- Berlin
- End Fossil Occupy
May we occupy: Unibesetzung für eine bessere Welt
Die Gruppe End Fossil Occupy besetzt einen Hörsaal der Humboldt-Universität in Berlin für Klima und Gerechtigkeit
Vor der Mensa Nord der Humboldt-Universität (HU) in Mitte parken am Dienstagnachmittag einige Polizeiwagen, mehrere Beamt*innen haben sich vor den Eingängen positioniert. Die Mensa wurde von der Klimagruppe End Fossil Occupy offiziell als Treffpunkt für eine Besetzung der Uni bekanntgegeben. Doch schnell lädt der Referent*innenrat (Refrat) der HU per Telegram-Gruppe zur Vollversammlung in den nahegelegenen Emil-Fischer-Hörsaal ein. Nach und nach trudeln Dutzende Studierende ein und lassen sich in dem holzgetäfelten Chemiehörsaal unter einem riesigen Periodensystem der Elemente nieder.
Leah und Nike vom Refrat verteilen grüne Abstimmungszettel an alle, die an der HU studieren, und fragen, ob es Beiträge zur Tagesordnung gebe. Ein großer, schlanker Student mit Schiebermütze und silbernen Ohrringen meldet sich. »Ich würde gerne Besetzung auf die Tagesordnung bringen«, erklärt er. Er gehört zu End Fossil Occupy, einer internationalen Schüler*innen- und Studierendenbewegung, die im vergangenen Jahr entstanden ist und im November erstmals weltweit Schulen und Universitäten besetzte, um ein Ende der fossilen Wirtschaft und eine klimagerechte Welt zu fordern.
In Berlin wurde beim vorigen Mal die Technische Universität (TU) besetzt, nun sind die Humboldt-Uni und das Melanchton-Gymnasium in Marzahn-Hellersdorf dran. »Wir nehmen uns einen Raum, um Protest in den Alltag zu bringen«, sagt Levi Hopp von End Fossil Occupy zu »nd«. Nach Schule oder Uni sei politisches Engagement für viele eine Hürde, deshalb wolle das Bündnis genau an diesen Orten einen Zugang schaffen. Außerdem hätten vor allem Universitäten in den meisten Städten viel Einfluss, der genutzt werden soll. Im November hätten die Besetzer*innen die TU beispielsweise zu Zugeständnissen wie Transparenz bezüglich Geldgeber*innen von Drittmittelprojekten bewegen können. »Unis sollten sich viel stärker positionieren«, findet Hopp.
»May we occupy« (»den Mai besetzen wir«/»dürfen wir besetzen«) nennt sich die nun gestartete internationale Kampagne, die an die weltweiten sozialen Kämpfe am 1. Mai anschließen soll. In Deutschland ist Berlin nach Bremen, Regensburg und Münster die vierte Stadt mit einer Besetzung; den ganzen Mai über sollen weitere in anderen Städten hinzukommen. Die Bewegung hat ein breites Bündnis geschmiedet, zu dem in Deutschland unter anderem Fridays for Future, Scientist Rebellion, Debt for Climate und Schule muss anders gehören. Gemeinsam stellen sie drei Bündnisforderungen: einen Schuldenerlass für Länder des globalen Südens, eine vergesellschaftete Energieproduktion sowie höhere Löhne und ein elternunabhängiges Bafög von 1400 Euro. Hinzu kommen jeweils Forderungen an die besetzte Schule oder Uni.
Im Fall der HU werden die Forderungen zu Beginn der Vollversammlung im Emil-Fischer-Hörsaal verlesen: Das Klimaschutzkonzept, mit dem die Uni bis 2030 klimaneutral werden will, solle verbindlich werden. Es müsse eine Zivilklausel geben, die rüstungsrelevante Forschung ausschließe. Es brauche mehr studentisch verwaltete Räume. Die Öffnungszeiten der Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Bibliothek sollten wieder ausgeweitet werden. Und schließlich solle die Universität ihren Einfluss geltend machen und die Bündnisforderungen unterstützen. Mit den grünen Karten wird darüber abgestimmt: Die Studis nehmen die Forderungen einstimmig an.
Tagesordnungspunkt zwei: Besetzung. »Wir sollten diesen Raum für die kommenden Tage besetzen«, sagt Moritz, der Student mit der Schiebermütze. Doch zunächst liest seine Mitstreiterin Lou den Aktionskonsens vor. Dazu gehören Awareness, Gewaltfreiheit, keine Sachbeschädigungen, kein Drogenkonsum im Raum. Auch die Besetzung wird einstimmig angenommen. »Unis waren schon immer Orte des politischen Austauschs. Wir nehmen uns diesen Ort jetzt zurück«, erklärt Moritz unter Applaus und kündigt an, dass die Besetzung bis Freitag gehalten werden solle.
Schon einige Stunden früher, am Dienstagmorgen, wurde die Aula des Melanchthon-Gymnasiums in Hellersdorf besetzt. Hier fordern die Schüler*innen mehr Diversität an den Schulen, klimagerechtes Lernen und ebenfalls selbstverwaltete Räume. »Die Proteste auf den Straßen reichen längst nicht mehr. Deswegen setzen wir dort an, wo wir angeblich für unsere Zukunft lernen sollen«, erklärt Emily Dittman, Sprecher*in der Berliner Schüler*innengruppe von End Fossil Occupy. Diese Aktion sei vorerst nur für einen Tag geplant gewesen, zukünftig könne es mit den aufgebauten Strukturen aber auch größere Schulbesetzungen geben.
Im Emil-Fischer-Hörsaal kommen zunächst einige der Bündnispartner*innen zu Wort, unter anderem ein Redner der Seebrücke. »Klimabedingte Flucht und Migration werden immer größere Ausmaße annehmen. Grenzen werden immer unüberwindbarer und tödlicher werden«, warnt er und appelliert an soziale Bewegungen, sich global zu orientieren, wie es End Fossil Occupy bereits tue. Lou ergänzt, dass der Ursprung der Klimakrise auch mit Kolonialismus zu tun habe, in den die Humboldt-Universität »schon immer tief verstrickt« gewesen sei und bleibe. Auch das müsse aufgearbeitet werden, fordert sie. Das Bündnis solidarisiere sich daher mit der Hochschulgruppe Black Student Union und dem Verein Decolonize Berlin.
In den kommenden Tagen ist ein volles Programm geplant mit gemeinsamen Essen und Plena, Workshops und Vorträgen der Bündnispartner*innen sowie Theater oder Konzerten am Abend. Zu den ersten Nutzer*innen des besetzten Raumes gehörte die Versammlung der Initiative TV Stud am Dienstagabend, die sich für Tarifverträge für studentische Beschäftigte einsetzt. Am Mittwochnachmittag begann ein gemeinsamer Forderungsprozess.
Die Universitätsleitung ist inzwischen mit den Besetzer*innen sowie dem Refrat im Gespräch und hat die Besetzung zunächst für einen Tag bis Mittwochnachmittag geduldet, wie HU-Sprecherin Heike Bräuer auf Anfrage von »nd« mitteilt. Nach Redaktionsschluss war ein erneuter Austausch verabredet, bei dem auch über die Forderungen gesprochen werden sollte. »Die HU bekennt sich zum Klimaschutz und zur Nachhaltigkeit«, erklärt Bräuer mit Verweis auf Forschung, Lehrveranstaltungen und die Verpflichtung zu Klimaneutralität bis 2030. Auch die Studierenden hätten über ihre gewählten Vertreter*innen die Möglichkeit, sich in universitäre Gremien einzubringen. Aufgrund der Besetzung komme es zu erheblichen Beeinträchtigungen des Lehrbetriebs. »Vorlesungen müssen entfallen oder werden ins Digitale verlegt«, so Bräuer.
Levi Hopp will auf jeden Fall so lange wie möglich in dem besetzten Hörsaal bleiben, »weil es unglaublich schön ist, mit den Menschen so viel Zeit zu verbringen«, sagt er. Er war schon bei der TU-Besetzung dabei und findet, dass das Zusammenleben in diesem Rahmen auch zeigt, »wie die Gesellschaft besser sein kann«.
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