Fünf vor zwölf bei Brandenburger Kitas

Erzieher warnen mit Aktionstag vor Personalmangel

Alle Räder stehen still im Brandenburger Kita-Betrieb: In zahlreichen Kindertagesstätten fanden am Montag im Rahmen eines landesweiten Aktionstags Proteste statt, viele Einrichtungen blieben sogar geschlossen. Aufgerufen zu den Aktionen hatte die GEW Brandenburg gemeinsam mit Elternvertretungen und Trägern. In vielen Kitas malten Erzieher, Eltern und Kinder gemeinsam Plakate und hingen sie an Zäunen auf, in anderen Städten bildeten sich kleine Protestmärsche. Mehr als 400 Kitas sind es insgesamt, an denen Aktionen stattfanden.

Robert Witzsche, Vorstandsvorsitzender des Kita-Elternbeirats in Potsdam, sieht die Kitas in Brandenburg vor nicht weniger als einem Kollaps. »Ganz ist er noch nicht da, aber wenn wir so weitermachen, ist er unausweichlich«, sagt er »nd«. Ihn besorgt vor allem der Fachkräftemangel. In vielen Kitas gebe es bereits Personalmangel, zugleich kämen zu wenig Auszubildende nach. »Hier in Potsdam ist es gerade noch so möglich, alles Personal zu besetzen«, sagt Witzsche. »Aber selbst dann wird es knapp.« Sein eigenes Kind befindet sich zurzeit im letzten Kita-Jahr.

Dramatischer sei die Situation allerdings in ländlicheren Gebieten. Dort kämen immer mehr Kinder auf immer weniger Erzieher. Vor allem Zusatzangebote wie Ausflüge litten darunter, aber auch im Alltag müssen Einschränkungen vorgenommen werden, etwa wenn die Betreuungszeiten schrumpfen. »Alle geben sich natürlich Mühe«, sagt Witzsche. »Aber der Mangel ist spürbar.« Wer sowohl jüngere als auch ältere Kinder hat, sehe den Unterschied, der sich über die Jahre entwickelt hat, deutlich. In manchen Kitas müssten Eltern drei Jahre auf einen Platz warten, bis zu 100 Kinder stünden dort jeweils auf den Wartelisten.

In Potsdam organisierte Witzsche mit anderen daher ein »Kita-Camp«. Im Lustgarten wurden Infotische und eine kleine Bühne aufgebaut, Essen wurde verteilt. Zu Beginn des Tages gab es den »weltgrößten Morgenkreis« mit über 100 Kindern. Später soll dann eine Live-Band auftreten und eine Abschlusskundgebung einleiten. Schon während des Tages haben die Organisatoren Verantwortliche von Behörden und Trägern zu Diskussionsrunden eingeladen.

Brandenburgs Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) macht indes nur wenig Hoffnungen auf ein Ende des Personalmangels. Angesprochen auf die Proteste sagte er am Montag dem »Inforadio«, dass »auf die Schnelle« dem Problem nicht beizukommen sei. Das Land weite die Ausbildungskapazitäten bereits aus, bis 2025 sollen 1000 zusätzliche Erzieherstellen finanziert werden.

Witzsche genügt das nicht. »Das ganze System muss grundsätzlich reformiert werden«, sagt er. Teilweise sei es sogar noch üblich, dass Auszubildende ein Ausbildungsgeld zahlen müssten. Die Zielzahlen müssten deutlich ambitionierter festgelegt werden. »Der Beruf ist eigentlich attraktiv, aber er muss auch attraktiv wirken«, sagt Witzsche. Daher müssten die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Beispielsweise müssten Zeiten, die für Verwaltungsaufgaben benötigt würden, gesichert sein.

Für Witzsche ist all das ohne eine grundlegende Reform des Kita-Rechts in Brandenburg nicht möglich. »Die aktuelle Gesetzesgrundlage ist 30 Jahre alt, das passt alles hinten und vorne nicht mehr«, sagt er. »Man kann da nicht hier und da einen Paragrafen ändern, man muss da grundsätzlich ran.« Bisher seien Reformbemühungen aber häufig daran gescheitert, dass Land und Kommunen jeweils befürchteten, Aufgaben und Kosten vom anderen übernehmen zu müssen. Daher brauche es künftig eine transparente und klar strukturierte Finanzierungsform.

Mit einer solchen könnte man wohl auch einem anderen Problem beikommen, das für viele Brandenburger Eltern das Aufregerthema Nummer eins ist: die große Spanne bei der Höhe der Kita-Beiträge. Je nach Wohnort können die monatlichen Beiträge zwischen 80 Euro und mehreren hundert Euro schwanken. »In einem Kreis gab es sogar eine Diskussion, die Beiträge auf über 1000 Euro anzuheben«, berichtet Witzsche. Das Vorhaben habe man abwenden können, doch für viele Eltern blieben die Beiträge eine große Belastung. »Spätestens ab 300, 400 Euro wird es für eine Normalverdienerfamilie mit mehr als einem Kind schon sehr schwierig«, sagt er. Langfristig wünsche er sich eine Beitragsfreiheit wie in Berlin, doch kurzfristig wäre es schon ein Fortschritt, wenn die Beiträge ein Prozent des Einkommens der Eltern nicht überstiegen.

Bei den Eltern stoße der Aktionstag auf großes Verständnis. Viele litten selbst unter den Umständen und den schlechten Bedingungen für ihre Kinder. Natürlich gebe es aber auch Eltern, die zunächst wenig Verständnis für die Kita-Schließungen gezeigt hätten. »Aber wenn wir uns hinsetzen und denen erklären, worum es geht, verstehen die es ganz schnell«, sagt Witzsche. »Wenn sich die Eltern bei 400 Kita-Einrichtungen jetzt der Situation ein bisschen bewusster werden, ist das schon ein großer Erfolg.« Dass die Kita geschlossen bleibe, könne schließlich häufiger passieren, wenn das Personalproblem nicht gelöst werde.

Etwas besser wird die Situation dagegen in Berlin. Auch hier müssen die Kitas um Personal kämpfen. Dazu kommen beengte Verhältnisse in den vorhandenen Räumlichkeiten. Laut dem Kita-Förderatlas 2023, den die Bildungssenatsverwaltung Ende April veröffentlichte, konnte der Anteil der Kitas, bei denen es bei steigendem Bedarf keine Platzreserven mehr gibt, um zwölf Prozent gesenkt werden. Insgesamt ist die Zahl der Kita-Plätze demnach auf 187 000 gestiegen, allerdings bei steigender Zahl der zu betreuenden Kinder. Kritisch bleibt die Situation demnach vor allem außerhalb des Ringgebiets, etwa in Spandau und in Marzahn-Hellersdorf. Die zweithöchste Warnstufe – geringe Platzreserven bei steigendem Bedarf – dominiert dagegen viele Innenstadtbezirke.

Aziz Bozkurt (SPD), zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Förderatlas noch Jugendstaatssekretär in der Bildungsverwaltung, forderte, den Ausbau »weiter voranzutreiben und kontinuierlich zu gestalten«. Es gebe noch immer unterversorgte Stadtteile, in denen Eltern lange nach einem Kita-Platz suchen müssten. Für ihn seien die Zahlen aber auch Grund zur Hoffnung. »Wenn sich die Entwicklung so fortsetzt, wird sich das System in den nächsten Jahren entspannen«, so Bozkurt, der heute als Staatssekretär in der Sozialverwaltung wirkt. »Der Kita-Platz-Ausbau muss weiter oberste Priorität haben.« Das Land Berlin förderte den Kita-Ausbau im vergangenen Jahr mit insgesamt 46 Millionen Euro.

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