verdrängten Wagenplätze vor Ort gefunden. Dass wir in diesem Jahr das Richtfest für kommunale Wohnungen der Howoge feierten, ist ein Ergebnis des Umsteuerns durch eine Linke-Regierungsbeteiligung. Trotzdem wurde der Großteil der Grundstücke an der Rummelsburger Bucht weit vor meiner Zeit als Bezirksbürgermeister durch das Land verkauft. Das Bezirksamt musste dann damit umgehen.
Sie sagen, es gab keine Möglichkeit zu intervenieren?
Für den Bezirk kaum. Und was mich im Nachgang ärgert, ist, dass die Investoren Versprechungen nicht eingehalten haben, ob von Coral World oder anderen privaten Immobilienfirmen. Hier wird deutlich, dass es ein Fehler war, Grundstücke an Investoren zu verkaufen, die dann bestimmen, was los ist. Diese Fehler dürfen nicht mehr gemacht werden. Aber die längst überwundenen Muster liegen auf Wiedervorlage. Nehmen Sie die Debatte von SPD-Politiker*innen, dass kommunale Wohnungsunternehmen Eigentumswohnungen bauen sollen. Das ist doch absurd. Die haben wirklich noch nicht verstanden, was diese Stadt eigentlich braucht, nämlich bezahlbaren Wohnraum.
Jetzt sind wir schon wieder bei der SPD. Ist das nicht bigott, dass Sie trotz der Konflikte 2016 eine Zählgemeinschaft mit der SPD eingegangen sind, 2021 dann mit SPD und CDU und auch jetzt wieder für eine Kooperation mit der SPD unter Einschluss der Grünen geworben haben?
Na ja, die Konflikte mit der SPD beziehen sich ja weniger auf Fragen der Jugendhilfe oder der Sozialpolitik im Bezirk, sondern die Kernauseinandersetzungen liegen immer wieder in der Stadtentwicklungspolitik.
Stadtentwicklungspolitik ist aber nun mal eines der entscheidenden bezirklichen Politikfelder.
Stimmt. Und die Auseinandersetzungen sind auch geführt worden und werden geführt. Aber die Frage ist auch, wie man gerade über eine Zählgemeinschaftsvereinbarung miteinander Verabredungen trifft, um solche Konflikte transparent nach vorn aufzulösen. Aber Fakt ist auch: Wir haben als Linke dafür keine Mehrheit in Lichtenberg.
Nach über sechs Jahren im Amt: Wie fällt Ihre Bilanz auf der Habenseite aus?
Als ich Ende 2016 ins Amt kam, haben wir wichtige Entscheidungen getroffen. Mir war wichtig, Politik aus dem Blickwinkel der Lichtenberger*innen zu gestalten. Vor allem die Vielfalt, die Lichtenberg ausmacht, rückte stärker in den Fokus der politischen Entscheidungen. Die soziale Situation der Menschen steht im Mittelpunkt unserer Politik für eine familiengerechte Kommune. Wichtig waren Unterstützungssysteme für Alleinerziehende, der Kampf gegen Kinderarmut, der Kita-Ausbau, das Regenbogenfamilienzentrum. Und wir haben den für die Aufrechterhaltung der Verwaltung verheerenden Personalabbau gestoppt, den die SPD-CDU-Koalition 2012 eingeleitet hatte. Das Schulamt und auch das Baumanagement wurden personell verstärkt und das war völlig richtig. Denn im Ergebnis wurden von den 15 000 Schulplätzen, die in Berlin seit 2017 entstanden, die Hälfte in Lichtenberg geschaffen. In Lichtenberg sind seit 2017 jedes Jahr 2000 Wohnungen gebaut worden, vor allem auch städtische und genossenschaftliche. Milieuschutzgebiete im Kaskel- und im Weitlingkiez und nun im Gebiet Frankfurter Allee-Nord wurden festgelegt.
Schön und gut, aber auch in Lichtenberg steigen die Mieten teils rasant.
Ja, auch Lichtenberg ist nicht frei von explodierenden Mieten. Da geben Mieter teilweise 40 oder 50 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus. Das sparen sie sich vom Mund ab. Wir brauchen endlich einen Mietendeckel auf Bundesebene.
Bleiben wir doch bei Ihrer Bezirksbilanz.
Wir haben in Lichtenberg gezeigt, dass man linke Schwerpunkte setzen und trotzdem vernünftig haushalten kann. Denn auch das haben wir bei alldem im Bezirk: stabile Finanzen. Und nicht zuletzt galt es, eine Pandemie zu bewältigen. Das war immer eine Teamleistung.
Die Wähler haben es trotzdem nicht goutiert. Die Linke hat nach 2021 ein weiteres Mal Federn lassen müssen in Lichtenberg, Sie sind am Donnerstag vermutlich den schönsten Job der Welt los – nicht zuletzt wohl auch aufgrund des desolaten Gesamtzustands Ihrer Partei. Wie geht es Ihnen mit Ihrer Partei?
Mit dem Zustand unserer Partei kann momentan niemand zufrieden sein. Ich bin 1996 in die PDS eingetreten, um Dinge zu bewegen, um Politik zu machen, die bei den Menschen ansetzt, hier im Bezirk. Die PDS hat damals das strategische Dreieck entwickelt. Als »Kümmererpartei« Politik für den Alltag machen, gesellschaftliche Opposition sein und gleichzeitig über den Tellerrand des Kapitalismus hinauszuschauen, dabei anschlussfähig zu sein. Das ist für mich das, was linke Politik ausmacht. Die Linke beschäftigt sich derzeit zu sehr mit sich selbst. Wir müssen uns wieder darauf besinnen, dass wir kein Selbstzweck sind, sondern eine Partei, die den Anspruch hat, für und mit den Menschen Politik zu machen. Und dahin muss Die Linke wieder zurück. Ich bin immer noch optimistisch, ich werde auch darum kämpfen. Deswegen werde ich mich auch nicht aus der Politik zurückziehen.
Das heißt konkret?
Ich werde mich in den nächsten Wochen und Monaten stark einbringen, dass Die Linke weiter eine Zukunft hat. Dass sie eine wirklich gute Oppositionspolitik macht und es vorbereitet, dass 2026 wieder eine progressive Politik in Berlin mehrheitsfähig ist.
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