Sahra Wagenknecht: Die Linke und ein Kasten Bier

Die Debatten über Ausrichtung, Spaltung und Stabilisierung der Linken gehen in eine neue Runde

Für welchen Frieden man eintritt, daran scheiden sich auch in der Linken die Geister.
Für welchen Frieden man eintritt, daran scheiden sich auch in der Linken die Geister.

Jan Korte ist sich sicher: Sahra Wagenknecht wird keine eigene Partei gründen. Er ist sich so sicher, dass er neulich im Interview mit der Tageszeitung »Taz« um einen Kasten Bier wettete. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag wird seine Gründe haben für diese Vermutung, denn immerhin erlebt er seine Fraktionskollegin des Öfteren. Allerdings nicht so oft wie andere Fraktionsmitglieder, denn Wagenknecht fehlt deutlich öfter als viele andere bei Fraktionssitzungen, Plenartagungen des Parlaments und namentlichen Abstimmungen.

Erst letzte Woche Donnerstag, als der Bundestag bis in den späten Abend tagte, war Sahra Wagenknecht ganz woanders: im sächsischen Großröhrsdorf, wo sie laut Lokalpresse vor 500 Zuhörern aus ihrem Buch »Die Selbstgerechten« las und über die Lage der Linken sprach. Mit Blick auf die Umfragen gehe sie davon aus, berichtete der Reporter, dass die Linkspartei nicht erneut in den Bundestag einziehen werde. Wie immer ließ die Linke-Abgeordnete absichtsvoll offen, ob und wie weit eventuelle Vorbereitungen für ein neues Parteiprojekt gediehen sind.

In den Medien tauchen regelmäßig Berichte darüber auf, die vor allem von Andeutungen leben. Mit dieser Ungewissheit spielt Wagenknecht. Zwar erzählte sie jüngst dem »Spiegel«, sie wolle sich im Herbst entscheiden und bis dahin »dazu nichts mehr sagen« und keine neuen Zitate liefern. Die Zitatefabrikation läuft aber weiter wie am Schnürchen und gipfelt vorerst in der Voraussage, bei der nächsten Bundestagswahl werde Die Linke scheitern.

Diejenigen, die sich durch Wagenknechts Kritik bestätigt fühlen, durch deren Vorwurf, die Linkspartei kümmere sich nicht mehr um Sozialpolitik, sei keine Friedenspartei mehr und im Übrigen abgehoben, versammeln sich an diesem Wochenende in Hannover. »Was tun? Die Linke in Zeiten des Krieges« heißt der lenineske Titel des Treffens, zu dem eine Reihe von Gliederungen der Linkspartei einlädt, darunter als namhafteste die Sozialistische Linke. Im Aufruf dazu wird dem Parteivorstand Versagen in der Friedenspolitik vorgeworfen. Es gebe keine klare Position gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, die von Wagenknecht und Alice Schwarzer organisierte Friedensdemonstration sei »als rechtsoffen diffamiert« worden.

Aufgezählt werden Defizite in sozialen, ökologischen, demokratiepolitischen Fragen sowie in Sachen Antifaschismus. Und: »Klassenpolitik wird durch Identitätspolitik verdrängt, womit zugleich die gemeinsame Klammer in der Verteidigung der sozialen Interessen der Lohnabhängigen verloren gegangen ist.« Das ist in Kurzform das Mantra Wagenknechts, mit dem sie eine Leerstelle im politischen System begründet, die eine neue Partei füllen könnte. Vielleicht jedenfalls.

Von Abspaltung ist in dem Aufruf nichts zu lesen, aber immerhin davon, dass man darüber reden wolle, »welche Chancen wir noch in der Partei Die Linke sehen, sie wieder auf einen antikapitalistischen und friedenspolitischen Kurs zu drehen, oder welche Chancen ein organisationspolitischer Neuanfang haben könnte«. Bei bisherigen Verständigungsrunden dieser Art reichte das Meinungsspektrum von Befürwortung einer neuen Partei bis zu schwerer Skepsis gegenüber den Chancen und den organisatorischen Schwierigkeiten.

Sahra Wagenknecht wird nicht anwesend sein, obwohl mit ihr die ganze Abspaltungs- und Neugründungsdebatte steht und fällt. Immerhin ist ein Online-Grußwort von ihr angekündigt. Ob sie sich darin eher diplomatisch oder eher kämpferisch äußert, wird man sehen. Letzteres tat sie dieser Tage gegenüber der Zeitung »Die Welt«, der sie sagte: »Wenn Die Linke sich völlig neu aufstellen würde, mit attraktiven Köpfen an der Parteispitze und einem vernünftigen Kurs, würde ich alle Überlegungen zu einer Neugründung sofort einstellen. Aber ich sehe das nicht.« Das darf man als erneuerte Kampfansage verstehen, denn es heißt ja nichts anderes als: Die Linke ist für Wagenknecht derzeit personell und inhaltlich völlig unakzeptabel.

Es mag kalendarischer Zufall sein, aber ebenfalls an diesem Wochenende beginnt die Linke-Führung in Leipzig eine Serie von Regionalkonferenzen. Parteichefin Janine Wissler, Bundesgeschäftsführer Tobias Bank und andere wollen mit Mitgliedern aus mehreren ostdeutschen Bundesländern darüber diskutieren, wie man »Gemeinsam Zukunft machen« (so der Titel der Veranstaltung) kann. Es soll um politische Gemeinsamkeiten in der Partei gehen und nicht so sehr um das Trennende. Kontroversen will man »nach vorn auflösen«, so schwer das inhaltlich und sprachlich vorstellbar sein mag. Auch diese Serie von Regionalkonferenzen zielt – ebenso wie die Sondierungen der Wagenknecht-Unterstützer – auf den nächsten wahlpolitischen Fixpunkt, die Europawahl im Frühjahr 2024. Die kann sowohl für Die Linke als auch für ein mögliches Konkurrenzprojekt eine Existenzfrage werden.

Dass bis dahin die Friedenspolitik ein Kernthema für Die Linke und ihren Wahlkampf bleibt – unabhängig davon, ob der Ukraine-Krieg dann beendet ist oder ins dritte Jahr geht –, dürfte unbestritten sein. Eine Basisinitiative in der Linken will jetzt die Meinungsbildung zu dem Thema vorantreiben. Drei Mitglieder – der Dresdner Abgeordnete André Schollbach, der Berliner Bezirksverordnete Martin Rutsch und Volker Steinke aus dem Ältestenrat – wollen erreichen, dass ein Mitgliederentscheid den friedenspolitischen Kurs der Linkspartei bestimmt. Um das durchzusetzen, müssen sie die Unterschriften von mindestens fünf Prozent der Mitglieder der Partei sammeln oder die Unterstützung von Landes- und Kreisverbänden erhalten, die insgesamt mindestens ein Viertel der Mitgliedschaft vertreten. Vereinzelte Rufe nach einem baldigen Sonderparteitag, der die Linie der zerstrittenen Partei festlegen soll, sind dagegen bisher folgenlos verhallt. Der nächste turnusmäßige Parteitag findet im November in Augsburg statt.

Mit dem Entscheid wollen die Initiatoren die Parteiführung beauftragen sicherzustellen, »dass sich Die Linke entsprechend unseres Programms aktiv, partnerschaftlich und sichtbar an gesellschaftlichen Friedensbündnissen beteiligt, die grundsätzlich von einer humanistischen Grundhaltung geprägt sind«. Als Beispiele werden neben anderen die Ostermärsche und der »Aufstand für Frieden« von Wagenknecht und Schwarzer genannt. Die aktive und partnerschaftliche Unterstützung durch Die Linke sei »die wesentliche Bedingung dafür, dass Unterwanderungs- und Missbrauchsversuche durch extreme Rechte zurückgewiesen werden können«.

Jene Linken, die sich am Wochenende in Hannover treffen, dürften sich in dieser Basisinitiative eher wiederfinden als die Parteiführung, die den Wagenknecht-Schwarzer-Aufruf kritisiert hatte und ihrerseits zum Dialog zunächst nach Leipzig ruft. Bei den Regionalkonferenzen wird auch zu beobachten sein, ob und inwieweit Wagenknechts Dauervorwurf zutrifft, Die Linke wolle grüner als die Grünen sein und beschäftige sich mit woken Lifestyle-Themen (gerade erst in der »Welt« wiederholt).

Bei einer anderen Frage wird die Antwort etwas länger auf sich warten lassen: Ob Jan Korte einen Kasten Bier gewinnt oder bezahlen muss, weiß man wohl erst im Spätherbst. Dann dürfte er nicht mehr Parlamentarischer Geschäftsführer der Linke-Bundestagsfraktion sein – er hat seinen Rückzug von der Position angekündigt und will bei der nächsten Wahl des Fraktionsvorstands nicht mehr kandidieren. Dabei hatte er lange als Kandidat für den Fraktionsvorsitz gegolten. Mal ganz abgesehen von der Frage, ob es im Spätherbst noch eine Linke-Fraktion im Bundestag gibt oder nur noch eine Gruppe. Auch das hängt von der Entscheidung ab, die Wagenknecht irgendwann treffen und über die sie bis dahin angeblich nicht mehr sprechen will.

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