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Album »aşk«: Alles so schön grau hier
Güner Künier singt auf »aşk« über die Liebe, die auch kalt und monoton sein kann
Wer kennt das nicht: In einer Gruppe von Menschen teilen sich zwei den gleichen Vornamen. Zwecks der Zuordnung wird dann auf unterschiedliche Lösungen zurückgegriffen: Spitznamen, Kombinationen von Vor- und Nachnamen oder das Hinzufügen eines Adjektivs. So war ich einmal Teil einer Gruppe, in der es zwei Philipps gab, die sich hinsichtlich ihrer Körpergröße unterschieden, weshalb einer eben der große Philipp war. Der andere bestand aber darauf, nicht der kleine, sondern der schöne Philipp zu sein. Anstatt sie einzuebnen, kann Namensgleichheit also individuelle Eigenschaften hervorkehren.
Das ist auch bei den beiden kürzlich erschienen Alben mit dem Namen »aşk« der Fall. Das türkische Wort für Liebe betitelt nicht nur die neue Platte der niederländischen Band Altın Gün, sondern auch die der Berliner Künstlerin Güner Künier. Die Musik indes könnte unterschiedlicher nicht sein: während Altın Gün mit ihrem knallbunten, stark anatolisch gefärbten Psych-Rock die Menschen zum Feiern bringen und von ihnen völlig zu Recht abgefeiert werden, pflegt Güner Künier spartanisch-sperriges Einzelgängerinnentum in körniger Schwarz-Weiß-Ästhetik. Statt Opulenz Aşk-ese, um hier mal unpassend albern zu werden. Denn aşk, also Liebe, ist nicht immer ein farbenprächtiges Feuerwerk der Sinneseindrücke bei Sommerurlaubstemperatur, sondern kann auch monoton sein wie Küniers Drumcomputerbeats im klassischen New-Wave-Ostinato, schneidend wie ihre Rasiermessergitarre, und Gefühle der Einsamkeit und Kälte hervorrufen: »Nerye kadar gider bu aşk acaba« (Bis wohin wird diese Liebe noch gehen / wie lang wird diese Liebe andauern). Aber keine Angst, dies ist nicht die Art Platte, für die man sich warm anziehen muss. Auch in Schwarz-Weiß-Bildern gibt es ja Licht. So bieten das erste und das letzte Lied des Albums nicht den Hoffnungsschimmer aus der Klischeekiste, aber mit ihrer apart-verhallten Zartheit eine kontrastierende Klammer um die anderen Lieder, in denen zu einfachsten Synthesizer- und Gitarrenklängen und mal stampfenden, mal punkig-krachigen und mal zögerlich tröpfelnden Beats Küniers verzerrter Gesang erklingt. Der wirkt gleichzeitig unendlich weit entfernt wie ein Funkspruch vom Mond und doch so intim, als würde sie einem durch all das Rauschen und Knistern hindurch ins Ohr flüstern oder schimpfen.
Meist klingt sie aber eher lakonisch, wenn sie ihre sehr gelungenen Texte singt. Die sind weder plakativ noch unverbindlich vage, sondern zeigen ebenso wie die Musik die Kunst der Verdichtung: Dass Künier in İzmir geboren wurde und in Flensburg aufgewachsen ist, als deutsch-türkisches Mädchen sperrige Gitarrenmusik mochte und dann nach einem Studium des Wirtschaftsingenieurswesens Künstlerin wurde, steckt alles in zwei knappen Zeilen: »no one told me where to go / I belong to all [these] places«, was sie aber eher müde als stolz konstatiert. Keinem vorgefertigten Weg zu folgen, kann anstrengend sein. Auch über die Liebe hat Künier viel Wahres zu sagen, wobei ihre besten und berührendsten Lieder zu diesem Thema auf Türkisch sind. Zum Glück hilft das Internet bei deren Verständnis, und sie motivieren durchaus, beginnend mit der Vokabel »aşk«, rudimentäre Türkischkenntnisse zu erweitern.
Güner Künier: »aşk« (Flirt99)
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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