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Inhalt und Form, Form und Inhalt

Die Willi-Sitte-Galerie in Merseburg bringt die Werke von Ronald Paris und Helmut Symmangk zusammen

Die Leinwand noch sichtbar: Helmut Symmangk, »Stillleben mit rotem Apfel«, Öl, 1980.
Die Leinwand noch sichtbar: Helmut Symmangk, »Stillleben mit rotem Apfel«, Öl, 1980.

In Zeiten, in denen soziale Medien fortlaufenden Kontakt versprechen und man sich trotzdem oft schnell wieder zu verlieren droht, sind lange Freundschaften beeindruckend.

Mehr als sechs Jahrzehnte währte diejenige zwischen Ronald Paris (1933–2021) und Helmut Symmangk (1931–2018). Vielleicht hat sie so lange gehalten, weil die beiden Künstler sich ähnelten und dabei doch sehr unterschieden. In den 1950er Jahren lernten sie sich an der damals noch recht neuen Kunsthochschule Berlin-Weißensee kennen und hatten fortan stets am Leben des jeweils anderen teil – durch einen stetigen Briefwechsel und Besuche, da sie die meiste Zeit über nicht zusammen in einer Stadt lebten.

Ronald Paris dürfte den meisten kunstinteressierten Leserinnen und Lesern dieser Zeitung wohlbekannt sein: Er schuf populäre Werke wie das elf Meter lange Wandgemälde »Lob des Kommunismus« für das ehemalige Haus der Statistik in der DDR oder das Bild »Unser die Welt – trotz alledem« für den Palast der Republik. Paris war Kommunist und als solcher, anders als nach der Wende oftmals insinuiert, nicht unkritisch gegenüber der SED-Führung. Regelmäßig mischte er sich in Debatten über Kunst und Politik ein, einige Jahre lang war er Vorsitzender des Verbands Bildender Künstler der DDR im Bezirk Berlin.

Symmangk indes suchte nicht die Öffentlichkeit, und wohl auch deshalb ist seine Bekanntheit bis heute recht begrenzt. Auch er war wie Ronald Paris nach seinem Studium in Weißensee Meisterschüler bei Otto Nagel der Akademie der Künste der DDR – was nicht nur die ästhetische Verwandtschaft der Werke erklärt, sondern auch eine ähnliche politische Ausrichtung Symmangks vermuten lässt. Aufschluss darüber könnten vielleicht die vielen dokumentierten Briefe geben, die sich die beiden über die Jahre hinweg schrieben – werden sie einmal der Öffentlichkeit zugänglich.

Die Idee, zusammen auszustellen, gab es zu Lebzeiten schon länger, konnte aber nicht mehr realisiert werden. Sie kam von Paris, der dem weniger bekannten Freund die Geltung verschaffen wollte, die er seiner Einschätzung nach verdiente. Nun hat die Willi-Sitte-Galerie in Merseburg den kommenden 90. Geburtstag von Paris zum Anlass genommen, ihm posthum diesen Wunsch zu erfüllen: In den hellen, luftigen Räumen sind die Werke der beiden Künstler nebeneinander auf drei Stockwerken zu sehen.

Kuratorin Gerlinde Förster beschreibt Symmangk und Paris im Begleitheft der Schau als sehr unterschiedliche Charaktere: Während ersterer »eher still, zurückhaltend, fürsorglich im Umgang mit anderen« war, zeigte sich letzterer »schon durch seine Erscheinung und die kräftig-durchdringende Stimme stets im Raum deutlich präsent«. Wer nun in Merseburg die beiden Werke konstelliert sieht, vermag diese unterschiedlichen Wesenszüge auch im künstlerischen Ausdruck zu erkennen. Die Gemälde und Zeichnungen Paris’ und Symmangks sind hier grob thematisch sortiert, hängen gemischt nebeneinander, manchmal auch eher getrennt. Schon nach kurzer Zeit in den Ausstellungsräumen gelingt es der hier schreibenden Betrachterin, sie beinahe auf den ersten Blick voneinander zu unterscheiden. Symmangks Werk lässt einen Willen zur harmonischen Farbkomposition erkennen – die ihm stets auf unterschiedliche Weise gelingt –, zur Erzeugung von Stimmungen und Atmosphären, in Landschaftsbildern ebenso wie in Akten und Porträts. Dabei bleiben seine Gemälde grob zusammengesetzt, die Pinselstriche deutlich erkennbar, und nicht selten tritt ein pastellfarbener Hintergrund zwischen jenen immer wieder hervor, was den Werken etwas Zartes, Leichtes, Skizzenhaftes verleiht.

Vielleicht lässt sich der Unterschied zwischen den Freunden, zumindest in Hinblick auf die gezeigten Werke, so beschreiben: Während Ronald Paris die inhaltliche Aussage nicht scheut, sie fester Bestandteil seines Ausdrucks ist, steht bei Helmut Symmangk die Form (die letztlich natürlich auch Inhalt ist) im Vordergrund – ohne Verweise auf Politik, Mythologie oder Religion, wie man sie in Paris’ Werk zuhauf findet. Wie breit das Spektrum an Themen und Topoi war, das Paris bearbeitete, zeigt eine Auswahl seiner Gemälde im ersten Obergeschoss der Galerie. Hier hängen nebeneinander der antike Flussgott Marsyas, in der Darstellung von einer Novelle von Franz Fühmann inspiriert, ein surreal anmutendes Gemälde mit dem Titel »Verschnürt«, in dem überlebensgroße Figuren tatsächlich mumienartig verschnürt sind, und mit »Odysseus und die Sirenen« eine expressionistische Interpretation des homerischen Sagenmotivs. Nicht unweit davon ist Paris’ »Jüdisches Requiem« zu sehen, das verschiedene biblische Szenen aufgreift. Man findet hier – anders als bei Symmangk – durchaus auch Farbzusammenstellungen, in denen sich etwas beißt, die statt reinem ästhetischem Genuss eher Unbehagen und Schmerz vermitteln.

Wie Paris einst im Gespräch mit »nd«-Redakteurin Karlen Vesper für den Band »Wahr und wahrhaftig« erklärte, sah er es als Aufgabe der Kunst, Metaphern zu finden, die Betroffenheit auf Dauer auflösten, die die Rezipienten über die sinnliche Erfahrung tief berührten. Wo er dazu neigt, seine Gegenstände auszumalen, auszuformen, voneinander abzugrenzen, verbleibt Symmangk oft in der Andeutung. Man kann sich in die Bilder Symmangks hineinträumen – zu den Pferden im schattigen Wald in satten Grüntönen, den Nudistinnen am Strand in Hellgrün, Hellblau und Beige oder den Weinbergen bei Meißen in dunkleren Braunschattierungen mit senfgelben und burgunderroten Akzenten. Seinen Sohn Ronald – der wohl nicht zufällig so hieß – hat der Künstler einmal als Kind in einem Ritterkostüm in zarten Fliedertönen porträtiert.

An manchen Stellen führt die Hängung in der Willi-Sitte-Galerie Ähnlichkeiten der beiden Werke vor Augen, an anderen verdeutlicht sie Unterschiede. So sind zum Beispiel an einer Wand im ersten Obergeschoss verschiedene Malereien und Farblithographien von Helmut Symmangk zu sehen: Sie zeigen Stadtszenen und Architektur, etwa die Brühlsche Terrasse in Dresden und die Immanuelkirche in Berlin-Prenzlauer Berg. Mitten zwischen diesen Werken hängt ein Gemälde von Paris, »Projektion 1975« heißt es. Hier sehen wir das von der Mauer geteilte Berlin, doch die Malerei ist mehr als Interpretation eines Eindrucks, sie fügt dem Gegenstand etwas explizit Surreales hinzu: einen großen blauschwarzen Vogel am bedrohlich roten Himmel, der seine Flügel über beide Teile der Stadt spannt. Auf einem Gebäude am rechten Rand des Bildes ist das dem Werk gleichnamige Gedicht von Heiner Müller zu lesen: »Wo ist der Morgen den wir gestern sahn / Der frühe Vogel singt die ganze Nacht / Im roten Mantel geht der Morgen durch / Den Tau der scheint von seinem Gang wie Blut«.

Es ist eine Anklage, derer sich Paris hier bedient. Im zweiten Obergeschoss kann man den Schöpfer dieser Lyrik dann gezeichnet sehen – neben Porträts von Hanns Eisler, Heinrich Fink, Wolf Biermann und anderen den DDR-Diskurs prägenden Künstlern und Intellektuellen.

Personen des öffentlichen Lebens oder Kommentare zum Zeitgeschehen vermisst man bei Symmangk hingegen vollends. Dies erklärt vielleicht, warum er – nebst der angeführten Zurückhaltung – nicht den Rang von Paris erreicht hat, es wohl auch gar nicht anstrebte. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch sein Werk sehenswert ist. Leiser, aber durch die Kraft der Farben und Kompositionen eindringlich.

»Malerfreunde: Ronald Paris und Helmut Symmangk«, bis zum 30. Juli, Willi-Sitte-Galerie, Merseburg

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