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Wie man eine Staatsfeindin wird

Indigene Reporterinnen, die sich für Menschenrechte einsetzen, leben in Guatemala gefährlich

  • Andreas Boueke, Guatemala-Stadt
  • Lesedauer: 7 Min.
Frauendemonstration in Guatemala-Stadt, über die Ana Matzir berichtet.
Frauendemonstration in Guatemala-Stadt, über die Ana Matzir berichtet.

Guatemaltekische Kameraleute in Jacken kleiner Produktionsfirmen filmen den Protest. Eine europäische Fotografin stellt sich auf eine Parkbank, um den Blickwinkel ihrer Kamera auf den Demonstrationszug zu verbessern. Indigene Reporterinnen nutzen ihre Smartphones, um Fotos zu machen und Interviews aufzunehmen. In der Menge taucht mal hier, mal da der braune Hut und die bunte Tracht der Gemeindereporterin Angela Cuc auf. Die junge Frau recherchiert für eine Reportage über die Lebenswirklichkeit von Mayafrauen in Guatemala. »In einem Land wie diesem ist es sehr schwierig, sicherzustellen, dass die Rechte einer Frau respektiert werden«, sagt sie und wischt Schweiß von ihrer Brille. »Uns steht ein Staat gegenüber, der vom Machismo geprägt ist. Seine Strukturen sind frauenfeindlich und patriarchal. Wer versucht, in den großen Medien Berichte über die ausgegrenzten Teile der Bevölkerung unterzubringen, hat es schwer.«

Angela Cuc stammt aus dem Mayavolk der Kaqchikel. Sie schreibt für verschiedene alternative Publikationen in Guatemala und als Korrespondentin eines indigenen Radioprogramms in Quito, Ecuador.

Guatemala steht in einer Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen für das Jahr 2022, im unteren Drittel (von insgesamt 180 Staaten). In Lateinamerika gilt nur das Nachbarland Mexiko als noch gefährlicher für Journalist*innen. »Wer in Guatemala journalistisch arbeitet, hat sich schon immer auf Konfrontationskurs zu der Regierung begeben«, sagt Angela Cuc. »Wer die Interessen der Politiker durchkreuzt, bekommt Probleme. Wenn du darüber berichtest, wie die Frauen der indigenen Völker ihr Land und ihre Körper verteidigen, wirst du von der Regierung als interner Staatsfeind angesehen.«

Es gab mal eine Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung in Guatemala. Als im Dezember 1996 der Bürgerkrieg offiziell zu Ende ging, erlebte die Gesellschaft Fortschritte in ihrer demokratischen Entwicklung. Die Pressefreiheit wurde einige Jahre lang von den meisten staatlichen Institutionen respektiert. Viele Menschen gewöhnten sich daran, die Regierung weitgehend ohne Angst zu kritisieren. Doch zwei Jahrzehnte später überwiegen die Rückschläge. Heute werden wieder viele Menschenrechtsaktivistinnen, kritische Reporter, aber auch unabhängige Richterinnen und Mitarbeiter der Kirchen eingeschüchtert und bedroht. Es kommt zu Anschlägen und Morden. Staatsanwältinnen, die Fälle von Korruption aufgedeckt hatten, werden mit fadenscheinigen Vorwürfen diskreditiert. Im Jahr 2022 wurden über dreihundert Angestellte des Justizsystems inhaftiert. Die Atmosphäre der Angst treibt Oppositionelle ins Exil.

In ihren Texten ergreift Angela Cuc immer wieder Partei für die Frauen der Mayabevölkerung, die seit Jahrhunderten zu den am stärksten ausgegrenzten und diskriminierten Gruppen des amerikanischen Kontinents zählen. In den Fernsehkanälen Guatemalas wird nur sehr selten über diese Missstände berichtet. Es gibt drei Sender, die im ganzen Land über Antenne zu empfangen sind. Ihre Abendnachrichten sind die wichtigsten Informationsquellen für den Großteil der verarmten Bevölkerung. Doch alle drei Sender sind im Besitz eines Mannes, des mexikanischen Medienmoguls Ángel Gonzales. Zudem besitzt er zahlreiche Kinos und die Frequenzen mehrerer Radiostationen. Sein Einfluss auf die Kultur und Politik des Landes ist enorm, und er zeigt wenig Skrupel bei der Wahl der Mittel, mit denen er seine Medienmacht verteidigt.

Angela Cuc weiß, dass eine plurale und diverse Berichterstattung in Guatemala ein sehr weit entferntes Ziel ist: »Wir Mayas werden bis heute als der Feind angesehen. Viele Leute können nicht akzeptieren, dass wir indigenen Frauen Widerstand leisten. Deshalb wollen sie verhindern, dass wir ein Mikrofon in die Hand nehmen und uns an der Berichterstattung beteiligen.«

Die Kamera der Journalistin Ana Matzir ist keine Waffe, aber wichtig für den Kampf der indigenen Frauen um die Anerkennung ihrer Rechte.
Die Kamera der Journalistin Ana Matzir ist keine Waffe, aber wichtig für den Kampf der indigenen Frauen um die Anerkennung ihrer Rechte.

Die meisten Kolleginnen von Angela Cuc sind noch jung, aber viele hatten schon Konflikte mit der Polizei. Der einen wurde die Fotoausrüstung konfisziert; die andere wurde festgenommen und verhört; manche wurden geschlagen. Angela Cuc selbst musste mehrere Nächte in einer Zelle verbringen, bis ein Richter sie freisprach – nicht aus Respekt für ihre journalistische Arbeit, sondern weil es keinerlei Beweise gab für den Vorwurf, sie sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung. »Die Angst ist eine ständige Begleiterin dieser Arbeit. Auf den Schutz der Polizei können wir nicht zählen. Stattdessen misshandeln sie uns, auch wenn du dich als Journalistin ausweisen kannst.«

Als der Demonstrationszug den zentralen Platz der Hauptstadt erreicht, führt eine Gruppe Mädchen vor der Kathedrale der Erzdiözese von Guatemala-Stadt einen Tanz auf. In dem Gebäude dahinter sitzt die Sozialwissenschaftlerin Gloria Gonzales an einem Schreibtisch aus Blech. Sie berät die guatemaltekische Bischofskonferenz in Fällen von Landkonflikten und bei der Ausarbeitung von Projekten zur ländlichen Entwicklung. »In letzter Zeit beobachten wir eine neue Dynamik«, erzählt sie. »Früher waren die Anführer der Kämpfe indigener Gemeinden meist Männer. Aber jetzt geht es immer häufiger um Umweltthemen und die Verteidigung der natürlichen Ressourcen. Häufig stehen Frauen an der Spitze des Widerstands. Mag sein, dass ihre Identifikation mit Mutter Natur besonders ausgeprägt ist.«

Gloria Gonzales weiß, dass viele der Frauen verfolgt werden, weil sie sich für den Schutz der Natur einsetzen. »In diesem Land leben wir alle in Gefahr. Aber das Risiko der Anführerinnen sozialer und ökologischer Bewegungen ist besonders groß. Einige mussten das Land verlassen. Andere sind geblieben und ertragen die ständige Bedrohung. Manche sind im Gefängnis.«

Ab und zu beschäftigt das Menschenrechtszentrum der Diözese auch indigene Reporterinnen, die aus abgelegenen Gemeinden berichten. Die Jurastudentin Ana Matzir arbeitet als freischaffende Videoproduzentin: »Ich bemühe mich, immer auch Mitglieder der verarmten Dorfgemeinden zu Wort kommen zu lassen und ihre Entwicklungsprozesse zu stärken«, erklärt sie. »Manchmal geht es darum, Aufmerksamkeit für politische Gefangene zu schaffen. In letzter Zeit habe ich über den Widerstand einiger Gemeinden gegen Bergbauprojekte recherchiert.«

Auf solche kritischen Berichte über große Wirtschaftsprojekte wartet man in den Nachrichtensendungen der monopolisierten Fernsehkanäle Guatemalas vergeblich. Die meisten Redaktionen achten darauf, den Interessen der politisch und wirtschaftlich Mächtigen nicht zu schaden. Ana Matzir versteht ihre unabhängige journalistische Arbeit als Opposition zu diesem Medienmonopol. Sie will die Aufmerksamkeit auf Entwicklungen lenken, die von der Gesellschaft weitgehend ignoriert werden. Gefährlich wird es besonders dann, wenn eine solche Berichterstattung auf Umweltzerstörung aufmerksam macht und sich gegen die Interessen finanzstarker Unternehmen richtet. Gloria Gonzales weiß, dass sich junge Reporterinnen wie Angela Cuc und Ana Matzir oft in Gefahr bringen: »Sie begeben sich ins Auge des Hurrikans. Dort sind sie nicht nur deshalb besonders gefährdet, weil sie Frauen sind, sondern auch, weil sie einem Mayavolk angehören. Ihre Stimmen sind wichtig. Sie können viele andere Menschen informieren und mobilisieren. Deshalb bemühen wir uns, ihnen mehr Gehör zu verschaffen.«

Eine der bekanntesten Stimmen der Mayabevölkerung Guatemalas ist die von Rosalina Tuyuc, einer Ikone der indigenen Bewegung Lateinamerikas. Ihr Mann und ihr Vater wurden während des guatemaltekischen Bürgerkriegs von der Armee ermordet. Daraufhin hat sie Conavigua gegründet, die Vereinigung der Kriegswitwen Guatemalas. Später wurde sie zur Vizepräsidentin des guatemaltekischen Parlaments gewählt. Heute beobachtet sie mit Sorge, wie die Regierung und die großen Medienunternehmen immer mehr Räume alternativer Berichterstattung schließen: »Dadurch wird unser Justizsystem auf die Probe gestellt. Eigentlich sollen die Gerichte sicherstellen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Das bezieht sich auch auf die Presse. Es ist nicht gut, wenn nur die Mächtigen die Möglichkeit haben, ihre Meinung öffentlich zu machen.«

Die erfahrene Aktivistin weiß, dass es für Angehörige der Mayabevölkerung immer gefährlicher wird, sich Gehör zu verschaffen. Umso mehr freut sich Rosalina Tuyuc, wenn sie von jungen, indigenen Frauen wie Ana Matzir um ein Interview gebeten wird: »Die Frauen der Mayas haben eine sehr wichtige Rolle übernommen. Sie begleiten die Kämpfe ihrer Völker und verteidigen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Einige Reporterinnen werden kriminalisiert und bedroht. Doch trotz der Repression berichten sie weiter aus verschiedenen Regionen des Landes.«

Sie stellen klar, dass Kamera und Mikrofon Werkzeuge des Journalismus sind, keine Waffen. Sie können nicht töten. In Guatemala sind sie aber zu wichtigen Bestandteilen des gewaltfreien Kampfes indigener Frauen um die Anerkennung ihrer Rechte geworden.

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