• Politik
  • Völkermord an Herero und Nama

Namibia: Ein Stein gegen das Vergessen

Herero und Nama erinnern am Ort eines ehemaligen deutschen Konzentrationslagers an Opfer des Völkermords. Berlin verweigert direkte Reparationsverhandlungen weiterhin

  • Christian Selz, Kapstadt
  • Lesedauer: 5 Min.

Auf Shark Island, von den Kolonialherren einst »Haifischinsel« genannt, entstand ab 1904 eines der ersten deutschen Konzentrationslager. Tausende Nama und Herero wurden dort während des bis 1908 andauernden Völkermords zu Tode gequält. Heute dient die durch einen Damm mit dem Festland verbundene Insel vor der Küste Namibias als Zeltplatz. An die dunkle Geschichte des Eilands erinnert wenig, auf Tafeln wird nicht etwa der Opfer, sondern verstorbener Angehöriger der kaiserlich-deutschen Kolonialarmee »Schutztruppe« sowie des Kaufmanns Adolf Lüderitz gedacht. Nach diesem ist auch die nahegelegene Hafenstadt Lüderitz noch immer benannt. Von dort aus wollen die traditionellen Autoritäten der Herero und Nama am heutigen Sonnabend ihren alljährlichen »Völkermord-Erinnerungs- und Reparationsmarsch« beginnen. Am Endpunkt der Route auf Shark Island soll schließlich ein Gedenkstein zur Erinnerung an die Opfer des Völkermords enthüllt werden.

Die Zeremonie ist Teil eines dreitägigen Programms, in dessen Rahmen auch öffentliche Vorlesungen zur Geschichte des Völkermords angeboten werden, die sich vor allem an Jugendliche in der südnamibischen Kleinstadt richten. Die Ovaherero Traditional Authority und die Nama Traditional Leaders Association als traditionelle Interessenvereinigungen der beiden Volksgruppen wollen mit der Veranstaltung auch auf einen Missstand im eigenen Land hinweisen: Der Genozid an den Herero und Nama ist in Namibia – ebenso wie in Deutschland – noch immer kein fester Bestandteil der Lehrpläne.

In der Erinnerungskultur des erst seit 1990 unabhängigen Landes nimmt der Befreiungskampf gegen das südafrikanische Apartheidregime, den die heutige Regierungspartei Swapo maßgeblich angeführt hatte, einen deutlich größeren Raum ein als die weiter zurückliegenden Verbrechen der deutschen Kolonialmacht. Zu tun hat das auch damit, dass die Swapo ihren wichtigsten Rückhalt in der Bevölkerungsgruppe der Ovambo hat, die vom Völkermord nicht betroffen war. Viele Herero und Nama, deren Vorfahren infolge des Völkermords ihrer Ländereien beraubt wurden, fühlen sich im eigenen Land nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch marginalisiert.

Die traditionellen Autoritäten der beiden Volksgruppen fordern auch deshalb direkte Reparationsverhandlungen mit der deutschen Bundesregierung, stoßen damit in Berlin aber nach wie vor auf taube Ohren. Zwar hatte Deutschland 2021 nach sechs Jahre andauernden Verhandlungen ein Aussöhnungsabkommen mit Namibia vereinbart, doch verabschiedet wurde es seitdem in keinem der beiden Länder.

In Namibia wurde die Parlamentsdebatte Ende 2021 abgebrochen, nachdem es zu wütenden Protesten von Nama und Herero gekommen war. Deren offizielle Vertreter waren in die Verhandlungen nicht eingebunden worden. Und obwohl insbesondere die Grünen sich bis 2021 aus ihrer Oppositionsrolle heraus für eine stärkere Beteiligung der Herero- und Nama-Verbände eingesetzt hatten, beruft sich das inzwischen grün geführte Auswärtige Amt bis heute darauf, lediglich mit der Zentralregierung in Windhoek verhandeln zu können.

Es ist die Fortführung eines Eiertanzes, der inzwischen jahrzehntelange Tradition hat. Bereits 2004 hatte die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) als erstes bundesdeutsches Regierungsmitglied von einem »Völkermord« gesprochen, was vom damaligen Außenminister Joseph Fischer (Grüne) jedoch umgehend zur »Privatmeinung« herabklassifiziert worden war. Das Wort »Völkermord« durfte in offiziellen Sprachregelungen nicht vorkommen, weil es, so Fischer, für »entschädigungsrelevant« gehalten wurde. Die Bundesregierung zog sich in der Folge auf den Standpunkt zurück, dass es zum Tatzeitpunkt noch keinen im Völkerrecht definierten Tatbestand »Völkermord« gegeben habe.

An dieser Haltung änderte sich im Kern auch nichts, als Heiko Maas (SPD) im Mai 2021 als Außenminister die Gräueltaten der Schutztruppe »ohne Schonung und Beschönigung benennen« und den »Völkermord« offiziell als solchen anerkennen wollte – wohlweislich mit dem Beisatz »aus heutiger Sicht«. Zwar gestand die Bundesregierung nun eine »moralische« Verantwortung ein, Maas stellte jedoch klar: »Rechtliche Ansprüche auf Entschädigung lassen sich daraus nicht ableiten.« Dieser Standpunkt hatte aus deutscher Sicht den Vorteil, nicht ergebnisoffen mit den Nachfahren der Opfer über Reparationszahlungen verhandeln zu müssen.

Stattdessen konnten die deutschen Unterhändler mit den Gesandten der namibischen Regierung, die wenig Interesse an einer übermäßigen finanziellen Stärkung einzelner ethnischer Gruppen hat, ein Wiederaufbauprogramm vereinbaren. Dafür wollte Berlin über einen Zeitraum von 30 Jahren 1,1 Milliarden Euro nach Windhoek überweisen – ziemlich exakt so viel, wie in den 31 Jahren seit Namibias Unabhängigkeit zuvor an Entwicklungshilfe geflossen war.

Eine Umsetzung dieses Aussöhnungsabkommen scheint inzwischen allerdings unwahrscheinlich. Selbst die namibische Regierung forderte zwischenzeitlich Nachverhandlungen, die traditionellen Autoritäten der Herero und Nama sogar einen kompletten Neustart der Gespräche unter ihrer Beteiligung. Gegen das Aussöhnungsabkommen haben sie im Januar in Namibia Klage eingereicht. Die Bundesregierung will dennoch an der Vereinbarung festhalten und weigert sich weiterhin, direkte Gespräche mit Nama- und Herero-Vertretern zu führen – obwohl der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags inzwischen dargelegt hat, dass direkte Verhandlungen in Abstimmung mit der Regierung in Windhoek sehr wohl möglich wären.

Kritik an der Blockadehaltung Berlins kommt nicht nur aus Namibia, sondern auch von der Linkspartei. »Es ist beschämend, dass die Bundesregierung in den Verhandlungen ihre Machtposition in neokolonialer Manier schamlos ausnutzt und sich ungeachtet der breiten Empörung in Namibia der Zahlung von Reparationen weiter verweigert«, erklärte Sevim Dagdelen, Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, am Donnerstag gegenüber »nd.Die Woche«. Der Koalition gehe es »offenbar nur darum, sich bei der namibischen Regierung für einen Schlussstrich aus der Geschichte freizukaufen«.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -