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Theatertreffen: Nie wieder Versöhnungskitsch

Theatertreffen: »Der Bus nach Dachau« konfrontiert deutsche »Erinnerungsweltmeister« mit der hässlichen Realität

Einblick in das Grauen, der kein Einblick sein kann.
Einblick in das Grauen, der kein Einblick sein kann.

Es ist eine kühne Versuchsanordnung: Ward Weemhoff, dessen Vater 1993 ein Drehbuch geschrieben hat über eine Fahrt ehemaliger niederländischer KZ-Häftlinge und ihrer Nachkommen in das Lager fast 50 Jahre nach deren Befreiung, steht an diesem Theaterabend auf der Bühne. Das gescheiterte Filmprojekt soll nachgeholt werden, hier und jetzt. Und so wechselt man lebhaft die Perspektiven zwischen Gegenwart, 90er und 40er Jahren. Herausgekommen ist dabei ein »Ein 21st Century Erinnerungsstück«, wie »Ein Bus nach Dachau« im Untertitel benannt ist. Erinnerung ist immer auch die Geschichte der Erinnerung.

Einen großen Holzcontainer hat Theun Mosk für diese Koproduktion des Schauspielhauses Bochum und des Amsterdamer Theaterkollektivs De Warme Winkel auf die Bühne gestellt. Darin ist das Filmset aufgebaut, die Innensicht einer Lagerbaracke. Am Ende der 90-minütigen Inszenierung ist hier allerdings nicht das Szenario von Weemhoffs Vater umgesetzt, sondern wird in eindrücklichster Weise über die Dokumentierbarkeit des Schreckens nachgedacht.

Immer wieder kommen die Darsteller, deutsche wie niederländische Spieler, auf »Schindlers Liste«, Steven Spielbergs Holocaust-Film ohne Holocaust, zu sprechen. »Der Bus nach Dachau« wolle das Gegenteil sein, kein Film über einen guten Nazi, sondern über einen schlechten Häftling, über einen Kapo, also ein Opfer, das zum Täter gemacht worden ist. Aber kann man darüber sprechen oder wieder darüber sprechen? Darüber Filme machen? Dass es passiert, ist vielleicht der Beweis der Unmöglichkeit. Da »Schindlers Liste« nur ein weiteres Filmprodukt irgendwo zwischen »Jurassic Park« und »Der weiße Hai« ist, wird auch der Holocaust zum bloßen Hollywood-Ereignis funktionalisiert – und selten mit einer Rücksicht, die wie hier den Nachfahren der Opfer, nicht der Täter gilt.

»Man sollte verhindern, dass der Holocaust wie der Trojanische Krieg endet. Wenn wir über den Trojanischen Krieg sprechen, sprechen wir eigentlich über Homers ›Ilias‹. Und wenn die nächsten Generationen über den Holocaust sprechen, sprechen sie eigentlich über ›Schindlers Liste‹«, heißt es in »Ein Bus nach Dachau«. Dass die Deutschen als selbsternannte »Erinnerungsweltmeister« sich gern für die Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte loben lassen, schlimmer noch: selber loben, ist keine neue Entwicklung. Munter schreibt man sich allerhand Widerstandsgeschichten zusammen, entwirft Erzählungen mit vielen Graustufen. Auch auf der Bühne sind es die deutschen Darsteller, die sich eine niederländische Aneignung »ihres Holocausts« verbitten.

Die deutsche Geschichte stimmt kaum noch demütig, sondern dient eher als Ausweis besseren Wissens. Wer einmal so sehr auf der falschen Seite gestanden hat, weiß heute, über jeden Zweifel erhaben, wo der rechte Platz ist. Kurz ist der Weg von »Nie wieder Auschwitz!« zu deutschen Bombardements.

Notwendig ist es, eine solche Arbeit zu zeigen, die keine Rücksicht nimmt auf deutsche Befindlichkeiten und die auch für die Zuschauer schmerzhaft ist. Beim Berliner Theatertreffen wirkt sie fast wie ein Fremdkörper angesichts eines Rahmenprogramms, das sich selbst für moralisch einwandfrei hält und dafür feiert.

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