Mameloschn II

Jiddisch spricht man nur im Flüsterton

  • Alexander Estis
  • Lesedauer: 3 Min.
Mag sein, dass hier gottenju zu finden ist.
Mag sein, dass hier gottenju zu finden ist.

Außer wenn man schimpft, spricht man Jiddisch nur im Flüsterton. Und manchmal gerade dann, wenn man schimpft. Man spricht Jiddisch immer im Flüsterton, denn es könnte immer jemand zuhören, der kein Jiddisch spricht – und dieser jemand stellt dann Fragen. Wenn jemand Fragen stellt, ist es schlimmer, als wenn niemand Fragen stellt, obwohl auch ein Niemand durchaus Fragen stellen kann, und das sind meist sogar die schlimmsten.

Ezzes von Estis

Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.

Deshalb spricht man Jiddisch nur im Flüsterton. Aber nicht nur deshalb, sondern gerade auch, weil jemand zuhören könnte, der Jiddisch spricht – dieser jemand stellt dann erst recht Fragen. Aber einer, der Jiddisch spricht, und zwar sowohl Westjiddisch als auch Ostjiddisch, einer hört immer zu und hört immer alles. Da hilft auch Flüstern nichts. Aber weil Flüstern nichts hilft, muss man ja nicht gleich schreien. Deshalb spricht man Jiddisch nur im Flüsterton.

Und wo wir schon darüber reden, worüber es auch sei, zum Beispiel über Gott und die Welt: Nur auf Jiddisch kann man Gott mit einem Kosenamen anrufen – gottenju. Kann man das nicht auch in anderen Sprachen? Nu, natürlich kann man, aber wird er drauf hören?

Hören muss er schließlich ohnehin einiges, selbst wenn alle im Flüsterton sprechen, was, wie gesagt, auf Jiddisch immer alle tun, außer wenn sie schimpfen oder drohen oder fluchen. Oder wenn sie auf Jiddisch jammern, was eigentlich alle immer tun. Oder wenn alle zugleich schimpfen, drohen, fluchen und jammern, anders gesagt: Wenn du die Zimmes nicht ganz aufessen willst, nachdem du schon die Lokschnsupp gegessen hast, die Knejdlach, die Latkes, den Tscholent, den gefilte Fisch und dazu Challa und Mazze und noch zwei kleine Bejgelach. Wenn du dann also die Zimmes nicht aufisst, dann wird ein gewejn, wie es der ganze olem (Welt) nicht gehört hat, unt ajn geschrej, bei dem alle aus dem cholem (Traum) fahren, unt ajn gewolt, dass es keinen scholem (Frieden) mehr gibt unter dem Himmel – der übrigens auch kurz davor ist herabzustürzen, weil man dort, wie gesagt, Jiddisch versteht, und zwar sowohl Nordostjiddisch als auch Ostwestjiddisch. Wenn man also nicht will, dass der Himmel einstürzt, sollte man Jiddisch nur im Flüsterton sprechen. Nur würde dann niemand aufessen!

Im Flüsterton zu sprechen, ist jedenfalls die erste Regel des Jiddischen. Gibt es im Jiddischen überhaupt Regeln? Ja, aber sie sind die Ausnahme. Kann man diese Sprache dann überhaupt lernen? Man kann schon. Nur ist es keine Sprache. Es ist zu Gehör gebrachte Jiddischkeit. Und wie lernt man Jiddischkeit? Das ist eine ganz andere Frage, und zwar eine, die sich nur auf Jiddisch beantworten lässt, und zwar so: Schmonzes!

Wer kann also Jiddisch sprechen? Alle. Denn Jiddisch zu lernen ist ganz einfach. Dazu musst du dich in Deutschland niederlassen, dann Hebräisch lernen und es dann langsam vergessen, während du 800 Jahre durch alle Welt ziehst. Wer darf also Jiddisch sprechen? Nu, wer nicht? Jiddisch ist zwar nicht für alle die Muttersprache, aber nur Jiddisch ist unser aller Mameloschn.

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