Antisemitismus im Kunstbetrieb: Ein strukturelles Problem

Der deutsche Kulturbetrieb diskutiert derzeit über Antisemitismus und Israel. Ein Gespräch mit Stella Leder vom Institut für Neue Soziale Plastik darüber, was sich ändern muss

  • Interview: Jonathan Guggenberger
  • Lesedauer: 5 Min.
Natur als »Soziale Plastik«: Die 7000 Eichen, die Joseph Beuys im Rahmen der Documenta-Schau von 1982 pflanzen ließ, stehen immer noch. Hier ein Info-Schaufenster am Kasseler Friedrichsplatz.
Natur als »Soziale Plastik«: Die 7000 Eichen, die Joseph Beuys im Rahmen der Documenta-Schau von 1982 pflanzen ließ, stehen immer noch. Hier ein Info-Schaufenster am Kasseler Friedrichsplatz.

Frau Leder, Sie haben 2015 das Institut für Neue Soziale Plastik mitgegründet, um sich mit weiteren Künstler*innen gegen Antisemitismus in Kunst und Kultur zu organisieren. Das war noch vor den gegenwärtigen Debatten rund um den »Historikerstreit 2.0« und die »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit«, in denen es um das Verhältnis der Deutschen zum Holocaust, zur Erinnerungskultur und zu Israel geht. Was hat Sie damals konkret dazu bewogen?

Interview

Stella Leder ist Autorin und Dramaturgin. 2015 gründete sie das Institut für Neue Soziale Plastik mit, das mit künstlerischen Mitteln zu Antisemitismus arbeitet. 2021 erschienen ihre Bücher »Meine Mutter, der Mann im Garten und die Rechten« (Ullstein) und »Über jeden Verdacht erhaben? Antisemitismus in Kunst und Kultur« (Hentrich und Hentrich).

Das Institut ist entstanden aus dem Interesse, Antisemitismus, Erinnerungskultur, aber auch jüdische Geschichte mit und durch Theater zu thematisieren. Unsere Arbeit ruft immer wieder auch antisemitische Reaktionen hervor, deshalb beschäftigen wir uns auch mit Antisemitismus innerhalb künstlerischer Kontexte und Kulturorganisationen.

In der Zwischenzeit haben vor allem die mit der Documenta fifteen verbundenen Antisemitismus-Skandale – mehrere Kunstwerke offenbarten judenfeindliche Inhalte – für Furore gesorgt. Dadurch hat das öffentliche Interesse an Antisemitismus im kulturellen Leben Deutschlands und andernorts zugenommen. Welche Veränderungen stellen Sie seitdem in Ihrer Arbeit fest?

Mit der Documenta fifteen ist ein Fass übergelaufen. Zivilgesellschaft und Politik haben verstanden, dass es Antisemitismus in Kunst und Kultur allgemein gibt. Ob dies auch zu konkreten politischen Maßnahmen führt, bleibt abzuwarten. Unter den antisemitismuskritischen Künstler*innen scheint es mir geradezu gespalten zu sein: Die einen gehen in die Abwehr, die anderen sind resigniert und sagen, das Problem sei so groß, da könne man nichts machen. Es gibt Leiter*innen von Kulturinstitutionen und Künstler*innen, die sehr erschrocken sind in der Zeit der Documenta und jetzt zum Beispiel sagen, dass sie die Israel-Boykott-Bewegung BDS [Boykott, Divestment, Sanctions, Anm. d. Red.] in Bezug auf ihre antisemitische Stoßrichtung unterschätzt hätten. Wir werden deutlich häufiger angefragt als vor der Documenta.

Der Name Ihres Instituts nimmt Bezug auf den Begriff der »Sozialen Plastik«. Mit diesem war Joseph Beuys 1967 losgezogen, um die Definition dessen, was Kunst ist, zu erweitern – Kunst sollte die Gesellschaft verändern. Es ist also der Begriff eines Künstlers, der wegen seiner freiwilligen Mitgliedschaft in der deutschen Luftwaffe zu NS-Zeiten und seiner teils kruden teutonisch-mythologischen Verklärungen der Welt nicht unbedingt als Antisemitismus-Aufklärer gilt. Für die Documenta spielte er eine wichtige Rolle, war von 1964 bis 1982 fünf Mal in Folge auf der Schau vertreten. Ist Ihre Bezugnahme auf Beuys mit Augenzwinkern zu verstehen oder als kämpferische Aneignung des Begriffs?

Bei der Gründung des Instituts hat der Gedanke eine Rolle gespielt, dass wir als Künstler*innen uns mit unserer Arbeit immer auch auf andere Künstler*innen beziehen. In Deutschland heißt das zwangsläufig, dass man sich auch zur Kunst im Nationalsozialismus und in den Jahren danach ins Verhältnis setzt. Die Idee von Beuys »Sozialer Plastik« schien uns immer sehr interessant zu sein. Kann es funktionieren, mit diesen Ideen zu arbeiten, oder muss man sie komplett verwerfen? Der Name »Neue Soziale Plastik« sollte diese Schwierigkeiten der Verortung spiegeln. Seit der Ausstellung über die Documenta im Deutschen Historischen Museum 2021 diskutieren wir allerdings darüber, ob wir uns umbenennen sollten.

Welche Funktion möchte das Institut für Neue Soziale Plastik in den Debatten rund um Antisemitismus in der Gegenwartskultur erfüllen und wodurch?

Unsere Aufgabe in der Debatte ist zu benennen, dass die viel beschworene Freiheit der Kunst auch für jüdische und antisemitismuskritische Künstler*innen gelten muss. Es gibt ein strukturelles Problem mit Antisemitismus im Kulturbetrieb. Solange es keine politischen Antworten auf diese Herausforderungen gibt, wird sich nichts verändern. Der Raum für Artikulation wird in den letzten Jahren aber für uns und unsere Kolleg*innen immer enger.

Wie gestaltet sich dieses strukturelle Problem in Institutionen und Diskursen der Gegenwartskultur in Deutschland?

Es gibt keine Forschung zu dieser Frage, aber deutliche Hinweise. Das Plädoyer der »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit« und den Brief »Wir können nur ändern, was wir konfrontieren«, in denen BDS nicht als antisemitisch eingestuft und der dahingehende Bundestagsbeschluss verurteilt wird, hat 2020 das Who-is-Who des deutschen Kulturbetriebs unterschrieben. Das sind Personen, die große Institutionen leiten und als Professor*innen an Kunsthochschulen lehren. Personen, die in Findungskommissionen und Jurys sitzen, und so weiter. Man muss die Documenta auch innerhalb dieses Kontexts verstehen, in dem Offenheit für BDS verlangt wurde – und zwar ohne gleichzeitig Solidarität mit Personen auszusprechen, die von BDS oder von israelbezogenem Antisemitismus allgemein betroffen sind. Nicht einmal die Documenta hat diesen Personenkreis dazu bewogen, sich entsprechend zu äußern. In dieser Konstellation wird Antisemitismus ermutigt, nicht verhindert. Die Documenta wird deshalb nicht der letzte Skandal dieser Art gewesen sein, sondern die Debatten um Antisemitismus werden in den nächsten Jahren sehr stark an die Kultur gebunden bleiben.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht verändern, um Antisemitismus nachhaltig aus Kunst und Kultur zu verbannen?

Zum einen ist es wichtig, historischen und aktuellen Antisemitismus in Kulturinstitutionen und künstlerischen Kontexten bearbeiten zu können, und zwar mit künstlerischen Mitteln. Es könnte Förderprogramme geben, die solche Auseinandersetzungen ermutigen. Wichtig wäre auch, dass es externe Angebote für Kulturinstitutionen gibt, wenn diese sich Expertise zu Antisemitismus ins Haus holen wollen. Diese Angebote sollten spartenspezifisch sein, um auf die konkreten Arbeitssituationen und Herausforderungen eingehen zu können. Wir brauchen außerdem eine Diskussion darüber, wie Antisemitismuskritik und Kunst zusammengedacht werden können. Es gibt ja antisemitismuskritische Künstler*innen. Wie aber kann man dafür sorgen, dass diese auch Teil von Jurys und Findungskommissionen werden? Wie kann dafür gesorgt werden, dass auch antisemitismuskritische Kurator*innen, Dramaturg*innen und andere in wichtige Positionen in Kulturinstitutionen kommen?

Muss dafür auch der Begriff der Kunstfreiheit neu gedacht und verhandelt werden?

Freiheit der Kunst bedeutet nicht zuletzt Freiheit der Künstler*innen. Diese ist für antisemitismuskritische Künstler*innen, die den Antisemitismus von BDS thematisieren, eingeschränkt. Solange das nicht thematisiert wird, erwecken die Debatten um Kunstfreiheit den Eindruck, sie seien Ablenkungsmanöver eines selbstgefälligen Kulturbetriebs, der sich vor der Kritik des Antisemitismus verschließt.

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