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»Aufklären! Nicht verzagen!«
Dmitrij Belkin hat den russischen Schriftsteller Lew Kopelew porträtiert
Geboren 1912 in einer Siedlung bei Kiew, gestorben 1997 in Köln und beigesetzt in Moskau – als einen weißbärtigen Weisen traf ich Lew Kopelew im Mai 1990 zum Gespräch in Berlin. Begeistert erzählte er von seinem Forschungsprojekt »Deutsch-Russische Fremdenbilder«, das vom 9. bis zum 20. Jahrhundert reichen sollte. Zehn Bände sind dazu erschienen, einige erst nach seinem Tod. In ihren Briefen hat Anna Seghers ihn gern einen »Transitmann« genannt. Dmitrij Belkin übernahm das Wort im Titel seines Buches, das Kopelew ausdrücklich auch als jüdischen Autor würdigt.
Wie lebte es sich »in einer assimilierten, sozialistisch denkenden Familie« in der Sowjetunion? Eines der Fotos im Buch zeigt Lew Kopelew 1932 als jungen Journalisten in Charkow – mit Kipa. Wobei er, so Belkin kaum einen Bezug zur Religion hatte. Schon seine beiden Großeltern hatten es mit den jüdischen Speisegesetzen nicht so genau genommen. Wie er um die »Bar-Mizwa« herumkam, ist eine hübsche Geschichte im Buch. Er war ein »bewusster Komsomolze, später Kommunist und Liebhaber deutscher Kultur«. Fremd waren ihm die Monarchisten und ukrainischen Nationalisten, aber auch der Zionismus war seine Sache nicht. Lew Kopelew und Raissa Orlowa sind nie in Israel gewesen. »Internationalist by soul and by mind« hat ihn seine Frau in einem Brief an Marion Gräfin Dönhoff genannt.
Er hatte in Moskau Germanistik, Philosophie und Geschichte studiert und kurz vor Kriegsbeginn über »Schillers Dramatik und die Problematik der Französischen Revolution« promoviert. 1941, gleich nach Kriegsausbruch, meldete er sich als Freiwilliger und wurde wegen seiner glänzenden Deutschkenntnisse »Instrukteur für die Aufklärungsarbeit im Feindesheer«. Vom Grund seiner Verhaftung im Frühjahr 1945 im Lazarett, wo er verwundet lag, wusste jeder, der ihn später ihn Deutschland traf. Beim Einmarsch in Ostpreußen hatte er die Übergriffe sowjetischer Soldaten angeprangert. Wegen »bürgerlichem Humanismus« und »Mitleid mit dem Feind« wurde er zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt. Es gehört zu den spannendsten Passagen des Buches, wie Belkin den Widerspruch auslotet, in dem sich Kopelew befand. Dabei beruft er sich auf Alexander Solschenizyn, der mit ihm in jenem Arbeitslager für Wissenschaftler war, über das er später den Roman »Im ersten Kreis der Hölle« schrieb. Als Propagandaoffizier konnte Kopelew doch nur überzeugend sein, wenn er sich in die Deutschen einfühlte, sie als Menschen sah.
»Sei human dem unterlegenen Feind gegenüber« – da polemisierte Kopelew nach dem Ende der DDR gegen Wolf Biermann und verteidigte Christa Wolf, die von Marcel Reich-Ranicki als »DDR-Staatsdichterin« angegriffen worden war. Ein Kritiker konkreter Vorgänge in der UdSSR, dämonisierte er den Sozialismus nicht. »Sehen Sie, es ist doch Unsinn, wenn diese konservativen Herren sagen: Sozialismus oder Freiheit«, betonte er in unserem Gespräch. »Sozialistische Ideen, ach Gott, die finden sich schon im Altertum und die werden immer da sein.« Gegen die Hasswelle, die er voraussah, gäbe es nur »eine Waffe: das Wort. Aufklären! Nicht verzagen! Nicht verzweifeln!« – Wie gern würde ich mir jetzt, in dieser verfahrenen geopolitischen Situation, von Lew Kopelew Mut machen lassen.
Dmitrij Belkin: Lew Kopelew. Der Transitmann. Reihe Jüdische Miniaturen. Hentrich & Hentrich, 97 S., br., 9,90 €.
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