Was taugt die Schlichterempfehlung für die Tarifverhandlungen?

An diesem Wochenende wurde der Schlichterspruch von den Tarifparteien des öffentlichen Dienstes angenommen. Was sieht dieser konkret vor?

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 5 Min.

An diesem Wochenende kam es bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst zu einer Einigung: Was die Schlichtungsempfehlung wert ist, kann man auf den ersten Blick kaum erkennen. Auch nicht auf den zweiten. Also hat der Tarifexperte Reinhard Bispinck nachgerechnet, welche Gehaltszuschläge konkret vorgesehen sind.

Ein Ergebnis: In diesem und im kommenden Jahr würden Beschäftigte im Durchschnitt jeweils sechs Prozent mehr Geld erhalten. Für Niedriglohn-Beschäftigte des Staats wären die prozentualen Zuschläge höher, für Besserverdienende geringer. Schaut man sich die Inflationsprognosen an, heißt das: Nach Abzug des Preisanstiegs dürften die realen Gehälter erst im kommenden Jahr wieder steigen. Die starken Reallohnverluste der Vergangenheit würden vorerst nicht ausgeglichen.

Angesichts der historisch hohen Inflation sind die Gewerkschaften mit einer Forderung von 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens jedoch 500 Euro in die Tarifverhandlungen gegangen, die bereits im Januar begonnen haben. Ein solcher Mindestzuschlag kommt vor allem Beschäftigten mit niedrigem und mittlerem Gehalt zugute. Selbst bei einer Lohnerhöhung um zehn Prozent erhielten beispielsweise Angestellte in der untersten Entgeltgruppe lediglich rund 200 bis 220 Euro mehr, Besserverdienende in der obersten Gruppe dagegen 620 bis 800 Euro.

Mehr als 500 000 Kolleginnen und Kollegen haben sich laut Verdi in den vergangenen Wochen an Warnstreiks und Aktionen beteiligt, um den Bund und die Kommunen zu drängen, ihnen mehr zu zahlen. Ende März erklärte die Gewerkschaft dann die Verhandlungen für gescheitert. Die Arbeitgeber sperrten sich laut Verdi insbesondere gegen einen ausreichend hohen Mindestzuschlag, der insbesondere Geringverdienenden helfen würde. Die Arbeitgeber riefen daraufhin die Schlichtung an. Dieser Aufforderung müssen die Gewerkschaften aufgrund einer Vereinbarung folgen. Die Schlichtungskommission, zu der neben den beiden externen Vorsitzenden je zwölf Vertreter der Gewerkschaften und Arbeitgeber gehören, haben sich vor einer Woche mehrheitlich auf eine Empfehlung verständigt, über die nun am Wochenende verhandelt wird. Beobachter halten es für relativ wahrscheinlich, dass auf Basis dieses Vorschlags ein Tarifabschluss erzielt wird.

Die Empfehlung sieht vor, dass Beschäftigte im Juni eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung von 1240 Euro erhalten und in den folgenden acht Monaten jeweils 220 Euro. Die Schlichter nennen diese Pauschalen »Inflationsausgleichsgeld«. Weil alle die gleichen Beträge erhalten, bekämen Beschäftigte in der untersten Entgeltgruppe in diesem Jahr rund zehn Prozent mehr Geld und in der obersten Gruppe knapp drei Prozent, so die Berechnungen des Tarifexperten Bispinck, der viele Jahre das WSI-Tarifarchiv der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geleitet hat und über sich selbst schreibt, dass ihn die Tarifpolitik auch in seinem Ruhestand nicht in Ruhe lässt.

Im Durchschnitt erhielten Beschäftigte dieses Jahr demnach rund sechs Prozent mehr Geld. Die Inflationsrate dürfte nach Einschätzung von Wirtschaftsforschungsinstituten bei 5,3 bis 6,6 Prozent liegen. Nach Abzug des Preisanstiegs dürfte die Kaufkraft also in etwa stagnieren, vielleicht ein bisschen steigen oder auch sinken.

Im kommenden Jahr soll es dann im März die erste dauerhafte Lohnerhöhung geben: Zunächst 200 Euro für alle und dann zusätzlich 5,5 Prozent, insgesamt mindestens 340 Euro. Gerade dieser Vorschlag hat in der letzten Woche für Verwirrung gesorgt, was nicht verwunderlich ist. Auf Anhieb ist kaum zu erkennen, was das konkret bedeutet.

Nach Bispincks Berechnungen sieht es so aus: Im Vergleich zum Vorjahr würden die Gehälter auch 2024 im Schnitt um rund sechs Prozent steigen. Nach Abzug des Preisanstiegs dürften die Reallöhne damit im Plus liegen, und zwar um ungefähr drei Prozent, wenn der Wirtschafts-Sachverständigenrat einigermaßen richtig liegt mit seiner Inflationsprognose.

Heißt das, dass die Schlichter gerade mal sechs Prozent als dauerhafte Lohnerhöhung empfehlen, die dann auch noch erst im nächsten Jahr kommen soll? Nein. Der Vorschlag bedeutet, dass die Gehälter im Vergleich zum bisherigen Tarifniveau dauerhaft um mehr als elf Prozent steigen, hat Bispinck berechnet und Verdi kommt zu einem ähnlichen Ergebnis.

2024 sollen die hohen Einmalzahlungen vom Vorjahr wieder wegfallen. Ohne jegliche Lohnerhöhung würden die Entgelte also sinken. Mit der empfohlenen Tarifanhebung steigen sie im Vergleich zum Vorjahr im Durchschnitt um rund sechs Prozent.

Als dauerhafte Lohnerhöhung empfehlen die Schlichter also gut elf Prozent ab März 2024 – bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwei Jahren. Niedrige und mittlere Gehälter würden wegen des Sockelbetrags prozentual stärker steigen als höhere.

Die starken Reallohnverluste aus den beiden vergangenen Jahren würden indes insgesamt nicht ausgeglichen, wenn der Schlichtervorschlag umgesetzt wird. Die preisbereinigten Tarifgehälter sind im öffentlichen Dienst bereits 2021 gesunken, 2022 gingen sie nochmal um mehr als fünf Prozent zurück – und damit noch stärker als in anderen Branchen. Insgesamt sanken die realen Tarifentgelte in Deutschland allein im vorigen Jahr um durchschnittlich 3,9 Prozent, so eine Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. »Das ist der höchste Reallohnverlust seit Anfang der 1950er Jahre«, sagte Thorsten Schulten, WSI-Tarifexperte und Professor für Politikwissenschaft an der Uni Tübingen.

»2022 war ein historisches Jahr, die Inflationsrate extrem hoch. Man kann nicht damit rechnen, dass die Verluste von damals mit einem Schlag wieder ausgeglichen werden«, sagte Schulten dem »nd«. Das dauere länger.

Die Schlichterempfehlung liege am oberen Ende dessen, was bislang in Tarifabschlüssen vereinbart wurde. Bispinck zufolge ist der Vorschlag aus Arbeitnehmersicht beispielsweise »besser als das, was im vergangenen Jahr in der Metall- und Chemieindustrie vereinbart wurde«.

»Die massiven Warnstreiks haben bei einem Teil der Arbeitgeber etwas bewirkt«, sagt Schulten. Gerade der Sockelbetrag und die daraus folgenden höheren Zuschläge bei geringen und mittleren Einkommen seien »nichts, was die Arbeitgeber wollten«.

Die Schlichtungskommission hat den Vorschlag nicht einstimmig beschlossen, die Gegenstimmen kamen laut Schulten offenbar von der Arbeitgeberseite.

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